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# taz.de -- Nachbarschaftshaus Karlsgartenstraße: Ein warmes Essen und eine Um…
> Nach zweijährigem Kampf um seinen Erhalt muss das Nachbarschaftshaus
> Karlsgartenstraße in Neukölln im April schließen. Zum Abschied gibt es
> ein Fest.
Bild: Protestaktion gegen die Kündigung der Räume Karlsgartenstraße 6 im Dez…
Berlin taz | Noch steht die Tür zum [1][Nachbarschaftshaus in der
Karlsgartenstraße 6 offen] – wer Lust hat, kommt einfach rein und macht
mit. In dem großen Raum im Erdgeschoss ist es hell und behaglich, in der
offenen Küche im hinteren Teil des Raumes stehen Töpfe, Teller und Schalen
voller Essen auf dem Tisch: Es gab heute „Feijoada“, einen brasilianischen
Eintopf. Auf dem Wochenplan, der über dem Esstisch hängt, sind Angebote wie
„Demokratieprojekt“, „Tanzgruppe“ und „Computerkurs“ eingetragen. Im
vorderen Teil des Raumes sitzt die brasilianische Künstlerin Andrea
Sobreira und hält einen Vortrag. Sie stellt ihre Arbeit vor und tauscht
sich mit den Anwesenden über Kunst und Empowerment aus.
Das Nachbarschaftshaus, das bislang verschiedensten Initiativen und Gruppen
einen Raum bot, wird es ab April in seiner bisherigen Form nicht mehr
geben. Alle beteiligten Gruppen sind deshalb für ein finales
Abschiedsfestival unter dem Titel „Frauen. Kämpfen. Um Räume“
zusammengekommen: Noch bis Donnerstag wollen sie in der Karlsgartenstraße 6
ein letztes Mal gemeinsam kreativ sein, feiern und essen.
Das Erdgeschoss mit der offenen Küche wird hier im Nachbarschaftshaus gerne
als „Herzstück“ bezeichnet. Es ist ein Raum, um den die Nutzer*innen in
den letzten zwei Jahren erbittert gekämpft haben: Die Räumlichkeiten
gehören zur benachbarten Volkshochschule, welche die Räume im Erdgeschoss
sowie im ersten Stock renovieren und dann selbst als Verwaltungsräume
nutzen möchte.
2021 wurde dieses Vorhaben angekündigt, die Initiativen und Gruppen, die
sich regelmäßig im Nachbarschaftshaus treffen, durften das Gebäude bis
jetzt übergangsweise weiter nutzen. Immer wieder haben sie seither gegen
die geplante Nutzung der Räume durch die VHS demonstriert.
## Volkshochschule verdrängt
Bereits seit dem Wochenende stellen die Nutzer*innen des
Nachbarschaftshauses ein vielseitiges Programm auf die Beine:
Masken-Basteln für Kinder, feministischer Lesekreis, Fanzine-Workshop. Am
Samstag fand zudem ein Soli-Event für das Netzwerk „Gesundheit 4 Palestine“
statt. Für das gemeinsame Fastenbrechen am Abend wurde den ganzen Tag lang
in der Küche gekocht.
Mit zwei öffentlich geförderten Initiativen im Haus, der Schillerwerkstatt
und den Stadtteilmüttern hat die VHS nun einen Kooperationsvertrag
abgeschlossen. Die Schillerwerkstatt behält damit ihr Büro im ersten Stock
und öffnet dieses und den anliegenden Workshopraum für weitere
Initiativen. „Wir haben hier aber nur Platz für maximal 12 Personen“,
erklärt Stefanie Battisti, Vorstand des Vereins Schillerwerkstatt. Für
viele der Gruppen, die bisher ins Nachbarschaftshaus gekommen sind, falle
diese Option daher weg: etwa Tanz- und Theatergruppen, Chöre oder das
Netzwerk „Frauen Machen Druck“, in dem sich mittlerweile über 90
überwiegend migrantische Frauen zusammengefunden haben, um gemeinsam
Linoldrucke anzufertigen.
Sie bräuchten den großen Raum im Erdgeschoss. „Gerade die Küche spielt eine
ganz wichtige Rolle für viele informelle Formate, wie wir sie hier im Haus
haben“, erklärt Battisti. [2][Bei vielen Initiativen und Aktionen stünden
die Themen Kunst, Frauen und Politik im Vordergrund.] „Es geht uns hier um
die Lust am Machen“, fasst sie es zusammen.
Die „Lust am Machen“ hat auch Leni, eine der regelmäßigen Besucher:innen,
ins Nachbarschaftshaus geführt. Vor zwei Jahren sah sie im Vorbeigehen
einige Linoldrucke in den Fenstern des Nachbarschaftshauses hängen, die ihr
gut gefielen. Sie kam herein – und fing an mitzumachen. Längst gehe es bei
„Frauen Machen Druck“ nicht mehr nur um das Drucken, sondern um
solidarische Unterstützung: Vor allem seit der Geburt ihres Babys vor zwei
Monaten habe sie viel Support von den Frauen im Haus erfahren, erzählt
Leni: „Ich habe mich hier immer so wohlgefühlt.“
## Es geht um solidarische Unterstützung
Dass die Volkshochschule die Räumlichkeiten nun als Beratungsräume nutzen
wird, bezeichnet Battisti aus der Schillerwerkstatt als „gut und richtig“.
Doch mit dem Renovierungsvorhaben sei vielen Organisationen und
Initiativen, die sich im Nachbarschaftshaus treffen, zunehmend die Gelder
weggefallen, da sie keinen festen Arbeitsort mehr nachweisen konnten. Sie
betont, dass die Schillerwerkstatt immer wieder mit der Volkshochschule
kooperiere. Gleichzeitig sei es wichtig, die verschiedenen Angebote nicht
gegeneinander auszuspielen.
Als „Dezentralisierung“ bezeichne die VHS den Umstand, dass sich die im
Haus ansässigen Gruppen zwangsläufig auf mehrere neue Standorte verteilen,
erzählt Battisti. Tatsächlich lebten die Gruppen aber von ihren
Verschränkungen miteinander, von ihren fließenden Übergängen, ihrer
Vernetzung und dem Lernen voneinander. Es bleibe die Sorge, dass ohne den
Raum im Erdgeschoss der Kontakt zwischen den Projekten und Initiativen
abbrechen werde. „Die Angebote werden damit abgebaut, manche hier im Haus
würden auch sagen: zerstört“, sagt Battisti.
Dass über die Schillerwerkstatt und Stadtmütter hinaus keine weiteren
migrantischen Initiativen und Kollektive aus dem Haus in die
Kooperationsgespräche mit der VHS einbezogen wurden, obwohl sie den
wesentlichen Teil der im Haus aktiven Gruppen ausmachen, wird von vielen
Nutzer*innen des Hauses scharf kritisiert. Zu ihnen gehört auch Ayşe
Harman. Sie ist Vorstandsmitglied im Berliner Migrantinnenverein, der sich
seit über zehn Jahren in der Karlsgartenstraße 6 trifft. Sie organisieren
unter anderem eine große Chor- und eine Theatergruppe, die nun keinen
Proberaum mehr haben. Zudem hatten sie bislang ein Büro im
Nachbarschaftshaus, das sie jetzt räumen müssen. Ein kleiner Raum, bis zum
Rand gefüllt mit selbst erstellten Flyern und Magazinen, Büchern,
Requisiten und Musikinstrumenten.
## Bezirksamt duckt sich weg
Über das Bezirksamt sagt Harman: „Die wollten uns von Anfang an nicht
dabeihaben.“ Nicht nur für sie sei das Nachbarschaftszentrum zu einem
zweiten Zuhause geworden, das man jetzt aufgeben müsse. Dank ihrer Arbeit
seien Psycholog*innen, Gynäkolog*innen und Erzieher*innen ins
Nachbarschaftszentrum gekommen, um dort Aufklärungsarbeit zu leisten.
Im Rahmen des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
stellten einige Frauen aus dem Nachbarschaftshaus ihre Kunstdrucke im
Käthe-Kollwitz-Museum aus. Musik und Theater seien immer eine Stärkung für
die Frauen gewesen, die ins Zentrum kommen. „Das Bezirksamt hat bis zuletzt
nicht erkannt, was wir hier alles leisten“, sagt Harman, „Ich bin sauer,
dass so was nicht gesehen wird.“
Gerade „Frauen machen Druck“ ist für viele Frauen im Nachbarschaftshaus zu
einem wichtigen Knotenpunkt geworden: Sie können hier Kunst machen, in
Kontakt treten, publizieren und in einer ungezwungenen Atmosphäre Deutsch
lernen. Ins Leben gerufen wurde die Druckwerkstatt von Yili Rojas. Sie ist
bildende Künstlerin und Referentin für politische Bildung und arbeitet im
Demokratieprojekt der Schillerwerkstatt.
[3][Kein einziges Mal sei die Neuköllner Bildungsstadträtin Karin Korte
(SPD)] persönlich im Nachbarschaftshaus vorbeigekommen. „Das finde ich
schade und traurig“, sagt Rojas. Es seien vor allem zwei Dinge, die das
Nachbarschaftshaus gibt: warmes Essen und eine Umarmung. „Wir unterstützen
uns aus verschiedenen Erfahrungen heraus, generations- und
nationsübergreifend“, sagt sie. Alle könnten in ihrer Form im Kollektiv da
sein, ganz ankommen. „Das habe ich vom Haus gelernt.“
26 Mar 2024
## LINKS
[1] /Karlsgartenstrasse-6-bleibt/!5980664
[2] /Kulturkampf-in-Neukoelln/!5985925
[3] /Populismus-in-der-Neukoellner-SPD/!5989874
## AUTOREN
Clara Zink
## TAGS
Verdrängung
Selbstermächtigung
Frauenförderung
SPD Berlin
Neukölln
Verdrängung
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