# taz.de -- Angriff auf iranischen Journalisten: Mordanschlag in Wimbledon | |
> Das Opfer arbeitete für den TV-Sender Iran International, das unzensierte | |
> Nachrichten auf Persisch sendet. Vermutet wird ein politisches Motiv | |
> Irans. | |
Bild: Absperrband an der Stelle des Angriffs | |
London taz | An der wenig befahrenen Straße im Stadtteil Wimbledon findet | |
sich eine Mischung aus gepflegten staatlichen Sozialbauten und teuren | |
privaten Wohnhäusern. Hier beginnen die ruhigen, grünen Vororte Londons. | |
Stadtrandgebiete. Die weltberühmten Tennisplätze liegen gleich nebenan. | |
Eine Anwohnerin erzählt: „Hier ist es ruhig, aber ich finde es | |
problematisch, dass man kaum Polizei sieht. Außer, wenn die Tennissaison | |
läuft.“ So gesehen sei Wimbledon der ideale Ort für solch ein Verbrechen | |
wie das vom 30. März, als der aus dem Iran stammende Londoner Journalist | |
Pouria Zeraati bei einem Messerangriff von drei Männern schwer verletzt | |
wurde. | |
Wie inzwischen bekannt, flohen die Attentäter anschließend in einem Auto | |
und verließen dann binnen weniger Stunden Großbritannien per Flugzeug. | |
Zeraati überlebte den Angriff. Am Freitagnachmittag, knapp eine Woche nach | |
dem Angriff, bemühte er sich jedoch zum ersten Mal wieder in das Studio von | |
Iran International TV und trat sichtbar humpelnd, vor applaudierenden | |
Kolleg:innen, wie gewohnt vor laufender Kamera auf. | |
In einem Interview für ITV News gab er an, dass er den Angriff auf ihn als | |
Warnung gegen seine Sendung und Zuschauer:innen verstünde, denn, so | |
glaubt er, hätten die Attentäter beabsichtigt ihn zu ermorden, dann hätten | |
sie dazu die Möglichkeit gehabt. ITV bemerkte, dass er nun polizeilich | |
begleitet und bewacht werde, während Scotland Yard prüfe, ob es sich um | |
einen Angriff mit staatlicher Zustimmung Irans handele. | |
## Führt eine Spur nach Teheran? | |
Iran distanzierte sich vom Verbrechen, dennoch wird angenommen, dass | |
Teheran hinter dem Angriff steckt. Iran International strahlt aus London | |
unzensierte Nachrichten auf Persisch aus. | |
Die 71-jährige in Pakistan geborene Anwohnerin Gulshan Aslam kannte den | |
Journalisten. „Ein gutaussehender junger Mann“, beschreibt sie ihn. So ein | |
Verbrechen sei hier sehr selten. Sie erinnert sich nur an ein anderes, das | |
schon viele Jahre zurückliegt. Doch der 18-jährige Archie am anderen Ende | |
der Straße sieht das anders. „Klar, das war ein geplantes Attentat, das ist | |
selten. Aber [1][Messerstechereien gibt es viele] in London“, meint er mit | |
Verweis auf die 18 Teenager, die 2023 auf den Straßen Londons erstochen | |
wurden und die 13.503 Messerangriffe in der Stadt allein im letzten Jahr. | |
## Iranische Diaspora in London | |
Wie denken iranstämmige Londoner:innen über das Attentat? Die | |
Angestellten im Diba, einem persischen Restaurant in Wimbledon, wollen sich | |
nicht dazu äußern. Es sei ja ein politisches Thema, entschuldigt sich eine | |
der Befragten. | |
Anders der 38-jährige IT-Experte Niyak Ghorbani. Er ist in den letzten | |
Wochen dadurch bekannt geworden, [2][dass er auf pro-palästinensischen | |
Demos] mit Plakaten auftauchte, auf denen stand, dass die Hamas eine | |
terroristische Organisation sei. Dabei war Ghorbani sowohl von | |
Demonstrant:innen angegriffen als auch von der Polizei festgenommen | |
worden. | |
Der IT-ler, der den Iran aus politischen Gründen verlassen hat, spricht | |
über seine Unterstützung des Nachfolgers des einstigen Schahs, Mohammad | |
Reza Pahlavi, und dass die iranische Republik 45 Jahre lang terroristische | |
Gruppen unterstützt habe. Bedrohungen, etwa wie der Angriff auf den | |
Journalisten Zeraati, können ihn persönlich nicht stoppen: Sie trieben ihn | |
sogar noch an, sagt er der taz. | |
Einer, der die iranische Exilgemeinschaft in London seit einigen Jahren | |
kennt, ist der schottischstämmige Londoner Adam Baillie. Iranische | |
Journalist:innen wie Zeraati verstünden London als Ort der | |
Pressefreiheit, die es im Iran nicht gebe, sagt er. „Ich arbeite seit der | |
Gründung 2017 als einziger Nicht-Iraner im Nachrichtenraum von Iran | |
International“, erzählt er weiter. | |
Seine Kolleg:innen seien nicht politisch, sondern hofften lediglich auf | |
ein freieres Iran. Viele hätten vor allem in den letzten zwei Jahren mit | |
Drohungen gelebt. Das Attentat habe nun viele schockiert, obwohl sich alle, | |
egal ob sie nun für Iran International oder den BBC World Service | |
arbeiteten, der theoretischen Gefahr bewusst waren. | |
Tatsache sei, so Baillie, dass Scotland Yard zahlreiche andere potenzielle | |
Attentate verunglimpft habe. Dennoch sei gerade jetzt eine verstärkte | |
Nervosität zu spüren. Aber es gebe eine Kehrseite: „Als mein Chef mir | |
letztes Jahr die Meldung zeigte: ‚Adam Baillie ist der Sprecher des | |
Terrorsenders Iran International‘, war das einer meiner stolzesten | |
Momente!“ Nämlich der Beweis, dass der Sender sich etabliert habe und | |
wichtige Arbeit leiste, glaubt Baillie. | |
7 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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