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# taz.de -- Glutamat mit Imageproblemen: Ist Glutamat ungesund?
> Es erregt Geschmacksrezeptoren wie Gemüter. Doch was ist eigentlich
> Glutamat? Und was ist dran an seinem miesen Ruf?
Bild: Yummy in your tummy, aber in großen Mengen nicht zu empfehlen
„Raketenpulver“ oder „Maria hilf’“: So wird Glutamat unter Köch:innen
auch genannt. Wenn die Suppe nach nichts schmeckt, dann sorgt Maria mit
einem Wunder für Abhilfe. Und wenn es schnell gehen muss, dann fliegen die
Gäste mit Hilfe von Raketenpulver ins Geschmacksuniversum.
Glutamat erregt [1][die Umami-Geschmacksrezeptoren auf der Zunge]. Es
verleiht Lebensmitteln, in denen es natürlich vorkommt, ihren herzhaften
Geschmack, zum Beispiel Pilzen, Parmesankäse und Tomaten. Glutamat erregt
aber auch die Gemüter, denn es lässt sich synthetisch herstellen und wird
dann als Zusatzstoff in der asiatischen Küche und in der westlichen Welt in
verarbeiteten Lebensmitteln wie Tiefkühlkost, Gewürzmischungen oder
Dosensuppen verwendet.
Dieses synthetische Glutamat kommt aus dem Labor und ist ein weißes Pulver.
Das klingt nach Chemie. Und hin und wieder sieht man sogar „Wir verwenden
kein Glutamat“-Aufkleber an den Fensterscheiben asiatischer Restaurants.
Obwohl die chemischen Bausteine den natürlichen nachempfunden sind, hat das
als Geschmacksverstärker [2][zugesetzte Glutamat einen zweifelhaften Ruf].
Warum ist das so? Und wie ungesund ist der Zusatzstoff wirklich?
## Eine Säure, die in allen Lebewesen vorkommt
Chemisch gesehen sind Glutamate die Salze der Glutaminsäure, die als nicht
essenzielle Aminosäure in allen Lebewesen vorkommt. Wenn Menschen, Tiere
oder Pflanzen Glutaminsäure selbst herstellen, spricht man von endogenem
Glutamat. Wird es einem Organismus von außen zugeführt, von exogenem
Glutamat.
Die Geschichte von exogenem Glutamat beginnt zunächst harmlos: 1907 fällt
dem Japaner Kikunae Ikeda beim Abendessen mit seiner Familie auf, dass die
Suppe herzhafter schmeckt als sonst, und er vermutet, dass die in der
japanischen Küche weit verbreitete Alge Kombu dafür sorgte. Also nimmt der
Chemiker sie mit an seinen Labortisch und zerlegt sie dort in ihre
molekularen Bestandteile. Dabei entdeckt er Glutamat, das er kurz darauf
als Mononatriumglutamat, kurz MNG, chemisch stabilisiert.
1909 beginnen der Chemiker Ikeda und der Unternehmer Saburosuke Suzuki dann
mit der industriellen Produktion von MNG. Zunächst behandeln sie
pflanzliche Proteine in einem Extraktionsverfahren mit Salzsäure, doch der
Ertrag dieser Methode ist begrenzt. Erst in den fünfziger Jahren erobert
MNG den Weltmarkt, mittlerweile wird es mit Hilfe einer effektiveren
Fermentationstechnik hergestellt.
Kleiner Exkurs: Glutamat kommt in Lebensmitteln entweder an Proteine
gebunden oder frei vor, nur das freie Glutamat sorgt für den intensiven
Geschmack. Durch Fermentation und Reifung steigt der Anteil an freiem
Glutamat. Das ist einer der Gründe, warum 18 Monate gereifter Gouda
kräftiger schmeckt als junger Gouda.
## Ein verhängnisvoller Restaurantbesuch
Dann, im Jahr 1968, besucht der Arzt Robert Ho Man Kwok ein chinesisches
Restaurant in den USA und klagt danach über Unwohlsein. Er verspüre
Herzklopfen und ein Taubheitsgefühl im Rücken und Nacken, fühle sich
schwach, so beschreibt er die Symptome in einem Leserbrief in der
medizinischen Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine.
Leser:innen des Beitrags erinnern sich an ähnliche Erfahrungen, die New
York Times greift das Thema auf, darauf werden in den USA erste
wissenschaftliche Untersuchungen eingeleitet. Menschen, die Glutamat zu
sich genommen hatten, werden nach ihren Symptomen befragt, und
Versuchsmäusen werden extrem hohe Dosen injiziert. Die Tiere erleiden
daraufhin Hirnschäden.
Die Methoden der frühen klinischen Studien wurden später wissenschaftlich
kritisiert, etwa weil die gespritzten Dosen weit über dem täglichen Konsum
lagen. Außerdem waren die Studien nicht korrekt verblindet – das bedeutet,
Ärzt:innen und Patient:innen wussten, wer eine echte Behandlung bekam
und wer nur zur Kontrollgruppe gehörte, was die Ergebnisse beeinflussen
kann.
## Ein Feindbild des Kalten Kriegs
Tatsächlich ist bis heute nicht einmal geklärt, ob es den Arzt Robert Ho
Man Kwok wirklich gegeben hat. Unklar ist auch, inwieweit politische
Spannungen zu Vorurteilen gegenüber der chinesischen Küche und damit
gegenüber Glutamat geführt haben: In der Atmosphäre des Kalten Krieges war
auch das [3][kommunistische China in den Vereinigten Staaten ein
Feindbild]. Der Begriff „China-Restaurant-Syndrom“ machte damals die Runde
und führt bis heute zu den „Kein Glutamat“-Aufklebern an Fensterscheiben
asiatischer Restaurants.
Dabei gilt für Glutamat dasselbe wie für Zucker und Salz: Die Dosis macht
das Gift. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) [4][veröffentlichte
2023 eine Einschätzung] zur Verwendung von Glutamaten als
Lebensmittelzusatzstoffe, also der E-Nummern 620 bis 625. Das BfR
orientiert sich dabei an der Europäischen Behörde für
Lebensmittelsicherheit (EFSA), die die unbedenkliche tägliche Aufnahmemenge
für solch exogenes Glutamat festlegt.
Diese liegt seit 2017 bei 30 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und
Tag. Um diese Menge zu überschreiten, müsste ein 60 Kilo schwerer Mensch
täglich mehr als 1,8 Gramm Glutamat als Geschmacksverstärker zu sich
nehmen. Das wäre fast das Fünffache des durchschnittlichen Konsums in
Mitteleuropa.
Bei empfindlichen Menschen treten bei etwas mehr als 40 Milligramm pro
Kilogramm Körpergewicht und Tag Symptome des sogenannten
MSG-Symptomkomplexes auf: ein brennendes Gefühl im Nacken, Brustschmerzen,
Übelkeit, Herzklopfen und Schwäche. Sehr hohe tägliche Aufnahmemengen
korrelieren mit Kopfschmerzen, Insulinanstieg und erhöhten Blutdruck. Die
EFSA betont außerdem, dass weitere Untersuchungen notwendig seien, um etwa
zu hohe Aufnahmemengen für Säuglinge besser einschätzen zu können.
## Eine verpönte Küchenhilfe
Unter gelernten Köchen ist Glutamat indes verpönt, allerdings aus anderen
Gründen: „Es gibt viele Köche, die Glutamat für Mist halten, weil man das
Gleiche auch übers Kochen erreichen kann“, sagt Konrad Lenck,
stellvertretender Küchenchef in der taz-Kantine in Berlin. Wer in der
Branche etwas auf sich halte, erschaffe den Umami-Geschmack mit
Austernpilzen, Tomaten oder hausgemachter Brühe.
„Doch am Ende entscheidet in vielen Betrieben der Zeitfaktor“, sagt Lenck,
und viele Imbisse hätten nicht die Zeit, ihre Saucen so lange einzukochen,
bis sie cremiger und intensiver schmecken. Im Zweifel werde schnell
Brühpulver in die Sauce gegeben, mit dem gleichen Ergebnis. Er selbst habe
während seiner Ausbildung in einem Zwei-Sterne-Restaurant gelernt, wo in
einigen Gerichten Glutamat verwendet wurde, so Lenck.
Der Koch kennt die Diskussionen rund um das China-Restaurant-Syndrom. Er
glaubt, dass viele [5][asiatische Restaurants aus Angst vor Vorurteilen]
„Kein Glutamat“-Aufkleber an der Tür haben. Ob ein Gericht tatsächlich mit
Glutamat gekocht wurde, merkt er dagegen schon beim ersten Bissen. „Man hat
einen Speichelfluss im Mund, der sonst nicht da ist.“ Wer das selbst testen
will, sollte sein Essen einfach mal vor dem Würzen mit einer
glutamathaltigen Fertiggsoße probieren – und dann danach. Guten Appetit!
8 Apr 2024
## LINKS
[1] /Salzig-herzhafte-Cocktails/!5921374
[2] /Studie-zu-Geschmacksverstaerkern/!5426542
[3] /Antiasiatischer-Hass-in-den-USA/!5840396
[4] https://www.bfr.bund.de/cm/343/glutaminsaeure-und-glutamate-gesundheitliche…
[5] /China-Restaurants-in-Berlin/!5903912
## AUTOREN
Enno Schöningh
## TAGS
wochentaz
Genuss
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Nahrungsmittel
Tee
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