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# taz.de -- Hysterie um Chemie in Lebensmitteln: Natürlicher ist nicht gleich …
> "Ohne Glutamat", "ohne künstliche Zusatzstoffe" - das klingt erst mal
> gut. Aber ist Chemie in Lebensmitteln wirklich nur schlecht? Zeit, mit
> ein paar Vorurteilen aufzuräumen.
Bild: Saubere Labels prangen auf immer mehr Lebensmitteln.
Gummibärchen sollen bunt, der Fruchtaufstrich darf nicht zu flüssig sein.
Bei der Tütensuppe ist Würze und eine schnelle Zubereitung gefragt.
Wünsche, die Zusatzstoffe problemlos erfüllen können. Trotzdem will sie
niemand haben: Sie rauben den Lebensmitteln die Unschuld, sind Sinnbild der
hochindustrialisierten Lebensmittelherstellung. Das wissen auch die
Hersteller und setzen daher auf "Clean Label" - "reines Etikett". Die
einfache Botschaft von Hinweisen wie "ohne künstliche Farbstoffe" oder
"ohne Glutamat" lautet: Wir verzichten auf zulassungspflichtige
Zusatzstoffe.
Schnell kommt der Gedanke, dass die Produkte dadurch natürlicher, besser
und gesünder sind. So einfach ist das aber nicht. Denn Zusatzstoffe lassen
sich nicht generell als künstlich und damit schlecht abstempeln. Einzelne
Personen können zwar auf bestimmte Zusatzstoffe empfindlich reagieren,
Asthmatiker beispielsweise, oder Menschen mit Neurodermitis.
Seit Juli 2010 müssen Azofarbstoffe wie Azorubin, Tartrazin und
Chinolingelb sogar durch einen Warnhinweis auf der Verpackung kenntlich
gemacht werden - die Farbstoffe stehen unter Verdacht,
Konzentrationsprobleme und Hyperaktivität bei Kindern auszulösen und sind
in vielen Süßigkeiten und Getränken enthalten.
Einen Generalverdacht rechtfertigt das allerdings nicht. Zusatzstoffe haben
einen Nutzen - und viele von ihnen kommen auch in der Natur vor. Ob ein
Stoff schädlich ist oder nicht, hängt nicht zwangsläufig mit seiner
Herkunft zusammen.
Die Zutatenliste auf dem Etikett soll den Verbraucher informieren. Darin
finden sich aber oft Namen, die mehr an Chemie als an Lebensmittel
erinnern: Farbstoff Chinolingelb, Säuerungsmittel Calciumcitrat oder
Verdickungsmittel Propylenglycolalginat steht da geschrieben. Wahlweise
auch schlicht ein Zahlenschlüssel, kombiniert mit einem großen "E":
Zusatzstoffe.
Nach dem Lebensmittelrecht gelten Zusatzstoffe als Lebensmittel. Sie dürfen
nicht gesundheitsschädlich sein. Das zu beweisen, ist Aufgabe der
Hersteller: In einem aufwendigen Zulassungsverfahren wird festgelegt, in
welchen Mengen und für welche Lebensmittel ein Zusatzstoff verwendet werden
darf. Zusatzstoffe werden Lebensmitteln absichtlich zugesetzt, um eine
bestimmte Wirkung zu erzielen. Zum Beispiel verbessern sie die Haltbarkeit
oder sorgen dafür, dass die Farbe eines Lebensmittels länger stabil bleibt.
Zusatzstoffe dürfen den Verbraucher aber nicht täuschen. Deshalb müssen sie
nicht nur auf verpackter, sondern auch bei loser Ware gekennzeichnet
werden.
Doch gerade diese Kennzeichnung macht sie offenbar verdächtig, denn ihre
Namen und umso mehr ihre "E"-Nummern lassen an künstliche Verfahren denken,
die nichts mit der Natur gemeinsam haben. Oftmals ist das ein Trugschluss,
da viele Zusatzstoffe natürlichen Ursprungs sind. So ist der
Konservierungsstoff Benzoesäure (E 210) auch in Blaubeeren zu finden. Das
Verdickungsmittel Agar-Agar (E 406) wird aus Rotalgen gewonnen und das
Antioxidationsmittel Zitronensäure (E 330) kommt in zahlreichen Obst- und
Gemüsearten vor. Und mengenmäßig lässt sich die Natur nicht lumpen:
Einhundert Gramm Tomaten enthalten rund dreihundert Milligramm
Zitronensäure, dieselbe Menge Orangen enthält mehr als dreimal so viel. Das
ist sehr viel mehr Säure, als das bisschen, das den Senf vor dem
Braunwerden schützt.
Auch Erfrischungsgetränke wie Eistee haben ungefähr denselben
Zitronensäuregehalt wie Tomaten. Dass Zitronensäure schlecht für die Zähne
ist, gilt als erwiesen. Die Säure in den Tomaten und die im Eistee sind
also gleichermaßen schlecht für die Zähne. Nur bei Tomaten beschwert sich
niemand.
Ob es nun um den Zusatz natürlicher Stoffe geht oder um natürlich
zusammengesetzte Lebensmittel: Der Begriff "natürlich" ist zweifellos
positiv besetzt. Dabei sind viele natürlich vorkommende Inhaltsstoffe
tatsächlich weitaus gefährlicher als die synthetisch hergestellten
Reinsubstanzen, wenn diese kontrolliert zugesetzt werden. Die häufigsten
Allergieauslöser sind beispielsweise natürliche, unverarbeitete
Lebensmittel wie Kuhmilch oder Nüsse.
Die besondere Kennzeichnung der Zusatzstoffe in der Zutatenliste sollte den
Verbraucher eigentlich schlicht besser informieren. Doch das System hat
einen Haken. Denn einige Stoffe, die aus Lebensmitteln isoliert werden und
wie Zusatzstoffe wirken, fallen nicht unter deren gesetzliche Definition.
Damit müssen sie nicht zugelassen werden, erhalten keine E-Nummer und
müssen auch nicht als Zusatzstoff gekennzeichnet werden.
Ein klassisches Beispiel dafür ist der Ersatz des Geschmacksverstärkers
Glutamat durch Hefeextrakte. Hefeextrakt enthält nämlich selbst große
Mengen Glutamat. Der Emulgator Sojalecithin (E 322) wiederum lässt sich
durch hochverarbeitete Milchproteine ersetzen, die im Salatfertigdressing
Fett und Wasser zusammenhalten, aber nicht unter die Zusatzstoffdefinition
fallen. Und damit entfällt die entsprechende Kennzeichnung. Natürlicher
wird das Dressing mit dem Milchprotein sicher nicht, dafür ist das Etikett
sauber.
Das Konzept funktioniert auch bei den Farbstoffen: Färbende Zutaten wie
Fruchtsäfte, Kurkuma oder echtes Karamell sorgen auf natürliche Weise für
bunten Genuss und können kennzeichnungspflichtige Farbstoffe ersetzen. Der
Hinweis "ohne künstliche Farbstoffe" prangt dann groß auf dem Etikett.
Dabei sind zahlreiche Farbstoffe, die als Zusatzstoff zugelassen sind,
ebenfalls natürlichen Ursprungs. Die färbenden Zutaten sind meist ähnlich
hoch chemisch verarbeitet wie Zusatzstoffe.
Letztlich ist die "ohne"-Werbung nicht mehr als ein Marketinginstrument,
das die wissenschaftlich nicht fundierte Diskriminierung
kennzeichnungspflichtiger Zusatzstoffe geschickt auszunutzen weiß. Besser,
gesünder und natürlicher sind die Lebensmittel mit den "sauberen Etiketten"
nicht automatisch. Denn ob ein Lebensmittel gesund ist, lässt sich nicht
allein an der Zahl seiner Zusatzstoffe messen.
8 Oct 2010
## AUTOREN
Christina Rempe
## TAGS
wochentaz
Lebensmittel
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