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# taz.de -- Ist Hefeextrakt das neue Glutamat?: Das Gerücht im Gericht
> Seit der Geschmacksverstärker Glutamat aus vielen Fertiggerichten
> verschwunden ist, ist Hefeextrakt drin. Aber was ist das eigentlich? Und
> ist es ungesund?
Bild: Yummy! Engländer essen Hefeextrakt pur als Brotaufstrich.
Und irgendwann ist es einfach verschwunden. Das E, das Glutamat. Das für
Kopfschmerzen verantwortlich gewesen sein soll, für ein ungesundes Gefühl
im Bauch.
"Ohne Geschmacksverstärker", groß und sichtbar stand es so auf Tütensuppen
und Tiefkühlkost. Denn: Der Geschmacksverstärker, dieses Tuningmaterial für
die Zunge, war ziemlich schlecht angekommen bei den Verbrauchern. Dabei
sollte dank ihm doch bloß alles ein klein wenig besser schmecken.
Geschmacksverstärker können, wie der Name schon sagt, einen Geschmack
tatsächlich verstärken – oder auch einen neuen bilden. Neben süß, sauer,
salzig und bitter lassen sie uns den fünften Geschmackssinn, Umami,
schmecken: herzhaft oder fleischig. Entdeckt wurde Umami von dem Japaner
Kikunae Ikeda, der schon 1908 über den sogenannten gustastorischen Sinn
nachdachte.
Der Grund, Geschmacksverstärker zu verwenden, ist simpel: Während der
Verarbeitung, insbesondere bei Fertigprodukten, verlieren viele
Lebensmittel an Geschmack. Geschmacksverstärker bewirken, dass diese
Produkte wieder mehr nach Fleisch oder Fisch schmecken, und gaukeln vor,
die Nahrung würde mehr Eiweiß enthalten.
Der Nachteil: Geschmacksverstärker blockieren die Sättigungsbremse und
lassen einen immer etwas zu viel essen – den unkontrollierten Griff in die
Chipstüte kennt wohl jeder. Und dann gab es da noch die vielen Gerüchte,
die Zusatzstoffe würden Kopfschmerzen und Herzklopfen verursachen.
Eine Alternative musste her. Also war vorne auf den Tütensuppen immer
häufiger "ohne Geschmacksverstärker" zu lesen. Auf der Rückseite der
Verpackung, in der Liste der Inhaltsstoffe, tauchte dafür ein neuer
Bestandteil auf: Hefeextrakt. Klingt erst mal harmlos: Hefe, so wie im
Hefeteig, was Leckeres also – der Extrakt davon kann ja gar nicht so
schlimm sein. Oder?
Schnell ging ein Aufschrei durch die Reihen der Verbraucher: Von
Etikettenschwindel und Verbrauchertäuschung und "getarntem Glutamat" war
die Rede. Sogar in Lebensmittel aus dem Biomarkt hätte sich der böse
Hefeextrakt eingeschlichen. Ist Hefeextrakt böse? Um eine Antwort darauf zu
finden, muss man ihn erst mal auseinandernehmen, seine Herstellung
verstehen.
Die gängigste Variante, Hefeextrakt – den flüssigen Teil der Hefezellen –
herzustellen, sei die Autolyse, erklärt Carola Strassner. Die 45-Jährige
erforscht an der Fachhochschule Münster Geschmacksverstärker. "Die Autolyse
ist die sanfteste Auflösung der Hefezellen", sagt sie. "Die Hefekulturen
werden auf 50 Grad erwärmt, so bleiben die Enzyme in der Zelle aktiv und
können dann die Zellwände auflösen. Übrig bleibt das Abbauprodukt, der
Hefeextrakt."
Wird der Extrakt unter Zugabe von Salzsäure hergestellt, spricht man von
Hydrolyse. "Im Prinzip besteht aber kaum ein Unterschied zwischen diesen
Herstellungsverfahren", sagt Strassner. Denn Proteine, viele Vitamine und
Mineralstoffe seien immer im Hefeextrakt enthalten. Aber eben immer auch
Glutaminsäure und ja, auch Glutamat, das Salz der Glutaminsäure.
## Der feine Unterschied
Spätestens hier wurden die Verbraucher misstrauisch. Glutaminsäure,
Glutamat: Waren das nicht genau die Stoffe, wegen derer man auf Produkte
"ohne Geschmacksverstärker" umgestiegen war? Ist Hefeextrakt etwa ein
Geschmacksverstärker? "Nein", sagt Carola Strassner. Und erzählt von diesem
kleinen, feinen Unterschied.
"Vom Gesetzgeber her gibt eine sehr klare Definition, was ein
Geschmacksverstärker ist. Nämlich Reinstoffe, die durch E-Nummern
gekennzeichnet werden. In Europa gibt es 28, die mit der Funktionsklasse
Geschmacksverstärker angegeben sind. 6 sind Formen von Glutamat. Dazu
gehören eben auch Glutaminsäure und verschiedene Glutamate." Hefeextrakt
ist aber kein Reinstoff, sondern eine Art Mischprodukt. Wegen seiner
Vitamine, Mineralstoffe und Aminosäuren, die er – neben dem Glutamat – eben
auch enthält.
Glutamat wird aber auch künstlich hergestellt und Lebensmitteln als
Geschmacksverstärker hinzugegeben. Als Zusatz in Lebensmitteln sind sechs
Glutaminsäureverbindungen erlaubt: E 620 bis E 625. Am häufigsten wird wohl
Mononatriumglutamat – E 621 – dazugegeben. Zum Beispiel bei der berühmten
"Chinapfanne".
## Ungeklärtes Chinarestaurant-Syndrom
Glutamat als Geschmacksverstärker war erstmals in den Siebzigern in die
Kritik geraten. Die E-Stoffe, insbesondere Mononatriumglutamat, standen im
Verdacht, das sogenannte "Chinarestaurant-Syndrom" auszulösen. Menschen
litten an Kribbeln oder Taubheit im Nacken und an Schwächegefühl.
Wissenschaftler testeten deshalb in Versuchen Menschen, die angaben, dieses
Syndrom zu haben. Sie fanden jedoch keinen eindeutigen Hinweis auf Glutamat
als Ursache. Das sogenannte Hohenheimer Konsensus-Papier – bislang noch
Standard in der wissenschaftlichen Literatur – kam nach Sichtung vieler
Studien zum Schluss, dass die wissenschaftliche Datenlage nicht ausreicht,
um die Vorwürfe zu bestätigen. Glutamat ist nicht bedenklich, das Gerücht
um seine gesundheitsschädigende Wirkung nicht bewiesen.
Außerdem: Spricht man von Glutamat im Essen, meint man damit die Salze der
Glutaminsäure. Und diese Salze sind natürlicher Bestandteil in praktisch
allen eiweißhaltigen Lebensmitteln und enthalten im Allgemeinen große
Mengen gebundenes und relativ geringe Mengen freies Glutamat. In 100 Gramm
Tomaten sind zum Beispiel 140 Milligramm, in 100 Gramm Parmesankäse sind es
sogar 1.200 Milligramm Glutamat. Verhältnismäßig wenig Glutamat enhält
dagegen Milch von der Kuh: 2 Milligramm pro 100 Gramm.
"In anderen Kulturkreisen und besonders dem angelsächsischen Raum werden
Brotaufstriche mit Hefe oder Extrakte bereits seit Jahrzehnten ohne große
Probleme verspeist", sagt Ernährungsforscherin Carola Strassner. Wer gern
Würz-Hefeflocken statt Parmesan über seine Pasta streut, der kann diese
guten Gewissens genießen. Laut bisherigem Forschungsstand zumindest.
Denn über die Verwendung von Hefeextrakt in Speisen und daraus
resultierende Krankheiten ist bislang wenig bekannt. "Die Unverträglichkeit
von Hefeextrakt wurde bis jetzt aber auch kaum untersucht, denn er wird ja
eher als Zutat und nicht als Zusatzstoff verstanden", sagt Carola
Strassner. Sie glaubt, die Unverträglichkeit könnte vielmehr eine
Mengenfrage sein. "Man muss sich eingestehen, dass wir in der westlichen
Welt Veränderungen im Essverhalten haben und Produkte konsumieren, die
immer mehr Zusatzstoffe enthalten. Da kann es bei bestimmten Menschen eine
Sensibilität für zu hohe Mengen geben." Gibt es Alternativen?
## Biohefeextrakt als Alternative
Es gibt sie. Laut EU-Öko-Verordnung soll ab dem 31. Dezember 2013 nur noch
Biohefeextrakt seinen Weg in die Biospeisen finden. "Wir beobachten auf dem
Lebensmittelmarkt schon, dass manche Firmen ihre Rezeptformulierungen
umändern und gänzlich ohne Hefeextrakt auskommen." So würden auch die
resistenten Glutamatskeptiker besänftigt.
Ob Biohefeextrakt nun verträglicher oder unverträglicher ist, das kann
Carola Strassner nicht sagen. "In den Zellstoffen sind dieselben
Bausteine." Glutamat ist also auch im Bioextrakt aufzufinden. Je nach
Produkt dürfte die Geschmacksverstärkung mal leichter und mal stärker sein.
Denn der Biohefeextrakt verstärkt den Geschmack nicht immer in der Art, wie
dies synthetisch hergestellter Extrakt tut.
Einfach nur herkömmliche Hefe ins Essen mischen, würde den Geschmack
übrigens nicht intensivieren. Warum nicht? Weil "die Zellen ja noch intakt
sind und beim Essen nicht ausreichend aufgebrochen werden".
Die einfachste und unumstrittenste Lösung lautet immer noch schlicht:
nachwürzen. Mit Kräutern, Zwiebeln, Sellerie. Oder Nüsse, Speckwürfel, Wein
oder Spirituosen beigeben – Lebensmittel, für die sich Carola Strassner
einsetzen würde, wenn sie das irgendwie könnte: "Ich hoffe, dass wir wieder
mehr darüber nachdenken, dass Kräuter und Gewürze auch Lebensmittel sind."
Ein Geschmacksverstärker im gesetzlichen Sinne ist Hefeextrakt also nicht,
der Vorwurf, er würde Kopfschmerzen auslösen, nicht belegt.
8 Oct 2011
## AUTOREN
Jan Wehn
## TAGS
wochentaz
Lebensmittel
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