# taz.de -- Jahrestag des Attentats von Christchurch: Aus den Gedärmen des Int… | |
> Vor fünf Jahren erschoss in Neuseeland ein Australier 51 muslimische | |
> Betende. Die Ermittler waren überrascht – dabei hatte er alles | |
> aufgeschrieben. | |
Bild: Tage nach dem Attentat 2019: Polizisten vor der Moschee in Christchurch | |
CANBERRA taz | Brenton Tarrant betrat am 15. März 2019 die Al-Noor-Moschee | |
in der neuseeländischen Stadt Christchurch mit nur einem Ziel: [1][so viele | |
Muslime zu töten, wie er nur konnte]. Mit einem Schnellfeuergewehr – bemalt | |
mit rechtsextremen, rassistischen Parolen – feuerte der Australier auf die | |
Betenden. Verletzten, die um Gnade flehten, schoss er in den Kopf. Danach | |
fuhr Tarrant zu einer zweiten muslimischen Gebetsstätte und tötete weiter. | |
Der genaue Ablauf der Tat ist so klar, weil der Täter seine Verbrechen mit | |
einer Helmkamera live ins Internet übertrug. Das Video wurde zwar von | |
entsprechenden Online-Anbietern entfernt. Wer lange genug sucht, kann es | |
trotzdem finden. Es zeigt so viel Brutalität, dass das Teilen des Videos in | |
Neuseeland mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft wird. Tarrant wurde kurz nach | |
der Tat festgenommen und später [2][zu lebenslänglicher Haft verurteilt]. | |
Der Terrorismus- und Extremismusforscher Chris Wilson von der Universität | |
Auckland erklärt, das Verbrechen sei für Neuseeland völlig unerwartet | |
gewesen. Es gab „damals keine Anzeichen“ für einen bevorstehenden | |
rechtsextremen Anschlag dieser Größe, so der Akademiker. | |
Zumindest war den Behörden nichts aufgefallen. Tarrant war in Verhören mit | |
der Polizei relativ offen, was seinen Weg zur Radikalisierung betrifft. Ein | |
offizieller Untersuchungsbericht scheint den Aussagen des Täters zu | |
glauben, er habe vorwiegend den Videokanal Youtube genutzt, um sich über | |
Themen zu informieren, die ihm wichtig waren. | |
## Tarrant hielt das Töten Unschuldiger für notwendig | |
Das machte Chris Wilson und sein Team von Terroranalysten stutzig. Sie | |
gingen auf die Suche nach dem digitalen Fußabdruck des Massenmörders. In | |
den dunkelsten Gedärmen des Internets, auf der Plattform 4chan, seien sie | |
fündig geworden, meint der Forscher: „Wir haben Beiträge von ihm gefunden, | |
die bis 2014 zurückgingen“. | |
4chan ist ein englischsprachiges Imageboard, auf dem jeder und jede anonym | |
alles posten kann. Unter Extremisten beliebt ist das Forum, weil selbst | |
rassistischste Meinungen und Aufforderungen zu Gewalt ungefiltert | |
publiziert und nicht moderiert werden. Die Forscher lasen tausende anonyme | |
Beiträge. Schließlich identifizierten sie Tarrants Handschrift anhand | |
seiner Berichte von Reisen durch Europa und Asien. Es war eine forensische | |
Meisterleistung. | |
Die wichtigste Erkenntnis: Tarrant hatte schon 2015 seine mörderischen | |
Absichten klargemacht, vier Jahre vor der Bluttat. Wilson: „Er war damals | |
schon so weit radikalisiert, dass er Gewalt als legitim und notwendig | |
erachtete. Das Töten unschuldiger, farbiger Menschen in historisch | |
wichtigen Kulturstätten sei notwendig, schrieb er damals“. | |
In den folgenden Jahren hätten sich diese Ansichten kaum noch geändert, | |
meint der Forscher. Nur sein Fokus auf Muslime sei stärker geworden, und | |
auf Moscheen als Angriffsziel. Schließlich nahm der Australier in | |
Neuseeland Wohnsitz und erwarb auf legalem Weg mehrere halbautomatische | |
Waffen, mit denen er die Tat ausführte. | |
## Sicherheitsbehörden in Zukunft aufmerksamer? | |
Die damalige neuseeländische Premierministerin [3][Jacinda Ardern] | |
reagierte nach dem Amoklauf mit den Worten, „solcher Extremismus“ gehöre | |
nicht zu Neuseeland. Chris Wilson stimmt ihr zu. Er erinnert, dass der | |
Täter Australier ist und nicht in Neuseeland radikalisiert wurde, sondern | |
im Internet. „Und das ist länderübergreifend“, so Wilson. | |
Das Imageboard 4chan verurteilt der Forscher mit scharfen Worten: „Die | |
Plattform ist praktisch Online-Faschismus. Die Gewalt ihrer Mitglieder | |
belebt das Forum genauso, wie Faschisten glauben, Gewalt sei notwendig, um | |
die Lebenskraft einer Nation zu garantieren“. | |
Hätte das Massaker von Christchurch verhindert werden können? Im Nachhinein | |
sehe immer alles einfacher aus, meint Wilson diplomatisch. Es sei jedoch | |
bedenklich, dass es sein Team gebraucht habe, um Tarrants Beiträge in 4chan | |
zu finden. „Es gab verschiedene Indikatoren, sowohl online als auch in | |
seinem Alltagsverhalten, die gezeigt hätten, dass sich Tarrant auf dem Weg | |
zur Gewalt befand.“ | |
Wilson hofft, dass die neuseeländischen Sicherheitsbehörden in Zukunft | |
besser mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten werden, um ein weiteres | |
Christchurch zu verhindern. | |
14 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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