Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jahrestag des Christchurch-Attentats: Vernetzter Hass
> Fünf Jahre nach dem Christchurch-Attentat sind die Debatten viel weiter
> nach rechts gerutscht. Strategien gegen Radikalisierung gibt es quasi
> nicht.
Bild: Fünfzig paar weiße Schuhe als Erinnerung an die Opfer des Anschlags in …
Am 15. März 2019 verübte Brenton Tarrant einen koordinierten Angriff auf
zwei Moscheen während des Freitagsgebets in der neuseeländischen Stadt
Christchurch. Seine Tat streamte er auf Facebook. Dieser aus Hass
motivierte Anschlag forderte 51 Leben und ließ Dutzende Verletzte zurück.
Brenton Tarrant wird später zu einer lebenslangen Haft verurteilt.
Bis zu diesem Tag war Christchurch wohl am ehesten für seine schönen Gärten
und Parks bekannt. Das Zusammenleben war immer geprägt von Offenheit.
Heute, fünf Jahre nach dem Massaker, ist Christchurch eine Erinnerung
daran, dass selbst eine kleine und ruhige Gesellschaft am Rande der Welt
nicht immun gegen Terrorismus ist. Hass kennt keine Grenzen, erst recht
nicht in Zeiten sozialer Medien.
Seine Live-Übertragung unterlegte Tarrantmit einem Kriegslied der
bosnischen Serben aus den 1990er Jahren. Es verherrlicht und glorifiziert
den Genozid, der von der Armee der bosnischen Serben mit Unterstützung der
jugoslawischen Volksarmee während des Bosnienkrieges (1992 bis 1995)
begangen wurde. Das Kampflied, entstanden 1993, zielte darauf ab, die
Kampfmoral der serbischen Truppen zu stärken.
Heute würde es niemand mehr kennen, wäre nicht vor etwa zehn Jahren eine
neue Version erschienen. Ein unbekannter Youtube-Kanal stellte es mit dem
Namen „Remove Kebab“ ins Internet. Diese neu inszenierte Version, untermalt
von antimuslimischen Botschaften, erreichte Millionen Aufrufe.
## Verbrechen im Bosnienkrieg
Das Lied zollt dem serbischen Führer [1][Radovan Karadžić] Tribut. Er wurde
2016 vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien
unter anderem für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Genozid verurteilt. Heute genießt er unter serbischen Nationalisten noch
immer Kultstatus.
Der Strafgerichtshof legte in seinem Verfahren ein besonderes Augenmerk auf
[2][Srebrenica]. Dort ereignete sich der blutige Höhepunkt des langen
Krieges, der gezeichnet war von Belagerung, Vergewaltigungs- und
Konzentrationslagern und humanitären Krisen.
Die Stadt wurde am 11. Juli 1995 von den Truppen der bosnischen Serben
unter dem Kommando von [3][Ratko Mladić] eingenommen. Was über die nächsten
Tage folgte, war die Ermordung von mindestens 8.372 Bosniaken.
Gegen Mittag betraten Mladić und seine Truppen die Stadt. Im Stadtzentrum
posierte der General für die Kameras und erklärte: „Hier stehen wir, am 11.
Juli 1995, im serbischen Srebrenica. Am Vorabend eines weiteren großen
serbischen Feiertags übergeben wir diese Stadt als Geschenk an das
serbische Volk. Endlich, nach dem Aufstand gegen die Dahis, ist die Zeit
gekommen, in dieser Region [4][Rache] an den Türken zu nehmen.“
## Beeinflusst von Breivik
Wenn Mladić von „Rache“ an den „Türken“ spricht, nutzt er eine histor…
beladene Sprache, um eine direkte Verbindung zwischen den Bosniaken und den
Osmanen, die während der Herrschaft des Osmanischen Reichs christliche
Bevölkerungsgruppen unterdrückten, herzustellen. Natürlich haben die Türken
heute nicht wirklich etwas mit Bosniaken gemeinsam. Es gilt aber bis heute
als Schimpfwort.
Dessen war sich Brenton Tarrant auch bewusst. Vor dem Attentat besuchte er
die Region mehrmals. Er war inspiriert von den Befreiungskämpfen der
Balkanvölker gegen die osmanische Herrschaft. Möglicherweise sah er eine
Verbindung zwischen sich und historischen Gestalten wie dem serbischen
Fürsten Lazar, der im 14. Jahrhundert auf dem Amselfeld gegen die Osmanen
kämpfte, oder anderen „Verteidigern des christlichen Glaubens“. Tarrant war
auch beeinflusst von dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik,
der in seinem über 300 Seiten langen Manifest nahezu besessen vom
Westbalkan und den Serben schrieb und auf der Insel Utøya, verkleidet als
Polizeibeamter, 69 Menschen tötete, überwiegend Jugendliche.
Die „Great Replacement Theory“ wird von beiden Massenmördern in ihren
Manifesten erwähnt. Es ist eine rechtsextreme Verschwörungstheorie, die
behauptet, dass die weiße, christliche Bevölkerung durch nichteuropäische
Einwanderer ersetzt werden soll. Ideen beeinflussen Menschen. Und wie
Tarrant und Breivik greifen manche Menschen zur Waffe, um für diese Ideen
einzustehen. Solche Ideologien sind aber nicht nur in diesem Kontext
gefährlich. Sie sind gefährlich unabhängig davon, um welches Land, welche
Religion oder Ethnie es sich handelt.
Sie zeigen auch, was möglich ist. Speziell in Christchurch handelt es sich
um eine Gemeinschaft, die Migration oder Integration nie als Probleme sah.
Brenton Tarrant stammt aus einer relativ gewöhnlichen Familie und lebte in
einem friedlichen Staat. Wo, wenn nicht im Internet, hätte er sich
radikalisieren sollen?
Konkrete Pläne, was gegen Radikalisierung getan werden kann, gibt es nicht
wirklich. Der Fokus liegt am ehesten auf der Gefahr, die von islamistischen
Extremisten ausgeht. Was auch der Grund ist, warum den Sicherheitsbehörden
in Neuseeland nichts auffiel.
Die Debatten rund um diese Themen sind heute viel weiter nach rechts
gerutscht. Wer sich die Wiederherstellung des weißen, christlichen Europas
wünscht, kann das ganz offen aussprechen. Das geht am Westbalkan etwa Hand
in Hand mit der Glorifizierung von Kriegsverbrechen.
In Österreich und Deutschland kursieren sogenannte Remigrationspläne. Die
Frage ist, was vor dem Hintergrund des Aufstiegs von rechtsextremen
Parteien dagegen unternommen wird. Diese Ideologien sind tief verwurzelt,
ihre Träger sind weltweit vernetzt und brandgefährlich. Niemand weiß, was
sie als Einzelne auslösen können. Dieser Einzelne kann am anderen Ende der
Welt sitzen, oder in der Nachbarschaft.
15 Mar 2024
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-Radovan-Karadic/!5286587
[2] /UN-Tribunal-in-Den-Haag-zu-Srebrenica/!5465800
[3] /Kriegsverbrechen-in-Ex-Jugoslawien/!5776709
[4] /Massenmord-in-Ex-Jugoslawien/!5207084
## AUTOREN
Dennis Miskić
## TAGS
Anders Breivik
antimuslimischer Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Christchurch
Schwerpunkt Rechter Terror
Terror
Srebrenica
Ideologie
Abdel Fattah al-Sisi
Neuseeland
Bosnienkrieg
Srebrenica
## ARTIKEL ZUM THEMA
EU-Ägypten-Abkommen: Europas neuer Lieblings-Diktator Sisi
Die EU und Ägypten unterschreiben ein neues Abkommen: Eine gut gefüllte
Finanzspritze für Herrscher al-Sisi und vielleicht weniger Migranten für
die EU.
Jahrestag des Attentats von Christchurch: Aus den Gedärmen des Internets
Vor fünf Jahren erschoss in Neuseeland ein Australier 51 muslimische
Betende. Die Ermittler waren überrascht – dabei hatte er alles
aufgeschrieben.
Beginn des Bosnienkriegs vor 30 Jahren: Hilflos, unklar und teils vergessen
Am 6. April 1992 begann der Krieg in Bosnien. Die diffuse Haltung der
deutschen Gesellschaft diesem Land gegenüber hat sich bis heute nicht
geändert.
Historikerin zu Massaker von Srebrenica: „Das war der ultimative Weckruf“
Im Juli 1995 ermordeten serbische Milizen 8.300 muslimische Bosniaken. Die
Welt schaute zu. Die Historikerin Marie-Janine Calic zur Frage: Warum?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.