# taz.de -- Hysterie um Transnistrien: Bedrohung oder Angstmacherei | |
> Schon wieder heißt es, Transnistrien suche Schutz bei Russland. Das war | |
> auch schon letztes Jahr so, gefolgt ist daraus aber nichts. | |
Bild: Wer vage um „Schutz“ bittet, lässt Russland offen, wann und wie es a… | |
Wenn ich eines gelernt habe in den vergangenen zwei Jahren, dann, dass | |
leider vieles möglich ist, das ich niemals für möglich gehalten hätte. Den | |
[1][russischen Überfall auf die gesamte Ukraine] zum Beispiel, und auch | |
[2][den 7. Oktober in Israel], um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber nur | |
weil sich der Schrecken schon einmal gezeigt hat, heißt das nicht, dass | |
jede Kleinigkeit zu einer riesigen Bedrohung hochstilisiert werden muss. | |
In der letzten Woche bekam ich diesen Eindruck, als ich Nachrichten darüber | |
las, dass [3][Transnistrien], die russisch geprägte Separatistenregion in | |
der Republik Moldau, angeblich einen Anschluss an die Russische Föderation | |
fordern würde. Es gab, so fair muss ich sein, abwägende Stimmen dazu. Und | |
wiederum andere, die sich sehr sicher waren: Die nächste Eskalation steht | |
kurz bevor. | |
Vor fast genau einem Jahr [4][schrieb ich in dieser Kolumne] über eine | |
angebliche geplante Provokation in Transnistrien. Gerüchte machten sich | |
damals breit, wonach Kyjiw eine False Flag Operation, die man als | |
russischen Angriff inszenieren wolle, planen sollte. Nun, Gerüchte sind | |
eben Gerüchte, keine Fakten. Es kam nie zu dieser Eskalation, sehr bald | |
konnte sie als russische Desinformation enttarnt werden. | |
Ich fühle mich in einer Dauerschleife gefangen: Denn ebenfalls damals | |
warnte ich davor, solche Gerüchte ohne ausreichend Kontext (oder Expertise) | |
zu einer großen Bedrohung aufzubauschen. Nicht, dass [5][das kleine Moldau] | |
auf seinem Weg Richtung EU nicht bedroht ist. Es gibt jedoch einen | |
Unterschied zwischen realer Bedrohung und platter Angstmacherei. Der Grat | |
dazwischen ist schmal. | |
Zurück ins Heute: Die Meldung über den angeblichen bevorstehenden Anschluss | |
an Russland hatte vergangene Woche der transnistrische | |
„Oppositionspolitiker“ Ghenadie Ciorba in die Welt gesetzt – und damit zu | |
Teilen eine Hysterie ausgelöst. | |
## Vieles ist möglich, selbst das Undenkbare | |
Wovor Ciorba gewarnt hatte, ist nicht eingetreten. Aber: Abgeordnete | |
Transnistriens stimmten einem Antrag zu, der sich wie ein einziger Appell | |
liest. Appelliert wird an Russland, an die OSZE, die EU und die UN. Moldau | |
verletze die Rechte und Freiheit transnistrischer Bürger, heißt es darin, | |
und das europäische Parlament wird deshalb aufgefordert, Druck auszuüben | |
auf Moldau. Von Russland fordern die Abgeordneten „Schutz“ vor dem „Druck | |
aus Moldau“. Wie dieser Schutz durchgesetzt werden soll, ob militärisch | |
oder diplomatisch, das bleibt offen. | |
Druck aus Moldau, das klingt hart. Wäre die Führung der Scheinrepublik | |
ehrlich, müsste sie aber sagen: Es geht uns seit dem russischen | |
Angriffskrieg in der Ukraine miserabel. Die Wirtschaft ist eingebrochen, | |
weil die Grenze zur Ukraine dicht ist und wir dadurch weder importieren | |
noch exportieren können. Danke für nichts an den Bruderstaat! Aber wer | |
Ehrlichkeit von einer kriminellen Oligarchenvereinigung verlangt, die | |
ideologisch und finanziell an Russland hängt, kann natürlich lange warten. | |
Russlands Präsident Wladimir Putin ging in seiner jährlichen Rede zur Lage | |
der Nation am Donnerstag nicht auf Transnistriens Wunsch ein. Transnistrien | |
bleibt also vorerst Transnistrien auf dem Gebiet der Republik Moldau. Ein | |
Einfallstor bleibt leider: Wer vage um „Schutz“ bittet, lässt Russland | |
offen, wann und wie es auf die Bitte reagiert. Wie wahrscheinlich ein | |
russisches Eingreifen ist? Vieles ist möglich, selbst das Undenkbare. | |
Wenn die Hysterie der letzten Woche etwas Gutes hatte, dann, dass wieder | |
Aufmerksamkeit auf der Region liegt – ich hoffe, für länger. Ende des | |
Jahres stehen in Moldau Präsidentschaftswahlen an. Und Russland will die | |
amtierende pro-westliche Präsidentin Maia Sandu nicht gewinnen sehen. Mit | |
Desinformation versucht Russland, das kleine Land zu destabilisieren. Da | |
wäre Sorge tatsächlich mal angebracht. | |
2 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Zoegerliche-Waffenlieferung/!5907354 | |
[2] /Schuld-und-Krieg-im-Nahen-Osten/!5990145 | |
[3] /Kriegsgefahr-in-Transnistrien/!5857844 | |
[4] /Kolumne-Grauzone/!5917246 | |
[5] /Kriegsangst-in-Moldau/!5901182 | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
## TAGS | |
Kolumne Grauzone | |
Russland | |
Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine | |
Transnistrien | |
GNS | |
Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine | |
Republik Moldau | |
Republik Moldau | |
Kolumne Grauzone | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Abhörfall bestätigt | |
Das Verteidigungsministerium räumt ein, dass eine russische Bespitzelung | |
vertraulicher Gespräche stattfand. Paris will von Spannungen mit Berlin | |
nichts wissen. | |
Abtrünnige Region Transnistrien: Russland soll helfen | |
Wegen einer Wirtschaftsblockade durch die Republik Moldau hat die Region | |
Transnistrien Russland um Schutz gebeten. | |
Ökodorf in der Republik Moldau: Trockenklo und Zukunftslust | |
Moldau gilt als ärmstes Land Europas. Trotzdem setzen sich hier immer mehr | |
Menschen für den Klimaschutz ein. Etwa in dem Ökodorf EcoVillage Moldova. | |
Kolumne Grauzone: Falsche Friedenstauben für den Müll | |
Zum Jahrestag des Angriffskriegs auf die Ukraine verbreitete Russland | |
Desinformation. Die angebliche geplante Provokation in Transnistrien fiel | |
aus. |