# taz.de -- Deutsche Schulen in Rumänien: Sprache als Investition | |
> An deutschsprachigen Schulen in Rumänien lernen fast nur rumänische | |
> Kinder. Viele Eltern erhoffen sich davon bessere Zukunftschancen. | |
Bild: Auch am Nationalkolleg George Coşbuc in der rumänischen Stadt Cluj-Napo… | |
CLUJ-NAPOCA taz | Es ist die erste Hofpause, als Andrea Szász zum | |
Haupteingang des Nationalkollegs George Coşbuc [1][in Cluj-Napoca] kommt. | |
In der zweitgrößten Stadt Rumäniens liegt Ende Januar noch etwas Schnee auf | |
dem grünen Kunststoffboden, über den Kinder kurz vor 9 Uhr rennen. | |
Andrea Szász ist hier eine der zwei stellvertretenden Schulleiterinnen, | |
vertretungsweise ist sie für den deutschen Zweig verantwortlich. Sie läuft | |
durch den Innenhof in ein angrenzendes Gebäude und erklärt dabei, wo welche | |
Klassen unterrichtet werden. Worte wie „Fantasie – Imaginație“ zieren die | |
Schulwände, fast alle Schilder im Schulgebäude sind zweisprachig – Deutsch | |
und Rumänisch. So auch das Namensschild an der Tür, die zu Andrea Szász’ | |
Büro führt. | |
Die stellvertretende Schulleiterin ist eine kleine Frau, ihr Gesicht wird | |
von einem gut gepflegten roten Bob eingerahmt. Passend dazu trägt sie eine | |
Brille mit rosa Rand und ein beiges Kostüm. Ihr Büro ist voller | |
Papierstapel mit kleinen Zettelchen darauf. Sie entschuldigt sich, in der | |
kommenden Woche stehen die Probeprüfungen für die achten Klassen an. Szász | |
spricht perfektes Deutsch, schließlich hat sie selbst den deutschen Zweig | |
der Schule 1981 abgeschlossen. | |
Am Nationalkolleg George Coşbuc lernt die Mehrheit der rund 1.480 | |
Schüler:innen auf Deutsch. Die Schule ist eine staatliche Schule im | |
rumänischen Bildungssystem, aber mit deutschsprachigem Zweig. Die meisten | |
Kinder, die diesen besuchen, sind Rumän:innen. Kaum jemand gehört noch zur | |
deutschen Minderheit, die seit Jahrhunderten hier in Siebenbürgen lebt. | |
Im Schuljahr 2022/23 haben in Rumänien über 22.200 Schüler:innen in | |
staatlichen Einrichtungen gelernt, in denen auf Deutsch auf | |
Muttersprachenniveau unterrichtet wird. Das bedeutet, dass von der | |
Vorbereitungsklasse bis zum Abitur im deutschen Zweig die meisten Fächer | |
auf Deutsch unterrichtet werden – theoretisch zumindest. In der Praxis | |
fehlt es oft an Fachlehrkräften, die ihre Fächer auf diesem Sprachniveau | |
beherrschen. | |
Normalerweise lernen an der Coşbuc-Schule drei Klassen parallel auf | |
Deutsch, zwei auf Rumänisch pro Jahrgang. „Einmal haben die Eltern Druck | |
gemacht, dass die Schulbehörde noch eine extra Deutschklasse als | |
Vorbereitungsklasse genehmigen soll“, erzählt Szász. Das sind die jetzigen | |
achten Klassen, die im nächsten Schuljahr aufgrund des Raummangels keine | |
eigenen Klassenräume haben werden. Ein weiteres Problem betreffe den | |
Lehrermangel. „Man musste ja auch eine Grundschullehrerin finden, die in | |
deutscher Sprache unterrichten kann“, erzählt Szász. | |
## Mangel an Fachpersonal | |
Diesen Mangel an deutschem Fachpersonal bekommen vor allem die | |
Schüler:innen zu spüren. Eine davon ist Daria Stanciu. Die 15-Jährige | |
besucht die neunte Klasse an der George-Coşbuc-Schule. Zusammen mit ihrem | |
Vater Bogdan Stanciu trifft sie die taz in einem Café einige Straßen von | |
ihrer Schule entfernt. Sie bestellt eine heiße Schokolade mit Sahne und | |
spricht auf Deutsch. Ihr Vater spricht dagegen Englisch. Ob es komisch für | |
ihn sei, dass seine Tochter eine Sprache spricht, die er nur auszugsweise | |
versteht? „Ja, aber es war zu erwarten“, sagt er. | |
Er und Darias Mutter hätten damals bewusst entschieden, dass Daria den | |
deutschsprachigen Zweig der Schule besuchen soll. „Es ist ein Vorteil, | |
neben Englisch auch Deutsch zu sprechen“, erklärt Bogdan Stanciu die | |
Entscheidung. Generell sei es gefragt, „Deutsch zu können in Zentral- und | |
Osteuropa. Aber man kann es nicht überall lernen“, sagt er. Hier in Cluj | |
gäbe es zwar nicht die beste Deutschausbildung in Rumänien, „aber immerhin | |
kann man es hier lernen.“ | |
Er hofft für seine Tochter Daria, dass ihr am Ende ihrer Ausbildung damit | |
alle Wege offenstehen, sie „fit für die Zukunft ist.“ Sie selbst würde am | |
liebsten später nach England gehen und dort Schauspiel studieren. Aber das | |
sei zu teuer – wenden sie und ihr Vater ein. Alternative Zielländer wären | |
Deutschland oder die Niederlande. | |
Wenn Daria Stanciu redet, spricht sie überwiegend Deutsch. Immer wieder | |
entschuldigt sie sich für Grammatikfehler, das sei ihre größte Schwäche. | |
Deswegen nehme sie auch einmal die Woche privaten Nachhilfeunterricht. Denn | |
ihre Eltern könnten ihr nicht helfen. Daria Stanciu hat die meisten Fächer | |
auf Deutsch, aber weniger, als sie eigentlich sollte. Die Schülerin holt | |
aus ihrer Handyhülle ein abgegriffenes Papier raus und faltet es auf. Es | |
ist ihr Stundenplan. | |
„Wir haben zum Beispiel in Mathe einen Lehrer, der kein Deutsch spricht. | |
Auch Englisch, Rumänisch, Chemie und Physik ist auf Rumänisch“, sagt sie | |
dazu. Sie erklärt sich das damit, dass sie das philologische Profil besucht | |
und später keine Prüfung in den Naturwissenschaften schreiben muss. Ihr | |
Vater vermutet hingegen, dass der Personalmangel dafür verantwortlich ist. | |
Man bemühe sich, „die Klassen, die schwerpunktmäßig auf ein bestimmtes Fach | |
festgelegt sind, auch in diesen Schwerpunktfächern auf Deutsch zu | |
unterrichten“, erklärt die stellvertretende Schulleiterin Andrea Szász. | |
Wenn es aber keine deutschsprachigen Lehrer gäbe, würden sie durch | |
rumänische ersetzt. Im Idealfall würden natürlich alle Fächer für alle | |
Deutschklassen auf Deutsch unterrichtet. | |
Doch davon ist man noch entfernt. Für Lehrkräfte, die Fächer auf Deutsch | |
auf Muttersprachenniveau unterrichten, gäbe es deshalb zwei Mal im Jahr | |
eine „kleine Motivation“, wie Szász es nennt. Gemeint ist eine zusätzliche | |
finanzielle Aufwandsentschädigung, zusätzlich zum Lehrergehalt. Das Geld | |
dafür komme im Rahmen des Projekts „Förderung von Lehrkräften im | |
deutschsprachigen Schulwesen Rumäniens“ aus Deutschland, erklärt sie. | |
Aber das hilft offenbar auch nicht, die deutschsprachigen Lehrkräfte in den | |
Schulen zu halten. Monika Hay, die Schulleiterin des | |
Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums in Sibiu, kennt das Problem ebenfalls. Sie | |
leitet eine der ältesten deutschsprachigen Schulen in Rumänien. „Es gibt | |
weniger Unterricht auf Deutsch. Es gehen mehr Lehrkräfte in Rente, als | |
junge deutschsprachige Kollegen nachkommen“, sagt Hay der taz am Telefon. | |
Außerdem ziehe es Hochschulabsolvent:innen vor allem in den | |
naturwissenschaftlichen Fächern häufig in die Wirtschaft. „Der Lehrerberuf | |
ist nicht so attraktiv. Es gibt auch weniger junge rumänischsprachige | |
Lehrer in den MINT-Fächern“, so Hay. | |
Die Gesamtzahl der Lehrer:innen ist allerdings noch nicht problematisch. | |
Nach einem Bericht des rumänischen Bildungsministeriums sank die Zahl seit | |
2014/15 nur leicht, um knapp 4.000 auf 212.332 Lehrer:innen im Schuljahr | |
2022/2023. | |
## Unterfinanziertes Bildungssystem | |
Mit Blick auf die gesamte Situation im rumänischen Bildungssystem sei das | |
größte Problem die Unterfinanzierung, sagt Simona Szakács-Behling, | |
Bildungsforscherin an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in | |
Hamburg. Sie ist selbst in Rumänien zur Schule gegangen und hat zur | |
Entwicklung des rumänischen Bildungssystems nach dem Zerfall des | |
kommunistischen Regimes 1989 promoviert. „Insgesamt hat sich die | |
Finanzierung des rumänischen Schulsystems in den letzten 20 Jahren | |
verbessert. Aber die Veränderung passiert so langsam, dass es so wirken | |
kann, als würde gar nichts passieren“, erklärt Szakács-Behling. | |
Sie versteht die Kritik der Schulleiterinnen am Lehrermangel: „Die | |
Versprechen der Politik für das Bildungswesen sind viel größer als die | |
eigentlichen Veränderungen.“ Dennoch sei das größte Problem nicht der | |
Personalmangel. Szakács-Behling verweist auf aktuelle Statistiken aus | |
Rumänien zum Personalschlüssel: „Im Messzeitraum 2022/23 liegt das | |
Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden in Rumänien bei 14, Schulen und | |
Universitäten mit einberechnet“, zitiert sie. Es kommen also 14 | |
Schüler:innen oder Studierende auf eine Lehrkraft. Zum Vergleich: In | |
Deutschland lag das Verhältnis bei Schulen im Jahr 2022 laut | |
Bildungsministerium bei 13,3. | |
Szakács-Behling weist darauf hin, „dass aufgrund von Emigration“ in | |
Rumänien nicht nur die Zahl der Lehrkräfte, sondern auch die der | |
Schüler:innen abnehme. Tatsächlich werden im Schuljahr 2022/23 nur rund | |
2,8 Millionen Schüler:innen in voruniversitärer Bildung gezählt. Im | |
gleichen Bericht des rumänischen Bildungsministeriums wird für das | |
Schuljahr 2014/15 eine Schüler:innenzahl von rund 3,1 Millionen | |
genannt. | |
## Zielland Deutschland | |
Viele Rumän:innen wandern auch nach Deutschland aus. Laut Statistischem | |
Bundesamt ist Rumänien nach der Ukraine 2022 das zweithäufigste | |
Herkunftsland von Einwanderern in Deutschland. Aber auch innerhalb | |
Rumäniens [2][wächst die Bedeutung der deutschen Sprache], da deutsche | |
Firmen stark in Rumänien vertreten sind. So ist Deutsch auch aus | |
ökonomischen Gründen eine attraktive Sprache geworden. | |
Außerdem können sich immer mehr Familien leisten, in die weitere Ausbildung | |
ihrer Kinder zu investieren, erklärt Bildungsforscherin Szakács-Behling. | |
„Ähnlich wie in Deutschland mehr Familien früh in die Englischbildung ihrer | |
jungen Kinder investieren wollen, da es als eine Form ‚transnationalen | |
Humankapitals‘ verstanden wird, investieren manche rumänische Eltern | |
zusätzlich zu Englisch in die deutsche Sprachausbildung ihrer Kinder“, | |
erklärt sie. Meist seien das sozial, ökonomisch und kulturell besser | |
positionierte Familien. | |
Und durch die historischen Verbindungen der deutschsprachigen Minderheit | |
vor allem in Siebenbürgen gäbe es „hier bereits deutschsprachige | |
Strukturen“. So wollten Eltern ihren Kindern mehr Chancen auf dem | |
Arbeitsmarkt verschaffen – genau wie Daria Stancius Eltern. Oder wie es | |
die stellvertretende Schulleiterin in Cluj-Napoca, Andrea Szász, | |
zusammenfasst: „Deutsch ist einfach ein Plus.“ | |
1 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anne Frieda Müller | |
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