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# taz.de -- Roman: Krise einer Übersetzerin
> Friede, Freude, Mutterkuchen: Unglückliche, einsame Erzähler gibt es
> viele in der Literatur. Slata Roschal mutet dies jetzt einer Erzählerin
> zu.
Bild: „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“, Roman vo…
Eine Übersetzerin flieht vor ihrem Leben, sie landet in einem Hotel, einem
Raum für sich allein, wo sie endlich eine Auftragsarbeit ausführen möchte.
Es braucht nicht viele Worte, um den Plot von Slata Roschals neuestem Roman
„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“
zusammenzufassen. Doch um den Plot geht es nicht, vielmehr ums Sprechen und
Verstummen.
Die Übersetzerin hat alles und nichts, ihr Leben wahlweise ein Traum oder
eine Liste von Chiffren der Tristesse: ein Häuschen auf dem Lande in
Meck-Pom, ein Mann, zwei Kinder, Friede Freude Mutterkuchen. Natürlich ist
diese Frau unglücklich, umso mehr, als sie eben keine gefeierte
Übersetzerin ist, sondern eine, die um jedes Stipendium betteln muss.
Nun soll sie die Briefe eines deutschen Auswanderers aus der
Zwischenkriegszeit ins Englische übersetzen. Da schreibt ein Joe seiner
Mary im Jahre 1927; er will sie aus Bayern zu sich nach Milwaukee holen.
Einer, der nach Amerika ausgewandert ist und Deutschland hinter sich
gelassen hat, noch vor dem Nationalsozialismus. Doch wo ist Mary, warum
antwortet sie nicht?
Dem Buch ist das bekannte Amerika-Zitat aus Dostojewskis „Verbrechen und
Strafe“ vorangestellt: „Und wenn man dich fragen sollte, dann sag nur, ich
sei wohl nach Amerika gefahren.“ Doch folgt auf den Satz ein Selbstmord.
Amerika als Fluchtpunkt für die Verbrecher und Verfolgten, die
Hoffnungsvollen und Gescheiterten, displaced people.
## Ein subjektiver Prozess
Die Übersetzerin tritt in den Dialog mit den Briefen, als könne sie nur
hier zu einer eigenen Sprache finden, als wolle sie deutlich machen, was
übersetzen ist: ein subjektiver Prozess. Vielleicht als Vermittlerin, die
zwischen einem Schreibenden aus der Vergangenheit und einem
zeitgenössischem Leser übersetzt.
Darunter liegt ein weiteres Thema, das der Sprachlosigkeit, des Versagens
der Sprache, etwa im Dialog mit dem Ehemann: „Sprechen wir nun zueinander,
vermeiden wir Blickkontakt und sagen etwas vor uns hin, in den Raum hinein,
oder richten unsere Rede an das Kind, ekeln uns voreinander schon, […] und
etwas groß zu sagen gibt es auch nicht mehr.“ Fragmente einer Sprache der
Nicht-Liebe.
Die Erzählerin formuliert Kettensätze, Parataxen, die im Gedanken
abbrechen, Ellipsen, die überleiten zu einem neuen Gedanken. „Vielleicht
wird das Leben so vergehen, aufgebraucht für die Redaktion fremder Artikel,
langweiliger Essays, für die Hoffnung auf E-Mails von morgens bis abends,
was bin ich eigentlich wert und warum traue ich mich nicht, das zu machen,
was ich will, weiß nicht mal, was ich will, will alles auf einmal, eine
gute Stelle pro forma mit genug Geld, und dann endloses Schreiben, an
meinen eigenen, endlosen Sätzen.“ Eine Sprache der Depersonalisation.
## Gebrochenes Deutsch
Die Briefe im Text wiederum sprechen eine ganz andere Sprache, nicht nur,
weil sie in einem gebrochenen Deutsch formuliert sind. Bruchstückhaft wird
aus unbekannten Biografien erzählt, die Sprache einer Verwandlung
unterzogen: Ein Deutsch mit englischer Grammatik, ein Spiel, gespielt mit
dem gleichartigen Sound englischer und deutscher Phoneme: „Ich loveju
Fahrwell und Remember mie kandl. Gruß an Hanni und Sepp Gruß an Vater wi
schall see each other again“. Eigentlich zu schön, um vereinheitlicht und
geglättet zu werden, ein babylonisches Sprachgewirr aus Sätzen und
Halbsätzen.
Nun ist die Mutter-Tristesse der Übersetzerin, die hier erzählt wird, keine
erheiternde Lektüre. Roschal kommentiert das sogar indirekt: „Habe mal die
Idee, ein Buch zu schreiben, darüber, wie unsere Tage aussehen, wie viele
schwärzeste Gedanken ich jeden Abend horte, […] und Gernot sagte, Wer würde
das lesen, und ich, Aber das ist doch wahr, und er wiederholte, Wahr ist es
schon, aber wer würde es lesen wollen.“
Diese Rezension ist eigentlich nicht der Ort, das Mutterbild der
deutschsprachigen Literatur zu kommentieren. Rollengemäß sind sie
dauerüberlastet, dauerunglücklich, dauerdepressiv. Geschenkt. Man schreibt
eben nicht über glückliche Mütter, sie sind nicht Thema des Textes, der
seine Erzählerin fragen lässt, ob es so etwas wie eine glückliche Mutter
überhaupt geben könne und die die eigene Mutter im Buch für tot erklären
möchte, bevor sie es wirklich ist.
Ob die Übersetzerin zurückkehrt, ob sie eine Flucht vorbereitet, eine
Flucht aus einem Land oder aus dem Leben, das weiß man nicht genau zu
sagen. Doch wenn die letzten Seiten immer atemloser dem Strom der Worte
nachgeben, kein Punkt und Komma mehr kennen, keinen Anfang und kein Ende,
wagt man gar nicht mehr nach dem Schluss zu fragen.
17 Feb 2024
## AUTOREN
Marlen Hobrack
## TAGS
wochentaz
Roman
Mutterfigur
Literatur
Roman
Schwerpunkt #metoo
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