| # taz.de -- Agrarökonom über Proteste in Europa: „Die Bauern suchen einen B… | |
| > Die europaweiten Aufstände haben ein gemeinsames Motiv, sagt Agrarökonom | |
| > Sebastian Lakner: allgemeine Unzufriedenheit und fehlende Visionen. | |
| Bild: Klar, wer hier der Schuldige ist: Protestierende Bauern bei einer Straße… | |
| taz: Herr Lakner, [1][überall in Europa sind Landwirt:innen auf der | |
| Straße]. Haben sie ein gemeinsames Motiv? | |
| Sebastian Lakner: Der Anlass war zumindest in Deutschland und Frankreich | |
| ein ähnlicher: Beide Male ging es um eine [2][geplante Abschaffung der | |
| Erstattung bei Agrardiesel]. Auch das große Motiv dahinter in beiden | |
| Ländern besteht in einer allgemeinen Unzufriedenheit. Und das speist sich – | |
| was ich in Teilen nachvollziehen kann – aus den ökonomischen | |
| Schwierigkeiten in Teilen der Landwirtschaft, Wettbewerbsverzerrungen | |
| innerhalb der EU und der Bürokratie. Kritischer finde ich die weitgehende | |
| [3][Ablehnung von Freihandelsabkommen] und des [4][Green Deals der | |
| EU-Kommission], die aber meines Erachtens vor allem aus Frankreich kommen. | |
| Das heißt, Landwirt:innen sind nicht grundsätzlich existenzgefährdet? | |
| Nein, wir haben [5][viele Betriebe, die ökonomisch sehr gut klar kommen] | |
| und sich auf die Herausforderungen eingestellt haben. Die beteiligen sich | |
| teilweise auch gar nicht an den Protesten – das ist ja tatsächlich nur ein | |
| kleiner Teil. Wir haben aber auch viele Betriebe, die eigentlich schon | |
| lange nicht mehr wettbewerbsfähig sind und bislang nur durch Subventionen | |
| über Wasser gehalten wurden. Auch wenn es brutal klingt, aber das ist | |
| leider Teil des Marktprozesses. | |
| Dafür sind die Protestformen ganz schön radikal. Brennende Reifen, | |
| Blockaden mit riesigen Maschinen wirken ziemlich martialisch. Trotzdem | |
| scheint es, als gebe es eine große Solidarität mit den Landwirt:innen. | |
| Woher kommt die? | |
| Das nehme ich gar nicht unbedingt so wahr. Vielleicht am ehesten noch in | |
| Frankreich, wo man eine andere Streikkultur hat. Aber gerade dort sind eine | |
| Reihe von Problemen hausgemacht:, Die französische Regierung setzt stärker | |
| auf [6][sogenannte gekoppelte Zahlungen, also Subventionen, die daran | |
| gekoppelt sind, wieviel produziert wird] und nicht, wie gut beispielsweise | |
| Naturschutzleistungen sind. Deshalb wird zu viel produziert und das drückt | |
| die Preise, was wenig wettbewerbsfähige Betriebe unter Druck setzt. Und | |
| diese Wut bricht sich jetzt Bahn. Insgesamt sehe ich aber überall gerade in | |
| Deutschland aber einen großen Respekt vor der harten Arbeit auf den Höfen | |
| und Äckern. Wenn die Demonstrant:innen Verständnis für ihre Lage | |
| gewinnen wollen, dann passt das nicht mit Blockaden und Galgen zusammen. | |
| Die Mehrzahl ist nicht martialisch, sondern kritisch gegenüber | |
| Demokratiefeindlichkeit und rechten Übernahmeversuchen, die es ja vielfach | |
| gibt. | |
| Aktuell richten sich die Proteste vor allem gegen Brüssel. Sitzen dort die | |
| richtigen Ansprechpartner? | |
| Ich hab den Eindruck, man sucht eher einen Buhmann, gegen den man gemeinsam | |
| demonstrieren kann, um so noch mehr Schlagkraft zu entwickeln. Die | |
| Kommission selbst wird ja gar nicht mehr viel machen können, da wir dieses | |
| Jahr Europawahlen haben und Ihre Amtszeit endet. | |
| Es sieht doch so aus, als gebe es von dort Zugeständnisse: Getreideimporte | |
| aus der Ukraine sollen nicht mehr lange zollfrei, also verbilligt sein. Und | |
| Umweltauflagen wie die, dass bestimmte Flächen für den Artenschutz frei | |
| gehalten werden müssen, könnten verschoben werden. | |
| Damit wird sich der Protest aber nicht abkochen lassen. Es ist, als ob die | |
| Titanic untergeht und die Kommission wirft zwei Rettungsringe hinterher. | |
| Das waren doch Forderungen der Protestierenden. | |
| Aber es war von vornherein eine sehr grobschlächtige Argumentation. Die | |
| Getreideimporte aus der Ukraine sind gar nicht so ein Problem, weil die | |
| Marktpreise in der EU ganz gut sind. Der Verzicht auf die Brachflächen ist | |
| aus Sicht des Naturschutzes extrem ärgerlich und wird die Proteste nicht | |
| beenden. Die Proteste zeigen, dass die [7][Kommission mit ihrer | |
| Farm-to-fork-Strategie] bislang gescheitert ist. | |
| Was müsste denn eigentlich passieren? | |
| Wir brauchen sowohl in der EU als auch in den Mitgliedsstaaten eine | |
| mehrheitsfähige Vision zur Zukunft der Landwirtschaft – und auch Wege, wie | |
| wir dorthin kommen. Ich glaube, dazu gehören weniger Ordnungsrecht und mehr | |
| Förderanreize. Es muss inhaltlich mehr Freiraum für betriebswirtschaftliche | |
| Entscheidungen geben – und die Politik muss Angebote machen für | |
| Klimaschutzleistungen, für [8][Tierwohl], für Artenschutz. | |
| 2 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Agrar-Proteste-breiten-sich-aus/!5985780 | |
| [2] /Konsequenzen-aus-den-Bauernprotesten/!5982909 | |
| [3] /Mercosur-Abkommen-kurz-vor-dem-Aus/!5976701 | |
| [4] /Von-der-Leyens-Rede-vor-EU-Parlament/!5956904 | |
| [5] /Agrarunternehmer-ueber-Bauerndemos/!5984047 | |
| [6] /Konsequenzen-aus-den-Bauernprotesten/!5982739 | |
| [7] /Billige-Lebensmittel/!5829573 | |
| [8] /Statt-Veganismus/!5984122 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Willms | |
| ## TAGS | |
| Bauernprotest | |
| Landwirtschaft | |
| Subventionen | |
| GNS | |
| Bauernprotest | |
| Bauernprotest | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zugeständnisse der EU an Bauern: Mist für die Umwelt | |
| Eigentlich sollten EU-Bauern 4 Prozent der Ackerfläche für Natur | |
| bereitstellen, doch die EU-Kommission knickte ein. Das geht auf Kosten der | |
| Umwelt. | |
| Bauernproteste in Italien: Mit den Rechten gegen Brüssel | |
| Auch in Italien demonstrieren die Landwirt*innen, unterstützt von der | |
| Regierung: Es geht ihnen um zu wenig Einkünfte, schuld ist natürlich die | |
| EU. | |
| Bauernproteste in Frankreich: Mit gelben Mützen in Le Pens Arme | |
| In Frankreich übernimmt die Führung der Bauernproteste ein Verband, der | |
| anschlussfähig an die Rechte ist. Die wittert vor den EU Wahlen ihre | |
| Chance. |