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# taz.de -- ARD-„Tatort“ aus Göttingen: Im guten Sinne ein Film zum Schäm…
> Der letzte „Tatort“ mit Florence Kasumba ist kein klassischer Krimi.
> Vielmehr ist es eine gesellschaftskritische Betrachtung der
> Lieferdienst-Branche.
Bild: Geisterfahrt: Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz …
Letztes Wochenende auf einer Geburtstagsfeier in Berlin-Neukölln. Es geht
auf einmal um die Frage, ob es okay ist, sich jeden Scheiß im Internet zu
bestellen. Aber vor allem darum, passend zur feucht-fröhlichen Party, die
„armen Zusteller“ schwere Weinpakete in den 4. Stock hochwuchten zu lassen.
Man sieht es ja überall: Die Paketzusteller:innen haben viel zu viele
Pakete dabei, sind immer in Eile, [1][ein schlechtbezahlter Knüppeljob] –
und genau davon handelt der neue „Tatort“-Krimi aus Göttingen.
Auch hier steht am Anfang eine Geburtstagsfeier. Kriminaldirektor Gerd
Liebig (Luc Feit) feiert im Polizeipräsidium seinen 60. Geburtstag mit
Kollegen. Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) – einst strafversetzt nach
Göttingen – [2][und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba)] sind dabei, auch die
Frau von Liebig, Tereza (Bibiana Beglau). Aber Mist, das Geschenk der
Kolleg:innen für ihren Chef fehlt; es war online bestellt und noch nicht
geliefert worden. Dabei war das eine Expressbestellung, kanzelt
unfreundlich Nick Schmitz (Daniel Donskoy), Gerichtsmediziner und Ehemann
von Anaïs, den gehetzten jungen Fahrer ab.
Der fährt wutentbrannt von dannen, wirkt völlig überarbeitet, ja, wie neben
der Spur. Er rast ungebremst in eine Menschengruppe. Menschen kommen zu
Tode. Lindholm und Co sind schnell am Unfallort, auch Tereza Liebig, die
als Ärztin im Krankenhaus arbeitet. Der Fahrer liegt schwerverletzt im
Koma. Die Ermittlungen gehen in verschiedene Richtungen: War es ein
tragischer Unfall wegen Übermüdung? Eine Amokfahrt? Die beiden
Ermittlerinnen sind sich da uneins (und eh nicht grün) und bleiben es bis
zum Schluss.
Der Fahrer des Wagens heißt Ilie Balan (Adrian Djokić), er arbeitet für
einen Paketdienst und ist Rumäne, so wie die anderen Kollegen auch. Er
malocht als Subunternehmer für einen anderen Subunternehmer namens Mischa
Reichelt (Christoph Letkowski) – der weist natürlich jede Schuld von sich.
So wie der Chef des Paketdienstes: „Das sind nicht Angestellte unseres
Unternehmens.“ Rein rechtlich stimmt das ja. Aber von der Moral her?
## Kein klassischer Krimi
Der Transporter wird untersucht: Die Bremsen sind stark abgenutzt. Und der
Fahrer scheint im Wagen gewohnt zu haben. Und es gibt eine Plastikflasche
mit Urin – die „Toilette“, denn für eine echte bleibt keine Zeit. „Ich…
ihm nicht mal Trinkgeld gegeben“, gibt sich Lindholm betroffen.
Sagen wir mal so: Dieser „Tatort“ ist kein klassischer Krimi, denn für uns
Zuschauer ist die Sache relativ schnell klar. „Geisterfahrt“ liefert eine
realistische Zustandsbeschreibung der Verhältnisse einer Branche, in der
Ausbeutung an der Tagesordnung ist.
Deutlich wird, dass wir alle – als bestellende Kunden – Teil des Problems
sind. Das ist ein klasse produziertes, weil genau beobachtetes,
schonungsloses wie vielschichtiges Sozialdrama (einen Handlungsstrang
lassen wir hier aus Spannungsgründen mal ganz außen vor). Ein Lehrstück
über Abhängigkeiten jeglicher Couleur, über verletzte Gefühle, über
psychische Abgründe, über Missstände in Gesellschaft und Familie, und ja,
das ist ein Film zum Schämen.
Und ein starker Abgang eines Ermittlerinnenduos. Denn Lindholm, die
Einzelgängerin, will zurück nach Hannover. Und Anaïs Schmitz bleibt in
Göttingen und steigt die Karriereleiter hoch – doch davon haben Krimifans
nichts. [3][Kasumba, seit 2019 dabei, steigt leider aus dem „Tatort“ aus.]
11 Feb 2024
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## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Tatort
Krimi
Lieferdienst
Wochenendkrimi
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Schwerpunkt Rassismus
Militär
Diversity
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