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# taz.de -- Gemeindevorstand über Judenhass: „Antisemiten gehören zu Normal…
> Seit über 20 Jahren ist Grigori Pantijelew Vize-Vorsitzender der
> Jüdischen Gemeinde Bremen. Er fordert mehr Taten gegen Judenhass ein.
Bild: „Wenn in meiner Stadt etwas schief läuft, mische ich mich ein“: Grig…
taz: Müssen wir wirklich noch über den Hannah-Arendt-Preis 2023 reden?
Grigori Pantijelew: Persönlich würde ich mich auch lieber nicht mehr damit
befassen müssen.
Aber?
Das mediale Echo der aktuellen Preisverleihung an Masha Gessen war zu groß
dafür, und sie erinnerte mich sofort an die einseitige Debatte um [1][die
Tony-Judt-Peisverleihung 2007]. In beiden Fällen wurde die starke mediale
Blase, die damit erzeugt wurde, von denjenigen, die israelfeindliche
Positionen teilen, als Erfolg gewertet. Wenn wir sie vergessen, sind sie
traurig.
Dann wäre doch Stillhalten das Beste?
Leider nein. Denn der Preis ist nun mal eine bremische Institution. Und ich
fühle mich hier heimisch und betroffen: Wenn in meiner Stadt etwas schief
geht, reizt mich das, mich einzumischen und eben auch nachzuhaken, warum es
nicht besser wird.
Hätte der Preis also doch eine größere Bühne gebraucht, um die
Auseinandersetzung kritisch und mit Gegenposition zu führen?
Nein. Das hätte nur bedeutet, beide auf dieselbe Ebene zu setzen: Den
Juden, der für Israel als Staat der Juden auftritt, und den Antisemiten,
der sagt, Israel soll verschwinden. Die dürfen dann miteinander
diskutieren, als ginge es um gleichwertige Ansichten. Dem widerspreche ich.
Die Äquivalenz soll nicht die Methode einer solchen Diskussion sein. Wer
das gleichsetzt, verbreitet nur Übel in der Welt. Das sollte man nicht tun.
Es hatte schon mehrfach ähnliche Kontroversen um den Preis gegeben, vor
allem bei Tony Judt, der den Staat Israel als Anachronismus bewertet hatte:
Folgt die Vergabe einem Schema?
Es ist eher ein Modus Vivendi, der beibehalten wird. Vor 16 Jahren, als
Judt den Preis bekommen hatte, war dieses Problem schon einmal aufgetaucht,
mit derselben Ignoranz seitens der Jury. Mit seinem Schaffen als Historiker
hatte er weniger Furore gemacht als mit seiner Ablehnung von Israel,
trotzdem ging die Auszeichnung an ihn, ohne dass diese Position mit
irgendeinem Wort erwähnt worden wäre …
Dabei ist es ein Preis für politisches Denken, nicht für ein einzelnes
Werk.
Ja. Es wurde erst thematisiert infolge unseres Protests. Und es ist
traurig, dass sich die Geschichte jetzt so wiederholt. Dabei wäre das so
leicht zu lösen.
Wie das denn?
Die einfachste Lösung ist: Den Antisemitismus in die Privatheit
zurückzudrängen. Der Staat, die Stadt Bremen, die öffentlichen Gelder
sollten damit einfach nichts zu tun haben. Denn selbstverständlich dürfen
alle ihre eigene Meinung haben. Antisemiten gehören zur gesellschaftlichen
Normalität, aber sie sind privat. Wenn der Staat sie fördert, wird der
Staat seinem Anspruch nicht gerecht.
Wäre [2][der Arendt-Preis eine antisemitische Veranstaltung?]
Es zeugt in Bremen von schlechtem Geschmack, Antisemiten als Antisemiten zu
bezeichnen. Das ist hier eine kleine Stadt. Man nimmt hier öffentliche und
soziale Verpflichtungen gemeinsam wahr. Ich habe noch nie erlebt, dass ein
Antisemit hier beim Namen genannt worden wäre. Es wirkt wie ein Furz in der
Luft, auch nur das Wort Antisemit auszusprechen. Insofern würde ich lieber
weiterschlafen, solange es nur mich betrifft. Aber als Vertreter der
Jüdischen Gemeinde muss ich mich wiederholen: Der Antisemitismus darf nicht
öffentlich subventioniert werden.
Wo soll denn der Cut stattfinden?
Es ist immer schwierig zu bestimmen: Wo endet die freie Meinung, wo beginnt
die Obsession. Es hat Versuche gegeben, das auszutragen: Die
Deutsch-Israelische Gesellschaft hatte sich vor Jahrzehnten mit einzelnen
Vertretern des sogenannten Friedensforums zusammengesetzt, um diesen
Konflikt zu bearbeiten.
Und?
Man konnte sich noch nicht einmal auf die Verwendung derselben Begriffe
einigen. Die intellektuelle Klärung ist dann nicht möglich. Also bleibt es
bei der freundlichen, höflichen Art, einander zu dulden, als wäre es
möglich, hier eine bizarre Äquivalenz herzustellen. Die meisten Medien
Bremens machen da mit: Wenn also eine Demonstration zum Konflikt im Nahen
Osten stattfindet, ist es üblich, Vertreter der Jüdischen Gemeinde
aufzusuchen, und zu sagen: Bitte erzählen Sie, was Sie für Ängste haben.
Und dann wird das kommentiert von einem Spezialisten für Antisemitismus, in
der Regel einem ehemaligen SPD-Abgeordneten, der jahrelang den Weser-Kurier
mit Material versorgt hat, bis schließlich die Chefredakteurin gemerkt hat,
wie wenig er dafür geeignet war.
Ist das kein Fortschritt?
Für das TV-Magazin „buten un binnen“ von Radio Bremen bleiben solche
angeblichen Fachleute eine Autorität. Sie wissen, was für empfindliche
Menschen die seltsamen Juden sind. Das ist der Teufelskreis, in dem wir uns
befinden: Wenn man versucht, die Sache zu klären, schadet das dem Frieden
in dieser Stadt, und das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass es
knallt.
Positiv ausgedrückt?
Wir arbeiten daran, als Jüdische Gemeinde mit allen respektvoll umzugehen.
Dort, wo es gelingt, bin ich sicher, dass es ein Pfand des Friedens ist.
Zugleich möchte ich, dass sich die Menschen auf den Straßen wohlfühlen und
nicht mit Hassparolen konfrontiert werden. Ich möchte, dass die
judenfeindlichen Graffitis schneller beseitigt werden – und zwar nicht nur
durch die Polizei. Aber was ich erlebe, ist, dass gute Worte in der
Bürgerschaft gefunden und ausgesprochen werden, und dann passiert nichts,
bis zwei Jahre später wieder gute Worte in der Bürgerschaft ausgesprochen
werden, als wären sie neu – und es passiert wieder nichts. Wir bleiben
gefangen in diesem Kreis, sodass die Vertreter einer falsch verstandenen
Meinungsfreiheit eigentlich mehr zu hören sind als diejenigen, die unter
diesen Umständen zu leiden haben.
Wie lässt sich damit umgehen?
Da gibt es zwei Varianten. Die bundesweit übliche ist, den
Antisemitismusbeauftragten in Gang zu setzen, tief zu atmen und zu sagen:
Endlich haben wir das Problem aus der Welt geschaffen. Es wird dann eine
Straße umbenannt. Und das war’s.
Okay. Und die bessere?
Besser wäre zu schauen, was man bei sich selbst und im eigenen Umfeld tun
kann. Und es explizit in der ersten Person sagen: insbesondere, wenn ich an
der Spitze einer Institution stehe. Das anzusprechen ist aber verpönt.
[3][Das Buch von Margarete und Alexander Mitscherlich über die Unfähigkeit
zu trauern], über das infantile Verhältnis zur Selbstverantwortung wird ja
nicht mehr gelesen. Man bleibt lieber beim Gefühligen.
Das klingt selbst auch unkonkret. Welche Maßnahmen lassen sich ergreifen?
Ich plädiere für systemisches Denken. Die langfristige Planung in der
Demokratie soll möglich sein. Wenn wir davon ausgehen, dass Antisemitismus
eine gesellschaftliche Krankheit ist wie ein Virus, den laut Soziologie bis
zu 16 Prozent der Bevölkerung Europas latent in sich tragen, ist es
sinnvoll, etwas gegen dessen Ausbruch zu unternehmen.
Das heißt?
Das heißt, es geht um Erziehung und auch darum, wie die familiären
Prägungen seit 2015 ausgeglichen werden können. Und eigentlich glaube ich,
jeder weiß, was da zu tun ist, und umso besorgniserregender ist es zu
sehen, wie die Institution Kindergarten und das staatliche Erziehungssystem
bröckeln: Bei Kindern ist es jedenfalls noch möglich, Toleranz und Respekt
zu fördern. In der Schule wird es schon schwierig, im Studium ist es
wahrscheinlich zu spät.
28 Jan 2024
## LINKS
[1] /!212822
[2] https://www.hannah-arendt-preis.de/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Unf%C3%A4higkeit_zu_trauern
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Antisemitismus
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