| # taz.de -- Spielfilm „Reality“ über Whistleblowerin: Sie wollte kein Snow… | |
| > „Reality“ ist das Debüt der Regisseurin Tina Satter. Darin inszeniert sie | |
| > die Vernehmung der Whistleblowerin Reality Winner als surreales | |
| > Kammerspiel. | |
| Bild: Reality (Sydney Sweeney) wird gecheckt | |
| Reality Winner ist eine gefragte Person in der US-Filmbranche. In den | |
| letzten drei Jahren wurden gleich drei Filme über die ehemalige | |
| Sprachanalystin veröffentlicht, die nachrichtendienstliche Informationen | |
| über die russische Einflussnahme auf den US-Wahlkampf 2016 an die | |
| Öffentlichkeit weitergab und zu 63 Monaten Haft verurteilt wurde. | |
| Auch ihr recht ungewöhnlicher Name schien es den Filmverantwortlichen | |
| angetan zu haben. 2021 erschien der Dokumentarfilm „Reality Winner“, 2023 | |
| folgte der Thriller „Reality“, und im Januar diesen Jahres feierte das | |
| Comedy-Drama „Winner“ seine Weltpremiere auf dem renommierten Sundance Film | |
| Festival. | |
| „Reality“, der letztes Jahr auf der Berlinale uraufgeführt wurde, startet | |
| nun in den deutschen Kinos. Dieser dürfte auch der unkonventionellste der | |
| drei Filme sein. Wie am Anfang des Films zu lesen ist, basiert er | |
| vollständig auf den unveränderten Aufnahmen des Verhörs, das am 3. Juni | |
| 2017 mit Reality Winner geführt wurde und zu ihrer Verhaftung führte. | |
| Als diese an jenem Tag vom Supermarkt nach Hause kommt, warten zwei Männer | |
| in ihrer Einfahrt auf sie. An der heruntergelassenen Fensterscheibe ihres | |
| Autos geben sich beide als FBI-Agenten zu erkennen. Sie haben einen | |
| Durchsuchungsbeschluss. Zunächst ist nur der Originalmitschnitt der | |
| Vernehmung zu hören, ehe der Film auf seine eigene Tonspur wechselt. | |
| ## Fokus auf dem Verhör | |
| Der Fokus des Films liegt auf dem exakten Reenactment des Verhörs, das sich | |
| einen Nachmittag lang ausschließlich vor oder in Winners Haus in einem | |
| monotonen Wohnviertel in der Kleinstadt Alexandria südlich von Washington | |
| D.C. zutrug. Dabei steht der kammerspielartige Charakter des Films und | |
| seine unprätentiöse Inszenierung klar im Vordergrund. | |
| Was nur konsequent ist, denn der Film basiert auf dem [1][Theaterstück „Is | |
| This a Room“ von Tina Satter], die mit „Reality“ erstmals als | |
| Filmregisseurin reüssierte. Satter möchte ihr Publikum allzu sehr | |
| vergewissern, dass hinter ihrem Film ein dokumentarischer Anspruch steckt. | |
| Immer wieder werden Einblendungen der originalen Audiospur, Auszüge des | |
| Verhörprotokolls oder selbst Instagram-Posts der echten Winner | |
| zwischengeschnitten. | |
| Den Film dominiert vor allem das einnehmende Schauspiel von Sydney Sweeney, | |
| die durch ihre Rollen in der furiosen Coming-of-Age-Serie „Euphoria“ und | |
| der Reichensatire „The White Lotus“ große Bekanntheit erlangte. Nur mit | |
| ihrer Mimik changiert sie in ihrer Rolle als Reality Winner zwischen | |
| Gefasstheit, Angst und äußerster Angespanntheit angesichts des drohenden | |
| Unheils, das über ihr heraufzieht. | |
| Winner ist dem so eindringlichen wie einschüchternden Auftreten der beiden | |
| Agenten (Josh Hamilton, Marchánt Davis) schutzlos ausgeliefert. Deren | |
| aufgesetzte und ungelenke Small-Talk-Versuche verstärken nur noch die | |
| subtile Drohkulisse. Vom ersten Moment an liegt eine seltsame, gar surreale | |
| Anspannung in der Luft, die immer wieder durch wabernde Ambientklänge | |
| verstärkt wird. | |
| ## Unvermeidlicher Ausgang | |
| Tina Satter interessiert sich weniger dafür, ob Winner mit ihrem Leak der | |
| Wahrheit gedient oder gar Staatsverrat begangen hat. Ihre Inszenierung | |
| dreht sich vielmehr um das Machtgefälle, das sich im Verhör offenbart. Und | |
| um die Absurdität, die damit einhergeht. Beide Parteien wissen die Antwort | |
| auf die Frage, die sich zunächst keiner auszusprechen traut. Zu sehr ist | |
| das Ganze ein Spiel, in dem beide bereits wissen, wer wen Schachmatt setzen | |
| wird. Jeder Satz, jede Geste der anderen Seite wird beobachtet, wobei auch | |
| dazu gehört, immer wieder über Nichtigkeiten zu sprechen, wie über Winners | |
| Haustiere oder ihre Vorliebe für CrossFit. | |
| Der Ausgang ist unvermeidlich. Reality Winner, die als kryptologische | |
| Linguistin in den Sprachen Farsi, Dari und Paschtu ausgebildet wurde und | |
| zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung für einen Informationsdienstleister der NSA | |
| arbeitete, wird im Laufe der Befragung zunehmend in die Ecke gedrängt. So | |
| weit, bis sie sich selbst in Widersprüche verstrickt und der eigenen Tat | |
| überführt, als Verschlusssache eingestufte Informationen ausgedruckt und an | |
| das Nachrichtenportal The Intercept gesendet zu haben. | |
| Der Fall Reality Winner, das verdeutlichen die Auszüge aus Nachrichtenshows | |
| am Ende des Films, verweist einmal mehr auf die Bedeutung von | |
| Whistleblowern für das Funktionieren einer Demokratie. Ohne Winner hätte | |
| die amerikanische Öffentlichkeit wohl nie von den umfangreichen Versuchen | |
| Russlands erfahren, das Wahlsystem der USA zu manipulieren. | |
| Sie sieht sich jedoch nicht als Whistleblowerin. „Ich habe nicht versucht, | |
| ein Snowden zu sein“, erklärt sie den Agenten. Als einen ihrer Beweggründe | |
| nennt sie das unerträgliche Geschwätz von Fox News, das in ihrer Arbeit | |
| ununterbrochen aus den Fernsehern schallte. Für die umfangreiche filmische | |
| Verwertung ihrer Geschichte erhält Winner, die noch bis November diesen | |
| Jahres auf Bewährung ist, übrigens keinerlei Entschädigung. Die Regierung | |
| der USA hat ihr verboten, jemals nur einen Cent daran zu verdienen. | |
| 10 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Obermeier | |
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