| # taz.de -- Verdrängung von PM(D)S-Symptomen: So schlimm war es noch nie | |
| > „Ist das der Serotoninmangel oder ist mein Leben scheiße?“, fragen sich | |
| > viele Menschen mit Zyklus. Das hat mit Verdrängung von PM(D)S-Symptomen | |
| > tun. | |
| Bild: Zeit zum Haareraufen: Liegt es an den Hormonen? | |
| Es ist doch zum Haareraufen. Trotz [1][der Zyklus-Apps], trotz so viel | |
| angehäuftem Wissen über PM(D)S, garniert mit ausreichend Erfahrungsschatz, | |
| denke ich bei jedem Zyklus aufs Neue: So schlimm war es selten. Das hier | |
| ist nicht bloß PM(D)S, es ist mein Leben, das so scheiße ist. Ich gaslighte | |
| mich praktisch selbst. | |
| Mein Zyklus ist nicht ganz regelmäßig, das heißt, dann und wann geht es | |
| schon früher los mit den pausenlosen mentalen Strapazen, und das wiederum | |
| erschwert mir die Einordnung. Ist es wirklich hormonell bedingt? Hasse ich | |
| mein Leben, weil mein Gehirn zu wenig Serotonin abbekommt, oder war es das | |
| jetzt mit meiner Resilienz und die Traurigkeit gehört von nun an zu mir, | |
| wie meine Cellulitis? | |
| Selbst wenn [2][mein Zyklus pünktlich] ist, wenn in meiner App die grauen | |
| Wolken auftauchen, die mir sagen wollen: Pack den Regenschirm aus, es ist | |
| Tränenzeit. Die mir versichern, dass es der Serotoninmangel ist und nicht | |
| das Leben an sich. Selbst dann zweifele ich häufig daran, die Verzweiflung, | |
| die Traurigkeit, die Wut und das Selbstmitleid schon mal derart intensiv | |
| gefühlt zu haben. | |
| Was für einen Streich spielt einem das Gehirn denn da? | |
| Meine Freundin S. und ich tauschen viele Sprachnachrichten aus, wenn ihr | |
| PM(D)S beginnt, höre ich es an ihrer Stimmlage. Ihre sonst in sich ruhende, | |
| eher sanfte Stimme vibriert dann. Als hätte es sich die durch PM(D)S | |
| ausgelöste Aggression auf ihren Stimmbändern bequem gemacht. Dieses Mal | |
| wurde sie mit einem Sinnbild beehrt. Als sie ohnehin schon entnervt und | |
| entkräftet aus dem Supermarkt nach Hause kam und ihre Einkäufe auspackte, | |
| fand sie dort neben Milch, Gemüse, Schokolade und Katzenfutter auch Maden | |
| vor. Wenn ihr serotoninarmes Gehirn das Fass war, so waren die Maden der | |
| Tropfen, der es zum Überlaufen brachte. | |
| ## Traurigkeit, Wut, Aggression, Neid, Verzweiflung | |
| „Glaub mir, Sarah, [3][ich hatte noch niemals so schlimmes PM(D)S], das | |
| spüre ich doch. Mein Leben, das sind die Maden. Was ich anfasse, verfault, | |
| was ich versuche, misslingt, was ich fühle, bringt mich um.“ Diesmal war | |
| ich in der Beobachterinnenrolle. Ihre Sprachnachricht erreichte mich um die | |
| Zeit des Eisprungs. Da bin ich – soweit mir das bei meiner wunderlichen | |
| Persönlichkeit möglich ist – in meiner Mitte. Um den Eisprung herum weiß | |
| ich, dass Gefühle kommen und Gefühle gehen. Nichts bleibt so schön und | |
| nichts bleibt so schrecklich, wie es einem in hellen und dunklen Stunden | |
| erscheint. | |
| Doch zwei Wochen später ist von dieser reflektierten Person wenig übrig. | |
| Von wegen alles in Bewegung. Mein Fühlen ist eine Statue, geformt aus | |
| Traurigkeit, Wut, Aggression, Neid, Verzweiflung, Argwohn. | |
| Wie kann das sein? Hat es mit Verdrängung zu tun? Diesem zu Unrecht | |
| verpönten Bewältigungsmechanismus? Wahrscheinlich. | |
| Die allmonatlich erneute Überzeugung, niemals vorher in solcher Intensität | |
| seinen Gefühlen ausgeliefert gewesen zu sein, erinnert mich an das | |
| Weihnachtsparadox. So nenne ich das Phänomen, Weihnachten mit der Familie | |
| zu verbringen, obwohl man sich jedes Jahr schwört: „Das war das letzte Mal, | |
| reißt eure sexistischen Witze ohne mich, kommentiert meinen Körper von nun | |
| an hinter meinem Rücken, zerfetzt euch in meiner Abwesenheit.“ Nur um dank | |
| Verdrängung das nächste Jahr wieder mit den gleichen Menschen und der | |
| gleichen Überzeugung, die lautet „So schlimm war es noch nie“, um einen | |
| Tisch zu sitzen. | |
| 7 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sarah Lorenz | |
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