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# taz.de -- Ex-Botschafter in Deutschland: „Israel braucht Neuwahlen“
> Israels ehemaliger Botschafter, Jeremy Issacharoff, spricht über den
> Krieg gegen die Hamas, die Verhandlungen um die Geiseln – und die Zeit
> nach dem Konflikt.
Bild: Ein Mann fotografiert eine Gedenktafel der Opfer des Hamas-Anschlags auf …
taz: Israel und die Hamas führen aktuell schwierige Verhandlungen über
einen Waffenstillstand und die Freilassung der noch immer [1][mehr als 100
Geiseln im Gazastreifen]. Zeitgleich droht die israelische Armee, auf die
Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten vorzurücken. Gefährdet ein Vormarsch
auf Rafah nicht eine Einigung?
Issacharoff: Die militärischen Operationen sind Teil der Verhandlungen. Sie
bauen Druck auf die Hamas auf. Auch die erste Freilassung von Geiseln war
meiner Meinung nach eine Folge der Kombination aus militärischem Druck und
Gesprächen.
In Rafah drängen sich mehr als eine Million Vertriebene.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat gesagt, eine Offensive dort
wäre „nicht zu rechtfertigen“.
Die Hamas hat immer schon ihre Strategien auf unseren Schwächen aufgebaut.
Sie wissen, dass wir die Zivilisten der anderen Seite nicht in
Mitleidenschaft ziehen wollen. Es ist ihnen egal, ob Palästinenser als
Kollateralschäden getötet werden. Ich weiß nicht, ob es dagegen eine simple
und effiziente Strategie gibt. Israel ergreift alle möglichen Maßnahmen, um
zivile Opfer zu vermeiden. Aber sie sind kaum auszuschließen, wenn ein
Gegner sich so tief in die zivile Infrastruktur eingegraben hat.
Wegen des Vorgehens der Armee in Verbindung mit Aussagen israelischer
Politiker wird [2][vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) sogar der
Vorwurf des Völkermords verhandelt].
Meiner Meinung nach ist es eine Schande, dass Südafrika dort den Terror der
Hamas vertritt. Menschen sagen Dinge in der Hitze des Gefechts, die sie im
Nachhinein anders ausdrücken würden. Trotzdem will ich die Aussagen, auf
denen die Klage Südafrikas beruht, nicht rechtfertigen. Viele davon waren
absurd und teils von Menschen, die nicht die Autorität hatten, sie zu
treffen. Am Ende des Tages zählt, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
deutlich gesagt hat, dass unser Gegner die Hamas ist und dass wir die
Palästinenser nicht vertreiben werden.
Lässt sich die Hamas militärisch besiegen?
Eine Ideologie ist militärisch kaum zu bekämpfen. Aber wir sprechen davon,
eine militärische Bedrohung zu beenden. Das ist mit der Zerstörung der
militärischen Fähigkeiten der Hamas sehr wohl möglich. Dennoch muss meiner
Ansicht nach aktuell die Befreiung der Geiseln höchste Priorität haben.
Dass noch immer so viele Israelis in der Hand der Hamas sind, ist eine
enorme Herausforderung für die israelische Gesellschaft. Erst wenn wir alle
zurückgeholt haben, können wir über alles Weitere nachdenken.
Voriges Wochenende haben [3][Hunderte Teilnehmer einer Konferenz in
Jerusalem für eine jüdische Besiedlung des Gazastreifens geworben]. Unter
den Teilnehmern war mit zwölf Ministern auch ein Drittel der amtierenden
Regierungskoalition.
Ich halte die Idee einer Wiederbesetzung von Gaza für absolut lächerlich.
Dort leben zwei Millionen Palästinenser, und wir werden sie nicht
vertreiben. Vor allem aber war der Zeitpunkt vollkommen unangemessen. Wir
stecken mitten in einer der schlimmsten Krisen für unsere nationale
Sicherheit. Während unsere Soldaten in Gaza kämpfen, kommt es immer wieder
zu Beschuss an der Grenze im Norden. Die Spannungen im Westjordanland
nehmen zu. [4][Die Angriffe durch die Huthis] und nun die
[5][Vergeltungsschläge der USA gegen vom Iran unterstützte Milizen in der
Region]. Dass der Iran zugleich so weit wie nie zuvor in seinem
Atomprogramm fortgeschritten ist, davon redet schon gar niemand mehr.
Dennoch hat der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar
Ben-Gvir, gedroht, die Regierung zu verlassen, sollte es eine Einigung mit
der Hamas geben.
Gut, dann soll er gehen. Diese Leute haben keinen Schimmer von der
Bedeutung unserer strategischen Partnerschaften. Ich habe für die
israelische Regierung in New York, Washington und Berlin gearbeitet. Wir
brauchen unsere Verbündeten. Diese Herausforderung an mehreren Fronten
gleichzeitig sollten wir nicht allein bewältigen.
Trotzdem brüskiert auch Netanjahu den US-Präsidenten immer wieder und lehnt
Gespräche über die Zukunft von Gaza ab.
Israel braucht Neuwahlen, und ich gehe davon aus und Umfragen deuten darauf
hin, dass die politische Rechte daraus geschwächt hervorgehen würde. Der 7.
Oktober, der schlimmste Tag für Juden seit dem Holocaust, war der Beweis,
dass ihre Logik und Politik nicht funktioniert haben.
Bisher hat sich die Regierung trotz oder wegen des Krieges als relativ
stabil erwiesen. Wie könnte es da zu Neuwahlen kommen?
Mein Gefühl ist, dass es eher früher als später zu Neuwahlen kommen könnte.
Ich weiß nicht, wie lange Oppositionsführer Benny Gantz und der ehemalige
Generalstabschef Gadi Eizenkot im Kriegskabinett bleiben werden, und der
Protest gegen die Regierung scheint zu wachsen. Sobald die Geiselsituation
beendet ist und die Kämpfe an Intensität abnehmen, dürften die Forderungen
nach Neuwahlen stärker werden.
Was könnte eine neue Regierung erreichen?
Alle in Israel sollten nach dem 7. Oktober verstanden haben: Wenn wir aus
dieser Krise ohne eine politische Lösung für das palästinensische Problem
herauskommen, dann hat die Hamas gewonnen. Genau das wollte sie mit ihrem
Angriff verhindern: eine Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien
und die Möglichkeit jeder Verständigung. Was wir brauchen, sind zwei Dinge:
einen politischen Horizont und einen vereinbarten Weg dorthin. Nur dann
können wir einen Plan für Gaza ausarbeiten. Deswegen bestehen die
Amerikaner und die Deutschen auf zwei Staaten für zwei Völker, auch wenn
sie wissen, dass dieser Plan nicht morgen umgesetzt werden kann.
Gibt es denn in der israelischen Gesellschaft derzeit überhaupt die
Bereitschaft für eine Lösung?
Aufgrund der Grausamkeiten am 7. Oktober und wegen der Geiselnahmen hat
sich im israelischen Bewusstsein eingebrannt: Die Hamas und andere wollen
uns töten. Das macht Gespräche über die Vorstellung einer politischen
Lösung, Seite an Seite zu leben, extrem schwierig. Dennoch: Wir sind es
unseren Kindern schuldig. Sie sollen sich nicht mehr als Soldaten der
Gefahr aussetzen müssen, entführt oder getötet zu werden.
6 Feb 2024
## LINKS
[1] /Wut-der-Geiselangehoerigen/!5989988
[2] /Voelkermord-Verfahren-gegen-Israel/!5985407
[3] /Israels-Siedlerbewegung/!5985664
[4] /Wegen-Huthi-Angriffen/!5986903
[5] /Nach-Tod-von-drei-US-Soldaten/!5989931
## AUTOREN
Felix Wellisch
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