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# taz.de -- Hermann Görings Narzissmus: Der ganz normale Wahnsinn
> Russell Crowe spielt den Nazi-Kriegsverbrecher Hermann Göring. Mit dessen
> Verhältnis zum Psychiater Douglas Kelley wird er sich beschäftigt haben.
Bild: Der Schauspieler Russell Crowe nimmt im Juni 2023 an der Eröffnung des F…
[1][Der neuseeländische Schauspieler Russell Crowe] beschäftigt sich
zurzeit mit der Frage, ob Hermann Göring wahnsinnig war. Crowe spielt
Göring in „Nürnberg“, einem Film, der seit Anfang Februar in Ungarn gedre…
wird. Es soll darin um die letzten Monate in Görings Leben gehen, vor allem
seine ungewöhnliche Beziehung zu dem amerikanischen Psychiater Douglas
Kelley. Kelley musste 1945 entscheiden, ob Göring verrückt oder voll
verhandlungsfähig war.
Es ist anzunehmen, dass Crowe sich gut auf die Rolle vorbereitet hat und
weiß, dass Göring wenig von Psychiatern hielt. Dafür hatte er seine Gründe.
Schon 1925 lernte er einige von ihnen unfreiwillig kennen.
In einer neuen Biografie „Wenigstens 12 Jahre anständig gelebt“ beschreibt
Harald Sandner anschaulich, wie Göring im schwedischen Exil für BMW
arbeitete, Drogen nahm und seine Wunden leckte. Die Sorge, von Hitler nicht
mehr geliebt zu werden, plagte ihn noch stärker als die Schusswunde, die er
sich [2][beim Hitlerputsch 1923] eingefangen hatte. Göring war seitdem
Morphinist und quälte seine Familie, wenn ihm mal wieder der Stoff ausging.
Als er sich aus dem Fenster stürzen wollte, begrüßte sein Stiefsohn die
Idee: „Lass ihn springen, Mama!“ Carin Göring entschied sich dagegen. Sie
ließ ihren Mann stattdessen in eine schwedische Nervenheilanstalt für
gefährliche Kranke einliefern. Hier traf Hermann erstmals auf Psychiater
und kam zu einem negativen Urteil über sie.
Hysterie und abgöttische Liebe
Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Die schwedischen Ärzte hielten Göring für
einen „brutalen Hysteriker mit sehr schwachem Charakter“: Carin hingegen
unterstützte Hermanns Hysterie mit ihrer abgöttischen Liebe. Als er den
Medikamentenschrank der Anstalt aufbrach, riet sie den Krankenschwestern,
ihrem Mann einfach alles zu geben, was er verlangte, sonst würde er
jemanden umbringen (ein Rat, den 15 Jahre später viele überfallene
europäische Länder ebenfalls befolgten).
Die Ärzte notierten über Göring: „übertriebenes Selbstbewußtsein, haßt
Juden, hat sein Leben dem Kampf gegen Juden gewidmet.“ Daran schien nichts
Ungewöhnliches zu sein und man stellte ihm bei der Entlassung ein Attest
aus, dass er nicht geistesgestört sei. Zwanzig Jahre und mehrere Millionen
Toten später kam der amerikanische Psychiater Kelley zu dem gleichen
Ergebnis: „Aggressiver Narzissmus, geistig gesund, voll zurechnungsfähig.“
Tatsächlich konnte Göring – mittlerweile drogenfrei – bei den Nürnberger
Prozessen mit Eloquenz und Witz zeitweise brillieren. Mit
Menschenfängercharme verführte er auch seinen eigenen Psychiater. Kelley
war so fasziniert von ihm, dass er gleich nach dem Rorschachtest (Göring
sah Hexen und Derwische) zum willigen Postboten wurde. Er brachte Görings
zweiter Ehefrau Briefe und versicherte ihr, Hermann würde in Nürnberg „wie
ein Fels im brandenden Meer“ stehen.
Tränen um den Psychiater
Als man Kelley kurz darauf auswechselte, weinte Göring um den besten
Psychiater, den er je manipuliert hatte. Aber er wusste, dass da draußen
noch viele Fans auf ihn warteten. Zum deprimierten
Reichswirtschaftsminister Walther Funk sagte er 1946, er solle sich keine
Sorgen machen, in fünfzig Jahren würden sie in Deutschland wieder alle als
Helden gelten.
Für Kelley blieb er das auf jeden Fall. Der Psychiater untersuchte zwar
weiterhin Mörder, kam aber nie ganz über den Verlust seiner Nürnberger
Männerfreundschaft hinweg. 1958 folgte er dem Vorbild seines berühmten
Patienten und brachte sich mit einer Zyankalikapsel um. Göring wäre davon
nicht überrascht gewesen. Er wusste, wie unwiderstehlich das Böse war.
Vielleicht starb er deswegen mit einem geschlossenem und einem offenen
Auge, so, als würde er seinen Fans noch einmal zuzwinkern.
6 Feb 2024
## LINKS
[1] /Russell-Crowe-als-The-Popes-Exorcist/!5923317
[2] /Hitler-Putsch-in-Muenchen/!5959368
## AUTOREN
Karina Urbach
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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Film
Psychiatrie
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