| # taz.de -- Konzept gegen elitäre Theaterszene in UK: Black Outs in London | |
| > Der US-amerikanische Dramatiker Jeremy O. Harris will in London nur | |
| > schwarzes Publikum ins Theater lassen. Gegen sein Konzept gab es | |
| > Proteste. | |
| Bild: Der Dramatiker Jeremy O. Harris will einen „geschützten Raum“ bieten… | |
| Im Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland und Großbritannien nachts | |
| Straßenlampen ausgeschaltet, und die Menschen mussten schwarze Vorhänge – | |
| blackout curtains – aufhängen. Mit diesen strengen Verdunklungsvorschriften | |
| (blackout regulations) hoffte man, sich vor Bombardierungen zu schützen. | |
| Heute assoziiert man bei dem Begriff Blackout eine herausgeflogene | |
| Sicherung oder Gedächtnisverlust nach einem Alkoholabsturz. Blackout hat | |
| also eher eine negative Konnotation. Aber für den amerikanischen Dramatiker | |
| Jeremy O. Harris ist der Begriff positiv besetzt. Der 34-jährige | |
| Yale-Absolvent will für zwei Londoner Aufführungen seines Stücks „Slave | |
| Play“ nur schwarzes Publikum ins Theater lassen. | |
| Er nennt dieses Konzept „Black Out“ und hat es bereits erfolgreich in den | |
| USA praktiziert. Harris argumentiert, die Londoner Theaterszene sei elitär | |
| und schwarze Zuschauer würden sich dort nicht willkommen fühlen. Er will | |
| ihnen einen „geschützten Raum“ bieten, weit weg von dem „weißen Blick�… | |
| Bei der Aufführung seines Stückes 2019 am Broadway gab es wegen der | |
| Black-Out-Nächte keine Proteste. In England ist das anders. „Slave Play“ | |
| kommt zwar erst im Juni nach London, aber es sorgt bereits für | |
| Kontroversen. | |
| Das liegt nicht am Inhalt: In Harris’ Stück geht es um ein psychologisches | |
| Experiment. Drei schwarz-weiße Paare machen eine Gruppentherapie, um ihre | |
| Beziehungsprobleme zu lösen. Die schwarzen Partner fühlen sich von ihren | |
| weißen Partnern sexuell unbefriedigt. Die Therapeuten verfallen deshalb auf | |
| die „geniale“ Idee, die Paare zu einem Rollenspiel zu überreden – sie | |
| sollen Herr und Sklave auf der Plantage spielen. Die Sache geht | |
| vorhersehbar schlecht aus. | |
| Voyeuristischer Blick | |
| Sexuelle Ausbeutung ist ein wichtiges Thema, aber schon bei der | |
| amerikanischen Uraufführung fanden einige Kritiker, dass die drastischen | |
| Sexszenen diese Ausbeutung – auf ungewollte Art – noch einmal wiederholen | |
| würden: Das vorwiegend weiße Theaterpublikum würde voyeuristisch auf | |
| halbnackte [1][schwarze Körper] starren. Diese Kritik brachte Harris auf | |
| die Idee, die Black Outs einzuführen. Er wollte sich nicht vorwerfen | |
| lassen, dass er einem weißen Publikum dreckige sexuelle Fantasien | |
| verschaffte. | |
| Aber mit den Black Outs hat er neue Kritik auf sich gezogen. Denn in | |
| England sind einige Theater – anders als am turbokommerziellen Broadway – | |
| staatlich subventioniert. Wenn ein Theater mit Steuergeldern finanziert | |
| wird, darf es dann weiße Zuschauer ausschließen? Segregation ist in | |
| Großbritannien gesetzlich verboten. | |
| Premierminister Rishi Sunak kritisierte Harris’ Vorgehen deshalb: „Das | |
| Publikum auf Basis der ‚Rasse‘ auszuschließen, spaltet. Kunst sollte | |
| inklusiv sein.“ Damit traf er einen neuralgischen Punkt. [2][Die britische | |
| Kulturszene zeigt sich seit dem Krieg in Gaza alles andere als inklusiv]. | |
| Kulturschaffende weigern sich, mit Andersdenkenden auf Podien zu sitzen, | |
| oder forcieren Ausladungen von Kollegen. | |
| Gefährlicher Ausschluss | |
| Diese Ausgrenzungen sind gefährlich: Wenn Politiker sehen, dass | |
| Kulturschaffende sich untereinander bekriegen und jetzt sogar Teile des | |
| Publikums ausschließen, haben sie die besten Argumente an der Hand, | |
| Kulturförderung zu streichen. | |
| Mit Kultur können sie sowieso keine große Wählerschaft gewinnen und nur | |
| wenig Politiker sind als kulturaffin bekannt. Weder linke noch rechte | |
| britische Politiker werden oft bei Theater- oder Festivalveranstaltungen | |
| gesichtet. Rishi Sunaks Lieblingsautorin ist nach seinen eigenen Angaben | |
| Jilly Cooper, die für Sexgeschichten aus dem Reitermilieu bekannt geworden | |
| ist („es fühlte sich an, als ob ein Expresszug durch einen Tunnel raste“). | |
| Die britischen Organisatoren von „Slave Play“ haben jetzt angekündigt, auf | |
| die Black-Out-Kritik zu reagieren. Vielleicht kann man die herausgeflogenen | |
| Sicherungen ja doch noch einmal reinschrauben. | |
| 5 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karina Urbach | |
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