| # taz.de -- Ausstellung zum Transmediale-Festival: Heulende Influencer | |
| > Die Ausstellung der Transmediale im Berliner Kunstraum Kreuzberg sieht | |
| > tiefschwarz. Aber immerhin ist dieses mit Einhörnern und Glitzer | |
| > dekoriert. | |
| Bild: Ringkämpfe in Rattenkostümen: Jenkin van Zyl, „Surrender“ (2023), z… | |
| Alles an diesem Computerarbeitsplatz ist pink und mit Manga-Ornamenten | |
| verziert. Der Schreibtischstuhl – pink. Der flauschige Bodenteppich – pink. | |
| Die Monitore – pink und mit Manga-Bildchen umsäumt. Die Basecap auf der | |
| Schreibtischplatte – pink und mit dem Natö-Logo versehen. | |
| Moment mal, mit dem Nato-Logo? Auf den ersten, flüchtigen Blick mag das | |
| hier aussehen wie ein kuscheliger Safe Space für eine Schülerin oder eine | |
| Influencerin in der um sich greifenden Cute-Ästhetik voller kuscheliger | |
| Polyesterkissen, Schulmädchen-Uniformen und Comic-Merch in Pastellfarben. | |
| Erst beim genaueren Hinschauen sieht man auf den Postern an der Wand die | |
| Kalaschnikow mit dem Hello-Kitty-Aufkleber oder den Panzer, auf dem die | |
| Mädchenclique mit dem unschuldigen Augenaufschlag sitzt. | |
| Die Installation „Annihilation Core, Inherited Lore ٩(͡๏̯͡๏)۶“ von… | |
| Tafeche, die in der Ausstellung des [1][Medienkunstfestivals Transmediale] | |
| im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu sehen ist, ist so etwas wie die | |
| künstlerische Umsetzung des diesjährigen Festivalthemas, das die Gewalt, | |
| die Ausbeutung und die Hässlichkeit hinter den fröhlich gestalteten | |
| Oberflächen der digitalen Medienwelt in den Mittelpunkt stellt. | |
| Der Ausstellungstitel „This is perfect, perfect, perfect“ bezieht sich auf | |
| ein [2][TikTok-Meme] von 2022, dessen Ursprung nicht mehr zu ermitteln ist, | |
| weil die Schöpferin des Kurzvideos ihren Kanal gelöscht hat. So geistert | |
| der aufmunternde Satz ursprungslos durch ein wucherndes Netz von Kurzvideos | |
| und wird in der Regel eingesetzt, um höhnisch Clips mit peinlichen | |
| Situationen oder frustrierenden Erfahrungen zu unterlegen. | |
| ## Kriegspropaganda in japanischer Kawaii-Ästhetik | |
| Der schöne Schein und die brutale Wirklichkeit, die er verbirgt, ist ein | |
| Thema, das viele der Arbeiten in der Ausstellung durchspielen. In der | |
| Installation von Noura Tafeche sind es die Memes und Internetvideos, die | |
| mit japanischer Kawaii-Ästhetik Krieg und Gewalt anpreisen. Mit einer | |
| ultra-knuffigen Weichgummi-Mouse kann man sich durch eine Sammlung von | |
| Propaganda-Memes zum Ukrainekrieg, der Israel Defense Force oder Donald | |
| Trump im Kawaii-Look klicken. Nur einen Ordner entfernt davon findet sich | |
| Cute-Content zu Themen wie „Mental Health“ oder „Traumacore“. | |
| Dass in der eskalierenden Überbietungslogik des Internets der Schlaf der | |
| Vernunft immer grausigere Netzmonster gebiert, zeigt die Videoinstallation | |
| „Hardcore Fencing“ von Luke van Gelderen. Erst sieht man [3][Influencer] | |
| flexen, tanzen, ihre durchtrainierten Körper und ihre perfekt geschminkten | |
| oder zurechtoperierten Gesichter präsentieren, schnell gefolgt von | |
| Meltdowns, Wutanfällen und Heulausbrüchen. | |
| Ein Gamer schreit in seinem Stream herum, wie sehr er die Videospiele | |
| hasst, die er online für Geld spielt; ein japanisches J-Pop-Idol weint, | |
| weil sie keine Matcha-Kekse essen darf; selbst dem zertifizierten | |
| YouTube-Widerling Jake Paul bricht kurz die Stimme, als er den Hass | |
| beschreibt, der sich im Netz über ihn ergießt. Dazwischen ziehen sich | |
| Fetischisten genüsslich Latexmasken über den Schädel, und [4][der britische | |
| Kickboxer Andrew Tate] – inzwischen in Rumänien wegen Zuhälterei vor | |
| Gericht – verbreitet toxische Maskulinität. | |
| Viel Analyse ist da nicht. Das Publikum kann alldem nur noch mit | |
| fassungslosem Entsetzen folgen wie die Pariser, die in der Videoarbeit „Le | |
| Mal des Ardents“ von Alice Brygo die brennende Notre-Dame beobachten. Das | |
| Feuer bekommt man nie zu sehen, die Zuschauer schauen nur noch Zuschauern | |
| beim Zuschauen zu bei einer Katastrophe, die nie ins Bild kommt – für | |
| Festivalleiterin Nora O' Murchú, die die Ausstellung zusammen mit Lorena | |
| Juan kuratiert hat, auch eine Metapher für eine Medienwelt, in der die | |
| Realität nur noch Auslöser von Online-Drama ist. | |
| ## Utopische Hoffnungen ans Internet sind passé | |
| Statt sich mit den Gründen für den kommenden Weltbrand zu beschäftigen – | |
| wie bei der Wandarbeit von [5][Aram Bartholl] –, zeigen viele Arbeiten eine | |
| überempfindliche, hysterisierte Welt, die in Subkulturen, Szenen und Blasen | |
| zerfallen ist, welche sich mit Fetischen, Kinks und absonderlichen | |
| Obsessionen die Zeit vertreibt: Ringkämpfe in Rattenkostümen bei Jenkin van | |
| Zyl, penible Reenactments von 90er-Jahre-Blockbustern bei Maria Guta & | |
| Lauren Huret oder gleich ein ganzes Krankenzimmer für die Bewohner dieser | |
| überreizten Welt bei Laura Lulika, wo neben dem Klinikbett | |
| sicherheitshalber ein überlanges Smartphone zum endlosen Doom-Scrolling | |
| befestigt ist. | |
| Aber war’s das jetzt wirklich? Von den utopischen Hoffnungen von globaler | |
| Kommunikation und Kooperation, die einst mit dem Internet verbunden waren, | |
| ist in dieser Version unserer Gegenwart nichts übrig geblieben; stattdessen | |
| sind wir bei einem Kulturpessimismus angekommen, der an | |
| Medien-Untergangspropheten wie [6][Günther Anders] oder Neil Postman | |
| erinnert. Die diesjährige Transmediale-Ausstellung sieht tiefschwarz. | |
| Allerdings ist dieses Schwarz mit Einhörnern und Glitter dekoriert. | |
| Der irische Künstler Avril Corroon sagte seine Teilnahme an der Ausstellung | |
| wegen der inzwischen zurückgenommenen Antidiskriminierungsklauseln des | |
| Berliner Senats ab. Statt seiner Arbeit ist nun lediglich eine leere | |
| Vitrine zu sehen, in der diese gezeigt werden sollte. | |
| 4 Feb 2024 | |
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