# taz.de -- Nachruf auf Wolfgang Rosenkötter: Ein Heim-Überlebender ist tot | |
> Der Sozialwissenschaftler erlitt selber als Junge üble Methoden im Heim. | |
> Nach seinen Berichten entstand der wichtige Aufklärungs-Film Freistatt. | |
Bild: Kämpfte viele Jahre für die Rechte von Heimkindern: Sozialwissenschaftl… | |
Hamburg taz | Der Hamburger Sozialwissenschaftler [1][Wolfgang Rosenkötter] | |
ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Er hatte als Jugendlicher die | |
brutalen Methoden des Heims „Freistatt“ der diakonischen Stiftung Bethel | |
durchlitten. Seine Geschichte war Vorlage für den [2][Film „Freistatt“], | |
der 2015 in die Kinos kam und wichtiger Meilenstein der Aufklärung über die | |
Nachkriegs-Heimerziehung ist. | |
„Ich hatte ständig Angst, vom ersten bis zum letzten Tag“, sagte | |
[3][Rosenkötter] 2018 im taz-Interview über seine 17 Monate in dem Heim. 40 | |
der Jugendlichen schliefen in einem Saal, besaßen nichts außer Nachthemd, | |
Zahnbürste und Arbeitskleidung und mussten sechs Tage die Woche ins Moor, | |
zum Torfstechen. Sie wurden mit Stöcken geschlagen, zum Entengang | |
gezwungen, zur Strafe in eine Zelle gesperrt und dort – so im Film gezeigt | |
– zeitweise mit nacktem Oberkörper in Seile gehängt. Oder es gab als Strafe | |
kein Essen. „Das war ganz schlimm. Wir mussten ja sechs Tage hart im Moor | |
arbeiten.“ | |
Rosenkötter hatte diese Erfahrungen fast 40 Jahre verdrängt, sprach nicht | |
mal mit der eigenen Familie darüber. Bis 2005 das Buch „Schläge im Namen | |
des Herrn“ von Peter Wensierski erschien und ausgerechnet in Freistatt eine | |
Lesung geplant war. „Drei Wochen lang hatte ich Bauchschmerz und schlaflose | |
Nächte, dann rang ich mich durch, hinzufahren“, sagte er. | |
## Nach dem Schweigen begann sein neues Leben | |
Zu dem, was dann begann, sagte Rosenkötter später: „Seit 2006 lebe ich mein | |
drittes Leben. Es ist das beste bisher.“ Er hatte ursprünglich Kranken- und | |
Altenpflege gelernt und bereits studiert. Nun engagierte er sich auf | |
Einladung des Leiters von Freistatt als Vertrauensperson für die heutigen | |
Kinder. Und er organisierte Führungen durch sein früheres Heim, das in | |
kleiner Form noch existierte und sich seiner Vergangenheit stellte. | |
Er machte eine Therapie. Und schließlich erzählte er Regisseur Marc | |
Brummund seine Geschichte, traf ihn dafür regelmäßig. Seit der Film | |
erschienen ist, zeigte er ihn auf Vorträgen und in Seminaren. Das sei auch | |
eine Therapie, sagte er. „Es ist für mich eine Mission, die Geschichte der | |
schwarzen Pädagogik zu erzählen.“ | |
Rosenkötter organisierte 2018 mit [4][Timm Kunstreich] das [5][Heimtribunal | |
„Dressur zur Mündigkeit“], in dem auch aktuelle Missstände zur Sprache | |
kamen. Er kämpfe mit für eine Entschädigung der Heimkinder der | |
Nachkriegszeit, sagt aber, man habe sich bei 800.000 Betroffenen mit einem | |
[6][Fonds von 120 Millionen Euro] mit zu wenig abspeisen lassen. | |
Er arbeitete mit im „Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung“ und | |
forderte Entschädigung für die jüngeren Opfer der Heimgeschichte, vor allen | |
[7][der Haasenburg-Heime]. „Wenn der politische Wille da ist, geht das“, | |
sagte er. Es sei Kärrnerarbeit, damit müsse man den Politikern „ständig auf | |
den Geist gehen“. | |
Seit 2015 engagierte er sich zudem für die Ombudsstelle für Kinder- und | |
Jugendhilfe Niedersachsen (Berni), deren Vereinsvorsitzender er zuletzt | |
war. Die Stelle erhält erst jetzt staatliches Geld. Rosenkötter hätte noch | |
im Januar die Büros besichtigt und die Fachkräfte ausgesucht, berichtet | |
sein Mitstreiter Jürgen Wittkötter. Der Tod seines Freundes sei am 19. | |
Januar unerwartet gekommen. Die Trauerfeier findet im engen Familienkreis | |
statt, aber Berni hat für alle, die sich noch von ihm verabschieden wollen, | |
[8][eine Gedenkseite] im Netz eingerichtet. Kaija Kutter | |
1 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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