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# taz.de -- Öffentlichkeit in Russland: Kriegsmüde Frauen
> Im Oktober 2022 ordnete Russland eine Teilmobilisierung an. Weil ihre
> Männer bis heute nicht zurückgekehrt sind, begehren zunehmend Frauen im
> Land auf.
Bild: „Mein Mann hat der Heimat genug geholfen“: Maria Andrejewa von der Gr…
MOSKAU taz | Maria Andrejewa redet sich in Rage: „Die Heimat verteidigen?
Ich pfeife auf diese Heimat! Ich will meinen Mann zurück, mit Beinen und
Armen, unversehrt!“ Ihr weißes Kopftuch ist ihr auf die Schultern
gerutscht, sie dreht sich zu zwei Frauen um, die versuchen, sie zu
beruhigen: „Männer sind einzigartige Geschöpfe Gottes, als Krieger
geschaffen. Wenn Sie ihn zurückholen, verliert er seine Männlichkeit. Beten
Sie für ihn“, sagt eine von ihnen und legt ihre Hand auf Andrejewas Kopf.
Es sind Sätze, die so viel patriarchale Missachtung ausdrücken, dass es
Maria Andrejewa noch aufgebrachter macht. Sie entwindet sich und sagt laut:
„Mein Mann hat der Heimat genug geholfen!“
Die Mittdreißigerin ist in den Moskauer Präsidentenstab gekommen, hier
können Russinnen und Russen ihre Unterschrift abgeben, damit Wladimir Putin
als [1][Präsidentschaftskandidat] für die Abstimmung im März registriert
wird. Seine Wiederwahl ist zwar bereits gesetzt, aber Unterschriften
müssten eben für jeden Anwärter her, so sei das Gesetz, vermittelt der
Staat seinem Volk. So wie er einst auch vermittelt hatte, dass sogenannte
„Teilmobilisierte“ nach spätestens sechs Monaten Dienst an der Front in der
Ukraine nach Hause kämen.
Die Bevölkerung nahm es hin, kaufte Thermounterwäsche für die Männer, die
auch Väter und Brüder sind, organisierte schusssichere Westen, schickte
Wollsocken an die Front, Kerzen für die Schützengräben, Essen. Auch Maria
Andrejewa empfand es als „Ehre“, dass ihr Mann in den Krieg, den sie mit
Putins Worten als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet, zog. Um die
„Heimat zu verteidigen“, wie sie sagt.
Vor wem der gelernte Masseur sie verteidigen sollte, weiß Andrejewa
allerdings bis heute nicht. Es sei nun ohnehin vorbei mit der „Ehre“, sie
wolle keine Vergünstigungen für sich und ihre kleine Tochter, sie wolle
ihren Frieden, mit ihrem Mann an ihrer Seite. In den Krieg könnten
schließlich andere ziehen, Vertragssoldaten, Freiwillige, aber doch nicht
ihr Liebster.
## „Also ging er hin, dumm natürlich“
Seit Oktober 2022, zwei Wochen zuvor hatte Putin seine „Teilmobilisierung“
ausgerufen, war er nicht mehr zu Hause in Moskau. Seit September 2023
kämpft Maria Andrejewa mit anderen Frauen von Mobilisierten „für
Gerechtigkeit“, wie sie sagt. [2][Im Telegram-Kanal namens „Der Weg nach
Hause“] posten sie ihre Geschichten, gehen mit Plakaten, die die Rückkehr
der Männer einfordern, auf die Straße, legen jeden Samstag Blumen an den
Denkmälern ihrer Städte nieder und bitten die Politik um Hilfe.
Da ist Antonina, die ihren Panzerfahrer-Ehemann wegen seiner Magengeschwüre
nach Hause holen will. Da ist Jana, die ihren Mann nicht zurückhalten
konnte, als der Einberufungsbescheid kam. „Was muss, das muss. Also ging er
hin, dumm natürlich“, sagt sie heute. Da ist Mascha, die ihren Mann im
Zinksarg zurückbekam und nun wütend fragt: „Warum gibt es keinen Aufschrei
derer, die ihre Liebsten für immer verloren haben?“ Kaum eine von ihnen
stellt – ob aus Vorsicht vor den repressiven Gesetzen oder aus Überzeugung
– den Krieg grundsätzlich infrage, wie auch kaum eine von ihnen das Regime
hinterfragt.
Manchmal aber klingen Zweifel an: „Wir irrten uns, indem wir glaubten,
Politik gehe uns nichts an. Dann aber kam die Politik zu uns“, sagt eine,
die nicht namentlich genannt werden will. Langsam realisieren sie, dass
ihre Rechte nichts gelten in Russland. In ihr „Manifest“ haben die Frauen
Forderungen wie diese aufgenommen: „Wir sind für die volle Demobilisierung
der Zivilbevölkerung. Für die politische Stabilität und ein würdiges Leben
eines jeden in Russland, für die Menschenrechte und einen Rechtsstaat. Wir
sind gegen die legalisierte Knechtschaft. Gegen das Schweigen der Führung.“
Sie sind nicht das einzige Sprachrohr für die Angehörigen von
Mobilisierten, auch Telegram-Kanäle wie „Wir holen die Jungs zurück“ oder
„Wir sind zusammen“ sammeln Aufrufe von Frauen. „Der Weg nach Hause“ ab…
ist mit knapp 40.000 Abonnent*innen der bislang größte und öffentlich
aktivste.
Doch Russland lässt die Frauen im Regen stehen. Lediglich der – noch nicht
als Präsidentschaftskandidat registrierte – Systemoppositionelle Boris
Nadeschdin hatte sich kürzlich in einem Moskauer Loft mit den Frauen
getroffen. Dabei ging es dem Mann allerdings mehr um seine
Selbstinszenierung als „Patriot und Kriegsgegner“ statt um die Anliegen der
wenigen Frauen, die gekommen waren. Doch immerhin: Der Staat ließ sie
gewähren.
## Der Druck vom Kreml steigt
Für die Propagandist*innen sind die Frauen „Feindinnen“,
„Verräterinnen“, „Provokateurinnen“, ihre Bewegung von westlichen
Geheimdiensten ins Leben gerufen und bezahlt. Es ist die übliche
Diffamierungskampagne gegen Personen, die das Regime, womit auch immer,
kritisieren. [3][Bei seiner Pressekonferenz im Dezember] sagte Putin, eine
„zweite Welle der Mobilisierung“ werde es nicht geben. Eine Perspektive für
die „erste Welle“ gab er nicht. Dabei erklärte der russische Präsident das
Jahr 2024 fast im gleichen Atemzug zum „Jahr der Familie“.
Andrei Kartapolow, Abgeordneter im Verteidigungsausschuss der Duma,
erläuterte gar, die Männer kämen erst heim, wenn die „militärische
Spezialoperation“ beendet sei. Für die aufständischen Frauen der
Mobilisierten klingt das wie Hohn. „Wir sind denen egal, wir existieren
nicht für sie, sie haben uns und unseren Männern das Leben gestohlen“, sagt
eine von ihnen. Maria Andrejewa schimpft: „Herr Präsident, schämen Sie sich
nicht? Sie haben Ihre Würde verloren. Wollen Sie sich noch weiter
blamieren?“ Ihre Vorsicht lässt nach, ihre Radikalität nimmt mit jedem
ihrer Auftritte zu. „Wir haben Fragen. Und wir wollen, dass diese Fragen
gehört werden“, sagt Maria Andrejewa beim Treffen mit dem
Möchtegern-Präsidenten Nadeschdin.
Die Behörden sind längst aufmerksam geworden auf die Aufmüpfigen. Ihre
Blumenniederlegungen werden von Polizisten des sogenannten „Zentrum E“
gefilmt, einer Einheit für Extremismusbekämpfung, die oft auf
Oppositionelle angesetzt wird. Der Inlandsgeheimdienst FSB habe einige von
ihnen zur Befragung abgeholt, ihre Männer würden von den Kommandierenden an
der Front unter Druck gesetzt, berichten die Frauen.
Der Unmut der Angehörigen bringt den Staat in Verlegenheit. Sie sind Putins
Stammwählerschaft, die meisten von ihnen stehen nach wie vor hinter seiner
Entscheidung zum Krieg. Sie sind das, was der russische Präsident gern als
„das tiefe russische Volk“ bezeichnet. Menschen, die sich jahrelang, nahezu
fraglos, der Losung des Kremls unterwarfen: „Wir sorgen für euer Wohl und
ihr haltet euch aus der Politik heraus.“ Nun hat der Staat diesen Frauen
nichts anzubieten. Das macht ihren Protest unberechenbar und so kurz vor
der „Wahl“ zu einem Risiko.
25 Jan 2024
## LINKS
[1] /Opposition-gegen-Putin/!5982913
[2] https://t.me/s/PYTY_DOMOY
[3] /Propaganda-Show-in-Russland/!5976361
## AUTOREN
Inna Hartwich
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