# taz.de -- Energiewende und Erdgas: Abhängigkeit beenden | |
> So könnte es gehen: Der Fachrat Energieunabhängigkeit legt eine | |
> Finanzierungsstrategie für die Abkehr vom Klimakiller Erdgas vor. | |
Bild: Gasanschlüsse wie dieser sollen bald überflüssig werden | |
BERLIN TAZ Die gerade in Kraft getretene Förderung für klimaschonende | |
Heizungen hat eine soziale Untiefe: Zwar bekommen Eigentümer:innen mit | |
weniger als 40.000 Euro jährlichem Haushaltseinkommen bis zu 70 Prozent der | |
Anschaffungskosten als staatlichen Zuschuss – aber mit so geringen | |
Einkünften dürfte es fast nicht möglich sein, die Finanzierung der übrigen | |
30 Prozent zu stemmen oder einen Kredit zu bekommen. | |
Gefüllt werden könnte die Lücke durch staatliche Bürgschaften für solche | |
Darlehen. Dieser Vorschlag ist Teil der Empfehlungen, die der [1][Fachrat | |
Energieunabhängigkeit] am Dienstag veröffentlicht hat. Der Ende 2022 | |
gegründete Rat aus Expert:innen aus Finanzwirtschaft, Wirtschaftspolitik | |
und Technik hat eine Strategie erstellt, wie Deutschland unabhängig von | |
Erdgas wird und wie dafür Kapital mobilisiert werden kann. | |
Zwar ist es der Bundesregierung gelungen, sich aus der Abhängigkeit von | |
russischen Lieferungen zu lösen – vor allem durch [2][Flüssiggasimporte aus | |
den USA und Katar]. Aber: „Auch diese neuen Abhängigkeiten sind riskant“, | |
sagte Jonathan Barth, Sprecher des Rats und Direktor des ZOE-Instituts für | |
zukunftsfähige Ökonomien bei der Präsentation in Berlin. Das zeigt etwa die | |
angespannte Lage im Roten Meer vor dem Suezkanal, durch den LNG-Transporte | |
aus Katar transportiert werden. Auch wie es mit Flüssiggasimporten aus den | |
USA weitergeht, ist angesichts einer möglichen Wiederwahl von US-Präsident | |
Donald Trump ungewiss. | |
Nach Auffassung des Rats sollte die Unabhängigkeit von Gas ganz oben auf | |
die Agenda der Bundesregierung gesetzt werden. „Technisch ist eine | |
Unabhängigkeit möglich“, sagte Barth. „Wenn wir jetzt handeln, können wir | |
Deutschlands Abhängigkeit von Erdgas um 78 Prozent reduzieren.“ Dafür sind | |
nach Einschätzung der Fachleute Investitionen von 526 Milliarden Euro bis | |
2045 nötig. Davon entfallen 482 Milliarden Euro auf den Gebäudesektor und | |
44 Milliarden Euro auf die Industrie. | |
## Hälfte aller Wohnungen wird mit Gas beheizt | |
Der Erdgasverbrauch könnte um ein Drittel sinken, wenn beim Heizen von | |
Gebäuden auf Erdgas verzichtet würde. Die Hälfte aller Wohnungen wird mit | |
Gas beheizt. Das soll sich in den kommenden zwei Jahrzehnten ändern. Zu | |
Jahresbeginn ist das [3][Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister | |
Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD)] in Kraft | |
getreten, das den Ausstieg aus fossilen Heizquellen vorsieht. | |
Nach Berechnungen des Fachrats haben mindestens 1,5 Millionen private | |
Eigentümer:innen aber Probleme, den Heizungstausch finanziell zu | |
stemmen. Deshalb schlägt er ein „Wärme für alle“-Programm in Form einer | |
Ausfallbürgschaft des Staates vor. Dabei soll das Geld direkt an die Firma | |
überwiesen werden, die den Austausch vornimmt. | |
## Mietheizung von den Staftwerken | |
Um den Umstieg auf erdgasfreie Wärme zu beschleunigen, empfehlen die | |
Expert:innen außerdem, dass Stadtwerke Eigentümer:innen | |
Mietheizungen anbieten. Das würde Stadtwerken ein neues Geschäftsfeld | |
eröffnen – was die dringend brauchen. Denn heute hängt ein Viertel ihrer | |
Einnahmen vom Erdgas ab. | |
In der Industrie können Investitionen in Höhe von 10 Milliarden Euro zu | |
einer Halbierung des Verbrauchs führen. Um den Wandel zu beschleunigen, sei | |
es wichtig, vorbildliche Unternehmen zu belohnen und sichtbar zu machen, | |
sagen die Expert:innen. Sie plädieren für die Gründung einer | |
„Industriewende-Beschleuniger-Plattform“. Sie soll eine „Drehscheibe“ f… | |
den Wissensaustausch, Kooperationen und die Investitionsförderung werden. | |
Dazu gehört eine zentrale Schnittstelle für die Förderberatung für | |
Unternehmen. | |
Die Abkehr vom Erdgas soll nach Auffassung des Fachrats vor allem durch | |
private Mittel finanziert werden. Der Staat müsse allerdings einen | |
verlässlichen Rahmen schaffen, hieß es. Einen Anreiz für private | |
Investitionen soll es zum Beispiel durch Zinsvorteile geben. So soll die | |
Europäische Zentralbank (EZB) ein Programm einrichten, bei dem es | |
Vergünstigungen bei der Vergabe von Krediten gibt. Auf diese Weise sollen | |
Banken ermutigt werden, mehr Kredite für Projekte zu vergeben, die in die | |
Unabhängigkeit von Erdgas investieren. | |
In dem anstehenden Transformationsprozess müsse die soziale Frage im | |
Vordergrund stehen, mahnte die Politökonomin Maja Göpel bei der Vorstellung | |
der Empfehlungen. „Es ist eine große Tragik, dass das Klimageld | |
vernachlässigt wurde.“ Das Klimageld sollte ursprünglich höhere Kosten | |
durch den steigenden CO2-Preis ausgleichen, der auch für den Verbrauch von | |
Erdgas zum Heizen bezahlt werden muss. In dieser Legislaturperiode wird es | |
nicht mehr kommen. | |
Wichtig sei, Ansätze wie einen höheren Mindestlohn, Härtefallregelungen, | |
eine Abgabe für Vermögende oder den Abbau umweltschädlicher Subventionen zu | |
verfolgen, sagte Göpel. Sonst drohe ein Akzeptanzverlust. | |
23 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://xn--fachrat-energieunabhngigkeit-pnc.de/ | |
[2] /Klage-der-Deutschen-Umwelthilfe/!5977843 | |
[3] /Bundestag-beschliesst-Heizungsgesetz/!5958943 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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