# taz.de -- Muslimische Zukünfte in der Kunst: Ein Narrativ mitgestalten | |
> Die Berliner Ausstellung „Muslim Futures“ gleicht einem Raum aus | |
> Wünschen, Ideen und Hoffnungen. Erinnert wird auch an das, was war. | |
Bild: Besucher*innen betrachten eines der Werke bei „Muslim Futures“ | |
Es ist Freitagabend und ich zieh mich aus der U-Bahn ins Acud. Ich gehe in | |
eine Austellung. Schon beim Eingang riecht es nach geräucherten Kräutern | |
und Chai. Gleich hinter der Tür begegnet mir ein Textblock mit dem Titel | |
„Muslim Futures“. Es ist der zweite Tag der Veranstaltungsreihe der | |
Futurist*innen. | |
„‚Muslim Futures‘ ist eine Angelegenheit. Ein Prozess. Eine Vorstellung, | |
die im Vergangenen geboren wurde und sich ins Heute übersetzt. Was passiert | |
also morgen, in zehn Jahren, in 100 Jahren, wenn du heute wagst, dir | |
vorzustellen, was unvorstellbar scheint“, steht auf einer schwarz | |
bedruckten Tafel. Um mich herum sehe ich [1][VR-Brillen], die in bestehende | |
und alternative Räume führen, sehe Videos, Teppiche und Bilder. Ich bewege | |
mich in einem Raum aus zusammengetragenen Wünschen, Ideen und Hoffnungen. | |
Es ist ein Raum, der inmitten von Krisen, faschistischer Gewalt und offen | |
ausgesprochenem [2][antimuslimischem Rassismus] lebendig wurde. | |
Vor Kader Baglis [3][KI-generiertem Video] fange ich an zu weinen. „A | |
message to your heart“ ist der Titel des Kurzfilms – ich sehe Bilder von | |
Menschen, die sich halten, warmen Farben, die in sich zusammenfließen und | |
eine Geschichte der Selbstreflexion und Güte erzählen. Eine Geschichte, die | |
zwar von einem Computer geschrieben, doch mithilfe der VFX-Künstlerin | |
(um)programmiert wurde. Statt in einer sich summierenden Berechnung zu | |
verschwinden, malt Bagli aus Nullen und Einsen ein Bild, das zu und nicht | |
über uns spricht. | |
Was ist ein KI-Apparat mit muslimischen Werten? Wie geht eigentlich | |
ethisches Programmieren und was heißt das überhaupt? Wie beeinflussen | |
Diskriminierungsformen, aber auch unser Zugang zu Glauben und Spiritualität | |
die Tech-Industrie? Wie können wir die Tech-Industrie beeinflussen? | |
## „Vielleicht“ oder „Möglicherweise“ | |
In der Galerie von „Muslim Futures“ begegne ich einem Spiel aus | |
Hoffnungslosigkeit und Überraschungen, ich denke daran, wie die [4][AfD | |
Tiktok] für sich nutzen will. Zeitgleich kommen neue Fragen auf und der | |
Wunsch nach einem „Vielleicht“ oder „Möglicherweise“, an eine Vorstell… | |
die das Morgen heller aussehen lässt als das Gestern. Utopien gehören eben | |
auch mir, sie gehören jenen, denen im Jetzt die Gegenwart verwehrt wird und | |
die eine Vergangenheit der zerstörten Zukunft bis heute verfolgt. | |
Zukunftsvorstellungen von muslimisch gelesene Menschen bedeuten in erster | |
Linie Visionen zu haben, die neben Gewalt, Überforderung und Angst | |
überdauern, existieren dürfen und werden. Es bedeutet, ein Narrativ | |
mitzugestalten. | |
Ich gehe an einem Bild von einem Richter im Kaftan vorbei, fiktiven | |
Titelblättern von Rassismuskritiker*innen auf berühmten Magazinen. | |
Da ist ein Teppich, auf dem der Satz „Intergenerational Dreams“ in Grün | |
quer über den Stoff genäht wurde. Ich lass ihn in mir wirken und spüre mich | |
in eine Welt jenseits der Konsequenz, dem Ergebnis, der logischen Folge | |
einer Berechnung hinein. Ich denke daran, selbst die Formel für das | |
Kommende schreiben zu wollen. Ich denke an Wünsche, die seit Jahrzehnten | |
in meiner Familie liegen, sich sammelnde Visionen und Erzählungen des | |
Widerstands. | |
## Eine Forderung nach Platz | |
„Wenn wir von Zukünften sprechen, negieren wir nicht, was war“, so | |
beschreibt es die Projektleiterin Ouassima Laabich am Podium. Sie spricht | |
von dem „Warum eigentlich nicht?“ bei der Frage nach Utopien und | |
Zukunftsbildung. Ouassima erklärt, wie wir uns zuerst erinnern müssen, | |
bevor wir von dem sprechen können, was möglich ist. Sie erklärt auch, dass | |
unsere Geschichten nicht nur das Ende einer Kette von Erzählungen der | |
Flucht und des Traumas, der rassistischen Gewalt und Hetze sind – sie | |
können der Anfang einer Idee von Zusammenhalt und Solidarität sein, von | |
Freund*innenschaft und Liebe. | |
KI Systeme und andere technische Inventionen unserer Zeit werden meistens | |
von den dominantesten Gruppen unserer Gesellschaft konstruiert und | |
gestaltet. Die „forschrittlchen“ Datensysteme, die für die Verwendung | |
vieler KIs notwenig sind, spiegeln auch ein Archiv der kolonialen und | |
rassistischen Vergangenheit sowie Gegenwart. Menschen, die aus dem Raster | |
fallen sind oft auch jene, die kaum Teil dieser Konstruktionen und | |
(Mit)programmierungen sind. Dabei gehört die Zukunft uns allen. | |
Die Austellung und Idee von „Muslim Futures“ stellt keine Fragen der | |
Realisierbarkeit, sondern eine Forderung nach Platz, dem Vermächtnis einer | |
Zukunft. Es ist eine Einladung zum Träumen, auch für mich, denn warum | |
eigentlich nicht? | |
26 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Leyli Nouri | |
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