# taz.de -- Umstrittener Kyjiwer Bürgermeister: Klitschko kontrovers | |
> Vitali Klitschko ist im Clinch mit Präsident Wolodimir Selenski. Doch | |
> auch die Menschen in Kyjiw bewerten ihn persönlich sehr unterschiedlich. | |
Bild: Am Bürgermeister Vitali Klitschko scheiden sich die Geister | |
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kyjiws Bürgermeister Vitali Klitschko | |
und Präsident Wolodimir Selenski sich nicht grün sind. Im letzten Herbst | |
hatte sich Klitschko auf die Seite von Walerij Saluschnyj, dem | |
Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, gestellt, als der im | |
Economist von einer Pattsituation im Krieg gesprochen und sich [1][damit | |
Ärger mit Selenski eingehandelt hatte]. Und in den letzten Tagen hat sich | |
Klitschko schützend vor kritische Investigativjournalisten gestellt, die | |
zunehmend staatliche Repressionen fürchten. | |
Doch auch am Bürgermeister Vitali Klitschko scheiden sich die Geister. | |
Dabei geht es allerdings um gänzlich andere Themen. „Ich liebe ihn“, sagt | |
eine Frau, die sich als Sportlehrerin vorstellt, zu zwei anderen, mit denen | |
sie im Kyjiwer Außenbezirk Obolon auf den Bus wartet. „Klitschko baut | |
Brücken, Straßen, verschönert Grünanlagen. Er hat sich sogar gegen die | |
Erhöhung der kommunalen Gebühren ausgesprochen. Er kann nichts dafür, dass | |
die trotzdem erhöht wurden.“ Und gerade für die Belange des Schulsports | |
habe er immer ein offenes Ohr. | |
## Korruption und Kriegswirtschaft | |
„Ach, das mit dem Bauen ist so eine Sache“, entgegnet ihre | |
Gesprächspartnerin. „Klitschko lässt doch viel zu viel bauen. Bei meiner | |
Tante im Stadtzentrum haben sie gerade die Straße gepflastert. Letztes Jahr | |
auch. Würde mich nicht wundern, wenn sie das nächstes Jahr wieder machen.“ | |
So verschleudere man staatliche Gelder an Bauunternehmen, klagt sie. „Das | |
nennt man Korruption.“ | |
Und überhaupt. Er habe doch versprochen, neue U-Bahn-Stationen zu bauen. | |
„Tatsächlich aber mussten gerade sechs Stationen geschlossen werden, weil | |
schon Wasser von der Decke tropfte. Der Mann mag ein guter Boxer gewesen | |
sein, aber als Bürgermeister sollte man Verwaltungserfahrung haben. | |
Klitschko hat doch von all dem keine Ahnung.“ | |
„Klitschko macht nur Dinge, die prestigeträchtig sind“, wirft Rentnerin | |
Nadja, die dritte Frau, ein. Natürlich seien Sportgeräte in den Parks gut. | |
Aber um das Loch in der Straße vor ihrem Hause habe sich monatelang niemand | |
gekümmert. Nur ein Warnschild habe man aufgestellt. „Wir in den | |
Außenbezirken sind eben nicht so wichtig für unseren Bürgermeister“, meint | |
Nadja. „Und überhaupt“, ergänzt sie noch, „es kann doch nicht sein, dass | |
Klitschko so viele Straßen baut und Parks verschönert. Wir haben Krieg. | |
[2][Mit dem Geld sollte man lieber Drohnen für die Front kaufen].“ | |
## Persönliche Finanzhilfe vom Bürgermeister | |
„Ich mag ihn“, sagt nun wieder die Sportlehrerin. „Als meine Mutter schwer | |
krank war, habe ich ein persönliches Gespräch bei ihm bekommen. Ich habe | |
Klitschko um Hilfe für die Operation gebeten. Er hat mir auch finanzielle | |
Unterstützung zugesagt. Ehrlich gesagt habe ich gedacht, das sagt er nur, | |
um Eindruck zu schinden. Bei dem Gespräch war nämlich auch ein Journalist | |
dabei. Aber nein, zwei Tage später hat mich Klitschkos Mitarbeiter | |
angerufen und wir haben tatsächlich Geld bekommen. Mir gefallen Männer, die | |
Wort halten.“ | |
Sorgenvoll blickt Nadja auf einige Bäume auf der anderen Straßenseite. „Es | |
gibt viel weniger Raben in der Stadt als früher“, sinniert sie. „Und wissen | |
Sie, warum? Weil die vom Grünflächenamt einfach wahllos Bäume fällen. Und | |
je weniger Bäume es gibt, desto weniger Vögel gibt es auch.“ | |
Sie habe sich darüber telefonisch im Büro von Vitali Klitschko beschweren | |
wollen. Doch dort habe man sie nur abgewimmelt und gesagt, der | |
Bürgermeister sei nicht für die Bäume zuständig. Sie solle sich besser an | |
das Grünflächenamt wenden. „Aber ich kann mich doch nicht an genau | |
diejenigen wenden, über die ich mich beschweren will“, schimpft sie. | |
„Entscheidend ist doch, dass die wichtigen Dinge funktionieren: Die Busse | |
fahren, [3][die Heizung läuft in meiner Wohnung]. Strom haben wir auch. Die | |
Regale in den Geschäften sind voll. Was wollen wir mehr?“, resümiert die | |
Sportlehrerin, bevor sie alle drei in den gelben Trolleybus einsteigen. | |
21 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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