| # taz.de -- Soziologe über Klimakrise: „Nach Verursacherprinzip handeln“ | |
| > Die größten Verursacher der Klimakrise sind zugleich die, die über das | |
| > Geld für deren Bekämpfung verfügen, so Soziologe Sighard Neckel. | |
| Bild: Privatvergnügen für Superreiche: Privatjet am Flughafen Düsseldorf | |
| taz: Herr Neckel, wann sind eigentlich die Superreichen in den Blick der | |
| Klimaschützer:innen geraten? | |
| Sighard Neckel: Das hängt mit den verfügbaren Daten zusammen. Im letzten | |
| Jahrzehnt ist eine spezielle Variante der Ungleichheitsforschung | |
| entstanden, die sogenannte Climate Inequality Forschung. Die hat in | |
| detaillierten Untersuchungen gezeigt, wie unterschiedlich der Anteil | |
| verschiedener Einkommensklassen bei der Klimaschädigung ist. | |
| Lange wurde auf den Demos gegen die Kohlekonzerne skandiert – warum nimmt | |
| man jetzt nicht mehr bestimmte ökonomische Felder, sondern soziale | |
| Schichten in den Blick? | |
| Insbesondere „Fridays for Future“ konzentriert sich mittlerweile auf | |
| diejenigen, die die Entscheider bei der Klimakrise sind. Wer Milliarden in | |
| Öl, Gas und Kohle investiert, will keine Kundenwünsche erfüllen, sondern | |
| möglichst viel Geld verdienen. Im letzten Jahr hat ein Investigativ-Team | |
| des Guardian recherchiert, dass die Erdölkonzerne Exxon, Total, Shell und | |
| BP Milliarden in neue Plattformen, Pipelines, Terminals und Bohrinseln | |
| fließen lassen, der Klimakrise zum Trotz. | |
| Geht dann der Ball nicht ruckzuck zurück ins Feld der Politik, wo die | |
| Rahmenbedingungen gesetzt werden? | |
| Natürlich hat die Politik damit etwas zu tun. Wir wissen ja, dass fossile | |
| Industrien bis heute mit hohen staatlichen Subventionen gefördert werden. | |
| Auch für die Entstehung des Superreichtums in den letzten 25 Jahren war die | |
| staatliche Politik ein wichtiger Faktor. Indem man die Steuern auf Vermögen | |
| und Kapitalerträge senkte oder abgeschafft hat, wurden staatlicherseits | |
| teure Geschenke an die Reichtumsklassen verteilt. | |
| Warum sollte die allgemeine Bereitschaft zu Klimaschutz wachsen, wenn man | |
| [1][die Reichen stärker zur Verantwortung] zieht? | |
| Weil man die allgemeine Bereitschaft zum Klimaschutz untergräbt, wenn man | |
| ausgerechnet die wichtigsten Verursacher der Klimakrise von Belastungen | |
| ausnimmt. Und noch etwas anderes kommt hinzu: Die hauptsächlichen | |
| Verursacher der Klimaschädigung sind zugleich diejenigen, die über die | |
| finanziellen Mittel verfügen, die wir für den Klimaschutz brauchen. | |
| Wo Sie von Gerechtigkeit sprechen: Deutlich eingespart am CO2-Ausstoß haben | |
| in Deutschland seit 1991 nur die unteren Gehaltsklassen. Fängt da die | |
| Ungerechtigkeit nicht schon bei der Mittelschicht an? | |
| Natürlich geht es nicht nur um die Reichen und Superreichen. Global gesehen | |
| tragen die obersten zehn Prozent zwei Drittel zu den Treibhausgasen bei. In | |
| Deutschland gehören zu diesen globalen zehn Prozent diejenigen, die als | |
| Einzelpersonen ein Jahresnettoeinkommen von 80.000 Euro und mehr haben. | |
| Daran erkennt man, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse auch bei diesen | |
| obersten zehn Prozent sehr unterschiedliche sind. Entsprechend abgestuft | |
| sollte eine Umverteilung zugunsten des Klimas erfolgen. Nur ändert das | |
| nichts an der Tatsache, dass ganz an der Spitze, im obersten ein Prozent, | |
| diejenigen versammelt sind, die die Kontrollmacht über die Unternehmen | |
| haben, die hauptsächlich an der Klimaschädigung beteiligt sind. | |
| Sie haben auch zum Thema Ressentiment geforscht, und ich frage mich: Wie | |
| hoch ist der Anteil von Ressentiment in diesem ganzen Diskurs? | |
| Die Frage klingt so, als würden die wirtschaftlichen Führungsschichten, | |
| wenn man sie kritisiert, zum Opfer von Ressentiments. Dann würden wir den | |
| Opferdiskurs, der heute überall gerne geführt wird, auch noch in die | |
| Oberklasse der Privilegierten verschleppen. Nüchtern betrachtet, war | |
| Kapitalismuskritik schon immer mit gewissen Ressentiments verbunden. Das | |
| können wir bereits bei Max Scheeler nachlesen, dass sich Ressentiments auf | |
| diejenigen richten, die die Gewinner einer Gesellschaftsordnung sind, | |
| während man selbst mit seinen eigenen Ambitionen nicht recht vorankommen | |
| konnte. Aber dies ist noch lange kein Grund, auf Kapitalismuskritik zu | |
| verzichten, zumal wenn sie auf einer argumentativen Grundlage beruht. | |
| Warum kann diese Kritik jetzt formuliert werden? | |
| Lange konnte man solche Forderungen als Sozialneid mundtot machen, und | |
| jetzt gibt es Demos, wo es heißt: „Wir können uns die Reichen nicht mehr | |
| leisten“. Wenn Sie an die Protestbewegungen im Nachklang der Finanzkrise | |
| denken, hat es seinerzeit schon eine starke Kritik am exzessiven Reichtum | |
| der Oberklassen gegeben. Das Buch „Why We Can't Afford the Rich“ von Andrew | |
| Sayer ist ja bereits 2015 erschienen. | |
| Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die Proteste diesmal erfolgreicher sind als | |
| nach der Finanzkrise? | |
| Bei der Finanzkrise war eines der Probleme, dass man die Professionals der | |
| Finanzindustrie bei der Bewältigung des Banken-Crashs brauchte. Das stellt | |
| sich heute bei der Klimakrise anders dar. Expertenwissen, technologische | |
| Lösungen, auch ausreichend Kapital – das ist eigentlich alles vorhanden. | |
| Doch die Regierungen sind nicht zu durchgreifenden Maßnahmen bereit, weil | |
| sie befürchten, Zustimmung zu verlieren, wenn sie mit dem Klimaschutz ernst | |
| machen. Eine Möglichkeit, diese Barriere zu überwinden, ist, Klimapolitik | |
| nach dem Verursacherprinzip zu gestalten. Von reichen Einkommensgruppen | |
| Abstriche einzufordern, ist zustimmungsfähiger als von der | |
| durchschnittlichen Bevölkerung große Opfer zu verlangen. | |
| Ist das so realistisch? Schließlich ist es eine Elite, die sowohl in China | |
| als auch in Indien, den USA oder Deutschland ansässig ist. | |
| Es ist sicher unrealistisch, zu glauben, dass man die Wirtschaftseliten der | |
| fossilen Konzerne nun einfach enteignen könne. Aber Berechnungen von | |
| Klimaökonomen wie Thomas Piketty zeigen, dass man mit einer globalen | |
| Klimasteuer von nur zwei Prozent auf große Kapitalvermögen die Summe | |
| zusammen hätte, um weltweit Klimaanpassungsmaßnahmen zu finanzieren. Das | |
| ist eine vergleichsweise gemäßigte Forderung, die in der Öffentlichkeit | |
| aber als Ausgeburt eines Klimaradikalismus dargestellt wird. | |
| Wo Sie von radikalen Forderungen sprechen: Ließen sich die Weltraumflüge | |
| von Elon Musk und Co verbieten? | |
| Solche Weltraumflüge werden als Privatvergnügen für Superreiche | |
| organisiert. Allein schon wegen ihrer haarsträubenden Emissionen sollte so | |
| was nicht zulässig sein. Es spricht nichts gegen die Beschränkung extrem | |
| klimaschädlicher Luxusgüter. [2][Auch schwere SUVs], die mit drei Tonnen | |
| Gewicht durchschnittlich 1,2 Personen befördern, stoßen im Jahr fast eine | |
| Milliarde Tonnen CO2 aus. Wir lassen auch keine Schützenpanzer zum privaten | |
| Gebrauch zu, obgleich es wahrscheinlich auch dafür eine Nachfrage gäbe. | |
| 12 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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