# taz.de -- Eine Begegnung in der U-Bahn: Mein Leben, dein Leben | |
> Unterhaltungen zwischen Fremden haben am Anfang oft etwas Ungelenkes. | |
> Schön zu beobachten, wenn das Ungelenke langsam einem Lächeln Platz | |
> macht. | |
Bild: Ausgangspunkt einer gelungenen Begegnung: Die U-Bahn-Haltestelle Baumwall… | |
U3. Immer wieder ist es ein Zauber, dieser Abschnitt zwischen Baumwall und | |
Landungsbrücken, wenn die Bahn nachts an den Lichtern der Elbe vorbeifährt, | |
den Segelschiffen, die im Dunkeln liegen, den erleuchteten Musicalbauten. | |
An der Station Baumwall sind zwei ältere Herren und eine Dame eingestiegen. | |
Sie mögen um die 70 Jahre alt sein, sitzen einander im Viererabteil | |
gegenüber, scheinen gerade aus der [1][Elbphilharmonie] zu kommen, wirken | |
heiter und aufgekratzt. | |
Hinter ihnen steht eine Gruppe junger Männer, etwa zwischen 17 und 19 | |
Jahren alt, mit weiten Hosen und glatten Gesichtern. Sie lachen laut | |
miteinander. Auf einmal löst sich ein junger Mann aus der Gruppe und läuft | |
zum Abteil der älteren Gruppe. | |
„Darf ich mich zu Ihnen setzen“, fragt er. Die Älteren nicken und er setzt | |
sich zu ihnen ins Viererabteil. Ein Freund des jungen Mannes feixt und | |
springt auf einen der Sitze im Nachbarabteil. Das Szenario hat etwas | |
Abgesprochenes. Als würde der junge Mann, der sich zu den Älteren setzt, | |
eine Wette einlösen. | |
„Woher kommen Sie“, fragt er. | |
„Von einem Konzert“, sagt der ältere Mann neben ihm. | |
„Wie war das Konzert“, fragt der junge Mann. | |
„Schön“, antwortet der Ältere. | |
„Sind Sie zu Besuch hier“, fragt der junge Mann weiter. | |
Die Gruppe der Älteren nickt. | |
„Was machen Sie hier in der Stadt“, fragt der junge Mann. | |
„Warum fragen Sie“, fragt nun der ältere Mann zurück. | |
„Ich finde das interessant. Es interessiert mich“, sagt der Jüngere. | |
Es hat etwas aufgesetztes, wie er fragt. Als würde er eine Metaebene | |
mitdenken, dass es nett ist, wenn er sich für ältere Menschen interessiert. | |
Doch sein Sprechen wirkt eher wie ein Spiel. | |
Die U-Bahn rattert in den Tunnel. Spannung liegt in der Luft, als könnte | |
hier gleich so etwas wie ein [2][Enkeltrick] geschehen. Oder ist der junge | |
Mann einfach nur nett? | |
Er stellt noch weitere Fragen. | |
„Was haben Sie für einen [3][Beruf]?“ | |
„Ingenieur. Das habe ich früher gemacht.“ | |
„Ingenieur, beeindruckend.“ | |
„Und Sie?“, fragt der ältere Mann zurück. | |
„Also, wir waren schon auf dem Absprung, Mo wollte gehen. Aber dann haben | |
wir das Ruder nochmal herumgerissen. Und jetzt scheint es schönerweise | |
weiterzugehen mit dem Abend“, sagt der jüngere Mann. Auch jetzt wirkt sein | |
Sprechen wieder wie aus einer Metaebene, als würde er sich selbst | |
betrachten, sie als junge Gruppe beim Feiern. | |
„Das ist ja schön.“ Der ältere Mann fragt weiter. Und auf einmal, ganz | |
sachte, unmerklich, lockert sich etwas, entsteht aus der Situation ein | |
Gespräch. Der jüngere Mann erzählt, was sie vorhaben, und sein Sprechen hat | |
nun zum ersten Mal etwas Natürliches. Und das hat der jüngere Mann | |
geschafft. Das Fremde, Ungelenke am Anfang zu überwinden, das oft zu Beginn | |
jeder Begegnung steht. Vielleicht funktioniert es nur so. Auf einmal sitzen | |
da einander fremde Menschen mit mehr als 50 Jahren Altersunterschied und | |
sprechen lächelnd über ihr Leben. | |
29 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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