# taz.de -- Austern, Champagner und Niedergang: Vergnüglich geht die Welt zugr… | |
> Jetzt, wo alle schreiben, dass es bald vorbei sein könnte mit dem | |
> angenehmen Leben in Frieden, ist radikaler Hedonismus die einzige | |
> Alternative. | |
Bild: Zum Weltuntergang passen am besten Austern und Champagner | |
„Ich glaub’, radikaler Hedonismus ist jetzt die einzige Alternative“, sagt | |
die Freundin und starrt auf ihr Dutzend Austern. | |
„Wie jetzt, jetzt?“ | |
„Na, jetzt, wo alle immer reden und schreiben, tönen in abertausend Medien, | |
dass es bald vorbei sein könnte mit dem angenehmen Leben in Frieden, | |
Demokratie und dem genormten Wetter-Auf-und-Ab, dass bald nichts mehr | |
Grenzen habe.“ | |
„Und deshalb willst du jetzt deine überschreiten?“, fragt die andere | |
Freundin. | |
„Vielleicht, ich esse zunächst mal ein paar Austern.“ | |
„Aber du magst doch gar keine Austern.“ | |
„Ich werde versuchen, sie zu mögen, ich will alles mögen, mit allem | |
übertreiben, mich mit dem Schlechten, mit dem möglicherweise Unabwendbaren | |
abfinden und dann einfach genießen, was mir bleibt.“ | |
„Aber das wird nicht viel sein, wenn du dein Geld verschleuderst für | |
halbtote Meerestiere.“ | |
„Sind Austern nicht tot?“ | |
„Doch, bloß roh.“ | |
„Sind Austern Tiere?“ | |
„Na ja, Lebewesen, alles andere sind zu viele Wörter, in manchem Fall ist | |
es doch so: Je mehr man differenziert, desto weniger erfasst man den Kern | |
der Sache.“ | |
„Sicher nicht, wenn es um Politik geht.“ | |
„Deshalb ja Hedonismus.“ | |
„Ist das diese Nummer mit: Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter?!“ | |
„Nee, das wäre ja bloß maximaler Stress, was soll das für ein Leben sein?�… | |
„Voll die Druck-Injektion.“ | |
„Na, also ich würde einfach nur noch im Bett liegen und weinen.“ | |
„Ich würde wohl den ganzen Tag Weichlakritz und Geleebananen essen.“ | |
„Ich würde nackt durch die ganze Stadt laufen.“ | |
„Wieso das denn?“ | |
„Weil’s dann egal wäre.“ | |
„Was wäre egal?“ | |
„Na, die Scham.“ | |
„Du würdest dich nicht mehr schämen, wenn du wüsstest, es ist übermorgen | |
vorbei?“ | |
„Genau.“ | |
„Es gibt viele Leute, die sich nicht mehr schämen in diesen Zeiten.“ | |
„Sag nicht in diesen Zeiten.“ | |
„Manchmal steckt im Abgelutschten eben die scheiß Wahrheit.“ | |
„Die Uhr tickt.“ | |
„Denn in diesen Zeiten schämen viele sich nicht mehr, Nazis zu wählen.“ | |
„Und du meinst, das ist so, weil die alle mit dem Leben abgeschlossen | |
haben?“ | |
„Mit dem Leben vielleicht nicht, aber mit etwas anderem.“ | |
„Der Essenz“, sagt die Freundin und schlürft die erste Auster mit wachen | |
Augen. | |
„Was ist die Essenz? Bitte sagt jetzt nicht: das Gute!“ | |
„Aber ja, sie haben mit dem moralischen Feingefühl abgeschlossen.“ | |
„Aber vielleicht war da immer schon nur Grobes.“ | |
„Ich glaube, es ist ein Mangel an Vergnügen, der Dinge zu schlechten | |
Abschlüssen bringt“, sagt die Freundin und spült die zweite Auster mit Rosé | |
Cremant runter. | |
„Du meinst also, wenn man Nazi-Wählern nur genug Austern und Champagner | |
gibt, dann kommen sie zurück zur wahrhaftigen Freude, Vernunft und gesunden | |
Scham?!“ | |
„Na ja, vielleicht tut’s in den meisten Fällen auch reichlich Karbonade und | |
Alster!“ | |
„Ich liebe Karbonade mit Alster!“ | |
„Mhm, ja, und dazu schön gebratene Zwiebeln und Buttersoße.“ | |
„Wie geht Buttersoße genau?“ | |
„Na ja, Butter in flüssig.“ | |
„Kannst du überall draufmachen, wird alles besser dadurch!“ | |
„Genau wie wenn es knusprig ist, alles, was knusprig ist, schmeckt | |
fantastisch, selbst das, was nach nichts schmeckt!“ | |
„Was schmeckt nach nichts?“ | |
„Tofu!“ | |
„Huhn, Schwein und Rind schmecken quasi auch nach nichts ohne Salz und | |
Pfeffer.“ | |
„Rosmarin und Knoblauch.“ | |
„Vorzüglich, bestellen wir noch ein Dessert?“ | |
„Und wie! Dazu überteuerten Schnaps für alle.“ | |
„Eine Quitte bitte!“ | |
„Auf all die letzten Tage unseres Lebens!“ | |
„Einen nach dem anderen …“ | |
4 Jan 2024 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Ramadan | |
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