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# taz.de -- Konfessionskrieg im nordirischen Fußball: Rückzug der Kelten
> Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1948 endete der Liga-Fußball für Celtic
> Belfast. Die Anfeindungen aus dem protestantischen Milieu waren zu viel.
Bild: Abschließende US-Tournee: Celtic Belfast kassiert in Philadelphia einen …
Als das Fußballspiel abgepfiffen wurde, rannte Harry Walker zum Tor und
griff sich die Eisenstange, an der das Tornetz befestigt war. Er schwang
die schwere Stange wie eine Keule überm Kopf, um sich und seine
Mannschaftskameraden gegen die Angriffe der Zuschauer zu verteidigen. Es
dauerte eine Ewigkeit, bis sie die rettende Kabine erreicht hatten. Als
Walker sich umsah, bemerkte er, dass Mittelstürmer Jimmy Jones fehlte.
Jones stand beim Schlusspfiff an dem Ende des Platzes, das am weitesten vom
Kabinentrakt entfernt war. Während er noch die Hand seines Gegners
schüttelte, schlug ihm jemand von hinten auf den Kopf. Er flüchtete an den
Spielfeldrand, wo die Polizei während des Spiels Aufstellung genommen
hatte, doch die Beamten waren verschwunden. Die Menschenmenge holte Jones
ein und zerrte ihn über eine Mauer auf die Tribüne. Dort sprang einer von
ihnen immer wieder auf Jones’ Bein, sodass er einen komplizierten
Trümmerbruch erlitt. Wäre ihm nicht ein Freund, der sich unter den
Zuschauern befand, zu Hilfe gekommen, hätten sie Jones an diesem Nachmittag
umgebracht.
Es war der zweite Weihnachtsfeiertag 1948. [1][Belfast Celtic, das Team von
der katholischen Falls Road], musste im Windsor Park antreten, dem Stadion
des protestantischen Vereins FC Linfield. Das Spiel endete unentschieden
1:1, doch davon sprach hinterher niemand mehr. Nachdem Linfield kurz vor
Schluss den Ausgleich erzielt hatte, gerieten die 25.000 Zuschauer völlig
aus dem Häuschen. Als auch die uniformierten Polizisten ihre Mützen vor
Freude in die Luft warfen, wurde den Celtic-Spielern klar, dass sie von der
Polizei keinen Schutz erwarten konnten.
Schon vorm Spiel hatten sie schlimme Befürchtungen. Beim Hinspiel im Celtic
Park, der bei den Celtic-Fans „Paradise“ hieß, war es zwei Monate zuvor zu
einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen dem Celtic-Torwart Kevin
McAlinden und dem Linfield-Mittelstürmer Billy Simpson gekommen. Simpson
hatte McAlinden getreten. Der rächte sich, indem er Simpson mit einem
Faustschlag zu Boden streckte. Alle sahen es, nur der Schiedsrichter nicht.
„Damit war der Grundstein für die Krawalle beim Rückspiel im Windsor Park
gelegt“, meint der damalige Celtic-Kapitän Harry Walker.
## 14 Meisterschaften
Beim Rückspiel im Windsor Park entschied er nach gewonnener Seitenwahl so
zu spielen, dass die eigene Spielhälfte beim Abpfiff näher an den Kabinen
lag. Dann gab es in der ersten Halbzeit einen unabsichtlichen Zusammenstoß
zwischen Jones und dem Linfield-Mittelfeldspieler Bob Bryson, der sich
dabei den Knöchel brach. Linfield-Geschäftsführer Joe Mackey sagte in der
Halbzeitpause über Lautsprecher an, dass sich Bryson das Bein gebrochen
habe. Dadurch heizte er die ohnehin aufgeladene Stimmung noch mehr an.
Jones wiederum hätte fast das Bein amputiert werden müssen. Zwar heilte es
nach vielen Monaten, doch es blieb kürzer als das andere Bein. An eine
Karriere bei einem großen englischen Verein, die er sich erträumt hatte,
war nicht mehr zu denken. [2][Der zweite Weihnachtsfeiertag 1948] war auch
das Ende des besten nordirischen Fußballvereins aller Zeiten. Belfast
Celtic stellte nach der Saison den Spielbetrieb ein.
Die Mannschaft ging noch auf eine Abschiedstournee durch die USA, wo sie
Schottland, den damaligen britischen Meister, mit 2:0 besiegte, dann war es
vorbei. Die Fans glaubten zunächst, dass der Klub nach ein, zwei Jahren
zurückkehren würde, doch es war ein Abschied für immer. Einmal, zum 20.
Jahrestag des fatalen Spiels im Windsor Park, kamen die Celtic-Spieler noch
einmal im Celtic Park zu einem Benefizspiel für die Familie eines
verstorbenen Teamgefährten zusammen. Dabei schoss Jimmy Jones alle sieben
Tore.
Celtic, 1891 gegründet, gewann die irische Meisterschaft 14 Mal, holte acht
Mal den Pokal, elf Mal die Städtemeisterschaft sowie zehn Mal den Gold Cup.
1940 blieb Celtic in 36 Spielen ungeschlagen. In der Gegend um die Falls
Road, einem benachteiligten katholischen Viertel nahe der Innenstadt, wurde
Celtic schnell zur Legende.
Die Popularität des Verbandsfußballs in Belfast hängt mit den sozialen und
politischen Umständen zusammen. Die ersten Katholiken, die im 18.
Jahrhundert in die Stadt gekommen waren, wurden von ihren protestantischen
Nachbarn noch wohlwollend aufgenommen. Doch nach der Hungersnot Mitte des
19. Jahrhunderts, als viele Katholiken aus den ländlichen Gegenden nach
Belfast flohen, begann der Konkurrenzkampf um die Arbeitsplätze, die
Intoleranz nahm zu.
Belfast spielte eine Schlüsselrolle in der industriellen Entwicklung
Großbritanniens. Die Schiffswerft Harland and Wolff war die größte der Welt
und beschäftigte 25.000 Menschen. Eisengießereien und Seilfirmen
florierten, und die Baumwollspinnereien hatten nach dem Zusammenbruch ihres
Marktes um 1830 auf Leinen umgestellt und versorgten die ganze Welt.
## „Die Liga ist tot“
[3][Die Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten] entluden sich
nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Fußballstadien, nachdem die
ersten Vereine entlang der politischen und konfessionellen Linien gegründet
worden waren. Eine besonders unrühmliche Rolle spielte dabei der FC
Linfield. Während man bei Celtic nicht auf den Taufschein achtete, durften
bei Linfield bis 1991 keine Katholiken spielen. Das Verbot wurde nur
deshalb aufgehoben, weil der internationale Verband Fifa darauf bestand.
Einmal, Ende der achtziger Jahre, hatte Linfield einen Schwarzafrikaner
eingekauft, der wegen seiner Spielkunst schnell zum Publikumsliebling
wurde. Das ging solange gut, bis herauskam, dass er katholisch war. Eine
solche Niedertracht hatte man einem Schwarzen offenbar nicht zugetraut; bei
der Vertragsunterzeichnung hatte ihn niemand nach seiner Religion gefragt.
Der Vertrag wurde umgehend aufgelöst.
Anfang des 20. Jahrhunderts verschärfte sich die politische Situation, weil
die Unabhängigkeitsbewegung an Boden gewann. Der Kampf zwischen den
Rebellen und den englischen Besatzungstruppen sowie den unionistischen
Protestanten, der 1920 ausbrach und mit der Teilung der Insel endete, wurde
in Belfast besonders brutal ausgetragen. Innerhalb von zwei Jahren wurden
mehr als 450 Menschen ermordet, die Mehrheit davon Katholiken, obwohl sie
nur ein Viertel der Bevölkerung ausmachten.
Die fast ausschließlich protestantische Polizei untersuchte die Morde kaum,
die Beamten waren bei einigen der schlimmsten Massaker sogar selbst die
Täter. Unter diesen Umständen war an Fußball auf der Falls Road nicht zu
denken, denn Spieler und Zuschauer wären automatisch zu Angriffszielen
geworden. Belfast Celtic stellte den Spielbetrieb ab 1920 für vier Jahre
ein.
Als der Verein zurückkehrte, waren Land und Fußballliga geteilt. Celtic und
Linfield dominierten die nordirische Liga, bis zum Zweiten Weltkrieg gewann
Celtic zehn Mal die Meisterschaft, Linfield vier Mal. Als die Liga wegen
des Krieges vorübergehend aufgelöst und bis 1947 durch eine Regionalliga
ersetzt wurde, setzte sich die Vorherrschaft der beiden Klubs fort. Die
Spiele gegeneinander waren die Höhepunkte jeder Saison, die Stadien waren
voll, und des Öfteren kam es auch zu Krawallen. Die Attacken bei jenem
Spiel am zweiten Weihnachtsfeiertag 1948 waren der traurige Höhepunkt.
Celtics Ende war ein großer Verlust für die Liga, von dem sie sich bis
heute nicht erholt hat. „Ich denke, die nordirische Fußball-Liga ist tot“,
sagt John Walker, der Sohn von Harry Walker. „Die Vereine werden von ein
paar Wohltätern am Leben gehalten, weil sie Fußball lieben. Die
Zuschauerzahlen gehen zurück, unser Ruf im Ausland sinkt, während anderswo
in Europa das spielerische Niveau ständig steigt.“ Und Charlie Tully, einer
der großen Celtic-Stars, sagt: „Ja, es war ein trauriger Tag, als Jimmy
Jones im Windsor Park vom Platz gejagt wurde – ein trauriger Tag für
Celtic, für Irland und für die Vereine, die ohne Celtic weiterspielen
mussten.“
Jimmy Jones hatte seine Karriere als Amateur ausgerechnet bei Linfield
begonnen. Obwohl er gleich zu Beginn einen Hattrick schoss, musste er
danach auf die Reservebank und wurde zum Schluss als Linienrichter
eingesetzt. „Danach bin ich einfach nicht mehr hingegangen“, sagt er. „Man
merkte bei Linfield gar nicht, dass ich weg war.“ Ein Freund nahm ihn zum
Celtic Park mit, wo ihn der Trainer Elisha Scott mit einem Bündel
Fünf-Pfund-Scheine köderte.
Als Jones Tor um Tor für Celtic schoss, dämmerte es Linfield, dass man
einen Fehler gemacht hatte. Geschäftsführer Joe Mackey bestellte ihn zu
sich und erklärte ihm, er könne seinen Preis selbst bestimmen. „Was mich
abgestoßen hat“, sagt Jones, „war Mackeys Bemerkung, dass ich nicht mit den
verdammten Taigs spielen sollte.“ Taig ist ein Schimpfwort für Katholiken.
„Ich fühlte mich wohl bei Celtic“, sagt Jones, „Religion war kein Thema.
Niemand kümmerte sich darum, was du warst. Ich hatte keine Lust auf diesen
sektiererischen Quatsch.“
Linfield kam nach dem Vorfall 1948 glimpflich davon, der Verband verhängte
lediglich eine einmonatige Stadionsperre. Das bestärkte das
Celtic-Management, den Verein aufzulösen, da man sich von dem
protestantisch-unionistisch dominierten Verband hintergangen fühlte. „Für
jemanden wie mich, der im Schatten des Celtic Park aufwuchs, ist es ein
deprimierendes Gefühl, an dem alten Ort vorbeizugehen und zu wissen, dass
seine Tore für den Fußball für immer geschlossen sind“, schrieb Charlie
Tully, einer der Celtic-Stars, in seiner Autobiografie 1958. Das berühmte
Stadion wurde bis in die achtziger Jahre für Windhundrennen benutzt, 1985
wurde es abgerissen.
26 Dec 2023
## LINKS
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Belfast_Celtic_F.C.
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Irish_League_1948/49
[3] https://www.fluter.de/nordirland-konflikt-brexit-einfach-erkl%C3%A4rt
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Irischer Fußball
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