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# taz.de -- Die trüben Tage verpennen: Winterschlaf für alle!
> Was Murmeltiere von Natur aus können, könnte nun auch für den Menschen
> möglich werden. Und sich sogar positiv auf die Gesundheit auswirken.
Bild: Wenn der Schnee schmilzt, wachen wir wieder auf
Tagelang Minusgrade, die Sonne nur noch auf den Fotos vom Sommerurlaub zu
sehen und die Straßen so glatt, dass man sich bei jedem Schritt wie eine
scheiternde Eiskunstläuferin fühlt – in anderen Worten: Es ist Winter in
Deutschland. So manch eine:r ertappt sich dieser Tage vielleicht dabei,
während man auf dem Sofa lümmelnd Tierdokus bingt, eifersüchtig auf die
Bären und Murmeltiere zu werden, die sich den ganzen Winterunsinn einfach
sparen. Sie schlafen in trockenen Höhlen oder an den Wurzeln eines
schützenden Baumriesen durch den Winter. Kein Bär muss durch Wind und Regen
zur Arbeit, kein Murmeltier nachts auf bloßen Füßen über die eiskalten
Badfliesen zur Toilette tippeln.
Was Bären und Murmeltiere von Natur aus können, könnte nun vielleicht auch
für den Menschen möglich werden. In mehreren Studien versetzten Forschende
[1][Ratten und Mäuse in einen winterschlafähnlichen Zustand], indem sie mit
Ultraschallimpulsen bestimmte Nervenzellen im Gehirn der Nager aktivierten,
die daraufhin die Körpertemperatur und die Stoffwechselaktivität
reduzierten. Diese Art von Forschung wird vor allem von Raumfahrtagenturen
wie der US-Weltraumbehörde Nasa vorangetrieben. Der Grund: Könnte auch der
Mensch einen künstlichen Winterschlaf erreichen, wäre beispielsweise die
sechs- bis neunmonatige Reise zum Mars unkomplizierter. Doch kann der
Mensch es dem Tier in Zukunft gleichtun?
Laut einer im medizinischen Fachmagazin BMJ veröffentlichten Studie war
[2][eine winterschlafähnliche Praxis] unter russischen Bauern in der Region
Pskow vor etwa hundert Jahren weit verbreitet. Beim ersten Schneefall
versammelte sich jede Familie um ihren Ofen und legte sich hin. Einmal am
Tag wachten alle auf, aßen ein Stück hartes Brot, spülten es mit einem
Schluck Wasser hinunter und schliefen wieder ein. Die Familienmitglieder
wechselten sich ab, das Feuer am Brennen zu halten. Sobald das erste Gras
zu sehen war, wachten die Bauern auf und machten sich an die Sommerarbeit.
Auch aus Japan gibt es eine erstaunliche Meldung: Dort überlebte im Jahr
2006 ein Mann 24 Tage lang im kalten Gebirge. Die Rettungsmannschaften
fanden ihn mit einer Körpertemperatur von 22 Grad Celsius. Der Arzt
erklärte anschließend, die Körpertemperatur sei sehr schnell sehr stark
abgesunken und das Gehirn durch die verringerte Herz-Kreislauf-Tätigkeit
geschützt worden. „Ich lag auf einer Wiese im Sonnenschein und fühlte mich
gut, und dann bin ich eingeschlafen“, sagte der damals 35-Jährige der
Nachrichtenagentur APA. „Das ist das Letzte, an das ich mich erinnere.“
In den Tierexperimenten versuchen die ForscherInnen nun, diesen Zustand
kontrolliert auszulösen. Die ersten Forschungsergebnisse klingen
vielversprechend: Der Ultraschallimpuls senkte die Körpertemperatur der
Mäuse um 3 bis 3,5 Grad, die Herzfrequenz sank um fast die Hälfte und die
Nager verbrannten zur Energiegewinnung ausschließlich Fett. Nach etwa einer
Stunde erwachten die Mäuse wieder. Das Forschungsteam versetzte die Mäuse
durch wiederholte Ultraschallimpulse insgesamt für bis zu 24 Stunden in
diese Art künstlichen Winterschlaf. Sie wiederholten das Experiment mit
Ratten, die im Gegensatz zu Mäusen keine biologische Veranlagung für
außergewöhnlich lange Nickerchen in Stresssituationen haben. Ihre
Körpertemperatur sank um 1 bis 2 Grad.
Für die Forschenden Grund genug, zu glauben, dass sich Ähnliches auch beim
Menschen erreichen ließe. Die Körpertemperatur abzusenken und die
Stoffwechselaktivität zu reduzieren, könnte sogar die Überlebenschance von
Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten erhöhen, mutmaßen sie. Die Natur
jedenfalls war immer schon eine unterschätzte Lehrmeisterin.
14 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.nature.com/articles/s42255-023-00804-z
[2] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1117993/
## AUTOREN
Enno Schöningh
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