# taz.de -- Arbeitsbedingungen in Kliniken: An der Belastungsgrenze | |
> Die Beschäftigten des Jüdischen Krankenhauses drängen auf einen | |
> Entlastungstarifvertrag. Dazu wollen sie Dienstag und Mittwoch die Arbeit | |
> niederlegen. | |
Bild: Die Beschäftigten im Jüdischen Krankenhaus in Wedding klagen über Übe… | |
Berlin taz | Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen im Jüdischen | |
Krankenhaus in Wedding (JKB) spitzt sich weiter zu. Nach der dritten | |
gescheiterten Verhandlungsrunde am Freitag und einer erfolgreichen | |
Urabstimmung am Donnerstag stehen die Zeichen auf unbefristeten Streik, | |
Montag solle es eine erneute Protestkundgebung geben. „Wir brauchen | |
definitiv Entlastung“, fordert die medizinische Fachangestellte Alexandra | |
Schüler, „wenn die nächste Verhandlungsrunde keine Ergebnisse zeigt, sind | |
die Kolleg:innen entschlossen, weitere Arbeitskampfmaßnahmen | |
einzuleiten.“ | |
Wie in vielen anderen Berliner Kliniken arbeitet auch das Personal im | |
Jüdischen Krankenhaus in Wedding seit Jahren an der Belastungsgrenze. | |
Nachtschichten, bei der nur eine Fachkraft für dutzende Patient:innen | |
verantwortlich ist, kämen immer häufiger vor. Ein Entlastungstarifvertrag | |
(TV-E) soll her, um den Druck zu mindern. „Du weißt nicht, was du zuerst | |
machen sollst“, berichtet eine weitere Beschäftigte, die namentlich nicht | |
genannt werden will, aus ihrem Arbeitsalltag. „Die Patientensicherheit ist | |
praktisch nicht mehr gegeben.“ | |
Seit September verhandeln sie mit der Geschäftsführung, bislang ohne | |
Ergebnis. „Wir haben bisher noch nicht einmal eine inhaltliche Reaktion | |
erhalten“, kritisiert Gisela Neunhöffer, Verhandlungsführerin bei der | |
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. | |
Da sich die Verhandlungen nicht bewegen, planen die Beschäftigten, nun die | |
nächste Eskalationsstufe zu zünden. Am Donnerstag stimmten 94 Prozent der | |
Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik. Montagmittag planen | |
die Beschäftigten und Unterstützer:innen eine weitere | |
Protestkundgebung vor dem JKB an der Heinz-Galinski-Straße. Vor der letzten | |
Verhandlungsrunde im Dezember soll es am 19. und 20. noch mal eine | |
zweitägige Arbeitsniederlegung geben, danach könnte laut Verdi ein | |
Erzwingungsstreik folgen, sollte sich die Arbeitsgeberseite nicht bewegen. | |
## Überlastung durch Personalmangel | |
Kernstück des Forderungskatalogs bildet ein punktebasiertes | |
Entlastungssystem. So soll es für die einzelnen Stationen feste | |
Personalschlüssel geben. Wenn diese nicht eingehalten werden, gebe es | |
Punkte, und für genügend Punkte eine Freischicht. Während Personalmangel | |
der häufigste Überlastungsgrund sei, solle es auch Punkte für physische | |
Übergriffe im Dienst oder kurzfristige Versetzungen geben, erklärt | |
Neunhöffer. | |
In den vergangenen Jahren gelang es der Berliner Krankenhausbewegung | |
erfolgreich, Entlastungstarifverträge zu erstreiten. Den ersten TV-E | |
schließen Arbeiter:innen der landeseigenen Charité 2015, 2021 folgte | |
nach wochenlangem Streik das ebenfalls landeseigene Krankenhausunternehmen | |
Vivantes. | |
Auch wenn die Umsetzung bei Charité und Vivantes in vielen Stellen noch | |
weiter verbesserungsfähig sei, seien die Kolleg:innen dort sehr | |
zufrieden mit dem Entlastungssystem, berichtet Neunhöffer. Die Verbesserung | |
der Arbeitsbedingungen sei der einzige Weg, um der in vielen Häusern | |
üblichen Teufelsspirale aus Überlastung und Personalflucht wirksam | |
entgegenzutreten. „In beiden Konzernen gelingt es, Pflegepersonal | |
wiederaufzubauen“, berichtet Neunhöffer. | |
## Klinik: „Kein Spielraum für Erhöhung“ | |
„Per se spricht aus unserer Sicht nichts gegen einen solchen Tarifvertrag“, | |
sagt eine Sprecherin des Jüdischen Krankenhauses auf Anfrage der taz, | |
„jedoch muss zunächst zum einen sichergestellt sein, dass die Finanzierung | |
unserer Personal- und Sachkosten gesichert ist.“ Anders als Charité und | |
Vivantes würden etwaige Mehrbelastungen des TV-E nicht vom Land finanziert | |
werden. | |
Die Sprecherin weist darauf hin, dass die Lohnerhöhungen durch den | |
Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst (TVÖD) im Juni, an dem sich das | |
JKB orientiert, zu einer enormen finanziellen Mehrbelastung geführt hätten. | |
Dazu kämen die allgemeinen Preissteigerungen und Energiekosten. „Wir haben | |
letztlich überhaupt keinen Spielraum für eine weitere Erhöhung der Kosten“, | |
behauptet die Sprecherin. | |
Von „langsamen Verhandlungen“ kann aus ihrer Sicht keine Rede sein. Bei der | |
inhaltlichen Ausgestaltung des Tarifvertrags befinde man sich gerade erst | |
am Anfang und prüfe derzeit die Forderungen. Ein Streik würde zu einer | |
weiteren finanziellen Belastung der Klinik führen. | |
Einig ist man sich hingegen beim Punkt der Finanzierung: Dafür sollte in | |
jedem Fall das Land zuständig sein. Für Ungewissheit sorgt derzeit [1][vor | |
allem die Krankenhausreform], über die derzeit Bund und Länder verhandeln. | |
Kern der Reform ist eine umfassende Umstellung des Finanzierungssystems der | |
Krankenhäuser. | |
## Angst vor Schließungen | |
Kritiker:innen fürchten, dass es im Zuge der Reform auch in Berlin zu | |
vielen Schließungen kommen könnte. Betroffen könnten [2][vor allem kleinere | |
Einrichtungen] wie das Jüdische Krankenhaus sein, die für die | |
Grundversorgung wichtig sind. „In Ballungsräumen ist es das Ziel, die Zahl | |
der Krankenhäuser zu reduzieren“, sagt Laura Beckmann vom Bündnis | |
Gesundheit statt Profite, das die Beschäftigten des Jüdischen Krankenhauses | |
in ihrem Arbeitskampf unterstützt. „Es ist eine politische Aufgabe des | |
Senats, dass solche Häuser nicht am System der Krankenhausfinanzierung | |
zugrunde gehen“, fordert Gewerkschaftssekretärin Neunhöffer. | |
Auf taz-Anfrage gibt sich die Senatsverwaltung für Gesundheit wenig | |
auskunftsfreudig: „Zu diesem Zeitpunkt lässt sich noch nicht sagen, in | |
welcher Weise sich die Krankenhausreform auf einzelne Kliniken im Land | |
Berlin auswirken wird“, sagt Sprecher Oliver Fey. Die Forderung nach einer | |
direkten Finanzierung eines TV-E, wie sie bei den landeseigenen Unternehmen | |
Charité und Vivantes der Fall sei, erteilte die Senatsverwaltung eine | |
Absage. Da das JKB eine Stiftung des bürgerlichen Rechts sei, „sollte der | |
Einfluss der Landespolitik weitestgehend zurückgestellt werden“, sagt Fey. | |
Dass der Arbeitgeber auf finanzielle Probleme verweist, überrasche sie | |
nicht, sagt Beckmann von Gesundheit statt Profite. Sie hat bereits die | |
Arbeitskämpfe [3][an der Charité und bei Vivantes] begleitet. Auch damals | |
hätten sich die Arbeitgeber:innen geziert, auch wenn es da noch keine | |
Krankenhausreform oder Inflation gab. Im Grunde ginge es darum, mit genau | |
diesen ökonomischen Zwängen zu brechen. „Die Krankenhausbewegung definiert | |
von unten, was gute Versorgung ist. Und die richtet sich nach Bedarf, und | |
nicht nach Budget“, sagt Beckmann. | |
17 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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