# taz.de -- Polen nach dem Regierungswechsel: Der gute Donald | |
> In Polen ist der Wechsel vom PiS-Regime zu einer demokratischen Regierung | |
> gelungen. Donald Tusk hat jetzt einiges zu tun. | |
Bild: Donald Tusk und seine Minister:innen bei ihrer Vereidigung im Präsidente… | |
WARSCHAU taz | In Polen ist Politik plötzlich spannend: allein 4 Millionen | |
Menschen verfolgten [1][am Dienstag die Rede von Donald Tusk im Sejm], dem | |
polnischen Abgeordnetenhaus, als dieser seine Drei-Parteien-Koalition und | |
das Regierungsprogramm vorstellte. | |
Als Grzegorz Braun, ein Abgeordneter der rechtsextremistischen | |
Konföderation, den Saal verließ, um in der Haupthalle des Sejms die Kerzen | |
am jüdischen Chanukka-Leuchter mit einem Feuerlöscher zu löschen, trauten | |
viele ihren Augen nicht. Zu Zeiten der nationalpopulistischen | |
Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), als die Journalisten in | |
ihrer Arbeit stark behindert wurden, hätten sie solche Bilder im Fernsehen | |
nie zu sehen bekommen. | |
Die neue Transparenz ist Programm der frisch vereidigten Regierung aus | |
liberalkonservativer Bürgerkoalition, christlich-agrarischem Dritten Weg | |
und Neuer Linken. | |
Tusk, der in den Jahren 2007 bis 2014 schon zwei Mal einer Regierung | |
vorstand und danach bis 2019 EU-Ratspräsident war, hat gelernt, wie wichtig | |
Emotionen in der Politik sind, die Wertschätzung aller Polen in Stadt und | |
Land und das gegenseitige Vertrauen. So versprach er, als Premier jeden | |
Monat in einen anderen Ort Polens zu fahren und die Arbeit der Regierung | |
vorzustellen und mit den Menschen zu diskutieren, wie Polen erneut in einen | |
Staat verwandelt werden kann, auf den alle stolz sein können. | |
## „Danke, Polen!“ | |
„Dziekuje, Polsko!“ – „Danke, Polen!“ stand denn auch auf dem Bus, mi… | |
die neuen Minister bei Präsident Andrzej Duda zur Vereidigung vorfuhren. | |
Zwei Monate lang hatten Präsident und PiS den Machtwechsel verzögert. Seit | |
Mittwoch arbeitet die neue Regierung daher unter Hochdruck, um die | |
verlorene Zeit aufzuholen. | |
Eine der wichtigsten Aufgaben ist das Loseisen von Milliarden Euro, die | |
Polen aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds und dem EU-Kohäsionsfonds | |
zustehen. Die Europäische Kommission hatte die Gelder aufgrund der | |
zahlreichen Rechtsverstöße der PiS-Regierung eingefroren. Zwar berief Tusk | |
schon am Tag seiner Vereidigung eine Arbeitsgruppe ein, die sich um den | |
„Wiederaufbau von Rechtsstaat und Verfassungsordnung“ kümmern soll, doch | |
damit allein ist es nicht getan. Die Kommission will Fakten sehen. | |
Die Liquidierung [2][der PiS-Dominanz in fast allen staatlichen | |
Organisationen, Gerichten, Stiftungen und selbst zivilgesellschaftlichen | |
Vereinen] wird allerdings Zeit und Nerven kosten. Denn die PiS-Funktionäre | |
werden nicht ohne Gegenwehr von ihren meist lukrativen und machtvollen | |
Posten zurücktreten. Ein Gegner des Reformprozesses ist zudem Präsident | |
Andrzej Duda, der einst selbst PiS-Mitglied war und in den letzten acht | |
Jahren viele der verfassungswidrigen Gesetze des PiS-Regimes | |
unterzeichnete. Bis heute ist er überzeugt, dass die vergangenen zwei | |
Legislaturperioden „positiv für Polen“ waren. | |
Erst in anderthalb Jahren stehen Präsidentschaftswahlen an, zu denen Duda | |
nicht mehr antreten kann. Bis dahin müssen Parlament und Regierung mit dem | |
politischen Gegner im Präsidentenamt leben, der jedes Gesetz mit seinem | |
Veto torpedieren kann. | |
## Das Verhältnis zur Ukraine | |
Eine weitere wichtige Aufgabe, die die Dreier-Koalition bewältigen muss, | |
liegt im Wiederaufbau der von der PiS zum Teil vernachlässigten, zum Teil | |
bewusst ruinierten Beziehungen zum Ausland. An erster Stelle steht hier das | |
von Russland brutal überfallene Nachbarland Ukraine. | |
Zwar hatte die PiS zu Beginn des Krieges zu den aktivsten Unterstützern der | |
Ukraine gehört und bereits Waffen zur Verteidigung geliefert, als im Westen | |
noch lange gezaudert wurde. Auch hat Polen als Erstaufnahmeland Millionen | |
geflüchteter Ukrainerinnen und deren Kinder bei sich aufgenommen. Die | |
Hilfsbereitschaft insbesondere der Zivilgesellschaft war enorm. Noch heute | |
leben rund eine Million Geflüchtete in Polen. | |
Doch mit den Monaten ließ das Engagement der PiS-Regierung merklich nach, | |
auch weil hausgemachte Probleme auftauchten, die ohne gute Beziehungen zu | |
einzelnen EU-Staaten wie auch zur Europäischen Kommission nicht zu lösen | |
waren. Das war und ist der massenhafte Import billigen Getreides aus der | |
Ukraine und [3][die zunehmende Konkurrenz durch ukrainische Speditionen], | |
deren Lkws plötzlich auch Transporte zwischen EU-Staaten abwickeln. | |
Beide Probleme waren durch EU-Ukraine-Verträge entstanden, an deren | |
Zustandekommen die PiS-Regierung federführend beteiligt war. Die Abkommen | |
sollten der kriegsgebeutelten Ukraine dabei helfen, ihr Getreide trotz der | |
Schwarzmeer-Blockade durch russische Kriegsschiffe exportieren zu können. | |
## Der Streit ums Getreide | |
Zielländer sollten vor allem Staaten in Asien und Afrika sein. Zwar half | |
der Ukraine zwischenzeitlich ein spezielles Abkommen mit Russland, das die | |
UN und die Türkei vermittelt hatten, doch Mitte Juli 2023 ließ Russland das | |
Abkommen auslaufen. | |
Die EU hatte kurz nach der Schwarzmeer-Blockade den Transit von | |
ukrainischem Getreide durch EU-Staaten über alternative Transportwege via | |
Bahn und Straße genehmigt, aber bis Mitte September 2023 am Importembargo | |
festgehalten. Das Problem war aber, das hunderttausende Tonnen Getreide aus | |
der Ukraine auf dem Transitweg durch Polen „verschwanden“ oder aber | |
offiziell zu „technischem Getreide“ umdeklariert wurden, so dass es aus der | |
Embargo-Liste für Lebensmittel herausfiel. | |
Die Folge: Polnische Getreidebauern blieben auf ihrem im Vergleich teureren | |
Getreide sitzen. Die wütenden Bauern, deren Getreidesilos oft noch vor der | |
nächsten Ernte voll waren, protestierten im ganzen Land und gaben als | |
„betrogenes Dorf“ der PiS-Regierung die Schuld an ihrer Beinahepleite. | |
Als die EU dann das Handelsembargo für ukrainische Getreideprodukte Mitte | |
September 2023 ganz aufhob, versuchte die PiS mit einem einseitigen | |
Einfuhrstopp bei den polnischen Bauern zu punkten. Die Stimmung drehte sich | |
aber nicht, da dem PiS-Landwirtschaftsminister wohl eine Namensliste der | |
polnischen Großaufkäufer des billigen ukrainischen Getreides vorlag, die | |
dieser aber nicht publizieren wollte. Statt das Problem zu lösen, | |
behauptete die PiS-Regierung, dass allein die EU an den Einkommenseinbußen | |
der polnischen Bauern und den höheren Preise in Polen schuld sei. | |
## Blockierte Übergänge | |
Zurzeit blockieren polnische Lkw-Fahrer außerdem die | |
polnischen-ukrainischen Grenzübergänge, weil angeblich die ukrainischen | |
Speditionen mit konkurrenzlos billigen Angeboten den polnischen | |
Transportunternehmern die Aufträge abjagen. | |
Doch das Problem ist vielschichtiger. Tatsächlich können ukrainische Lkws | |
seit einiger Zeit ohne aufwändiges Genehmigungsverfahren die EU-Grenzen | |
überqueren, ohne aber die Auflagen erfüllen zu müssen, die für in der EU | |
registrierte Speditionen gelten. Die Folge: Viele ausländische, darunter | |
auch polnische, Speditionen eröffnen Tochterfirmen in der Ukraine und | |
fahren dann mit ukrainischen Lkws, Fahrern und Papieren zu Dumpingpreisen | |
in den EU-Wirtschaftsraum hinein. | |
Ähnlich wie beim Getreidekonflikt tat die PiS-Regierung nichts, um das | |
Problem zu lösen und die Lkws, die sich vor der Grenze stauten, zu anderen | |
Übergängen umzuleiten oder die Blockierer festzusetzen. Vielmehr behauptete | |
sie, dass die Millionenverluste allein auf das Konto der EU gingen. | |
Die neue Regierung wird die Konflikte im Dreieck Polen-Ukraine-EU relativ | |
schnell lösen. Es geht um die Wiederherstellung der Rechtssicherheit. Das | |
ist auch das Lösungskonzept für die meisten anderen Probleme, vor denen | |
Tusk nun steht. | |
15 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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