| # taz.de -- Wie KI Sexismus produziert: Die Frau ist immer unter 35 | |
| > Bildgeneratoren zeigen nicht die Wirklichkeit, sondern manifestieren ein | |
| > misogynes Weltbild. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. | |
| Bild: Kann sie auch Führungskraft? Der KI zufolge eher nicht | |
| Die KI liebt junge Frauen. Allerdings nicht in jedem Fall, vor allem nicht | |
| in maßgeblichen gesellschaftlichen Positionen. Es fällt auf, dass Frauen | |
| entweder gar nicht oder nur selten in Funktionen wie der von | |
| Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen oder Ingenieurinnen repräsentiert sind. Von | |
| Vorstandsmitgliedern ganz zu schweigen. Das gilt allen voran [1][für den | |
| Generator „Midjourney“], dem derzeit führenden Programm für Kreative. | |
| Dabei fängt das Missverhältnis früher an. Aufschluss gibt der simple | |
| Begriff „Frau“. Über einen Zeitraum von fünf Monaten habe ich immer wieder | |
| diesen „Prompt“ bei Midjourney eingetippt und 100 Bilder erzeugt. 100 Mal | |
| bekam ich das Bild einer sehr schönen jungen Frau gezeigt. Manche würden | |
| sie „idealtypisch“ nennen. | |
| Das „Ideal“ geht so weit, dass man kaum individuelle Gesichtszüge | |
| unterscheiden kann. Die praktisch immer Langhaarige befindet sich in 97 | |
| Prozent aller Abbildungen in einer nicht näher definierten Umgebung, im | |
| luftleeren Raum und sieht oft aus, als blase eine Windmaschine ihre Mähne | |
| romantisch um den Kopf. Wenn sonst noch etwas zu sehen ist, sind es Blumen | |
| im wirbelnden Haar, Schmetterlinge oder Vögel. | |
| Gibt man den Begriff „Mann“ ein, so erscheinen Männer verschiedenen Alters. | |
| Auch sie können sich in einer etwas wolkigen, unklaren Umgebung befinden, | |
| als Attribute aber dienen ihnen Technik oder Architektur. Oft stehen sie | |
| beherzt in einer Landschaft, schauen ernst oder blicken nachdenklich in die | |
| Ferne. Die Frau dagegen kennt nur einen Gesichtsausdruck: den leeren. | |
| ## Männer mit Betätigungsfeld | |
| Das entspricht dem, was [2][die Filmemacherin Nina Menkes in ihrem Film | |
| „Brainwashed“] über die visuelle Darstellung von Frauen und Männer in | |
| Hollywoodfilmen zeigt. Sie hat hochwertige Hollywoodproduktionen der 1940er | |
| Jahre bis zu aktuellen analysiert. Was man dort sieht: Männer mit einem | |
| Betätigungsfeld, verankert in der Welt als Akteure, als Subjekte. Die Frau | |
| hat oft einen unklaren, neutralen Hintergrund, sie handelt nicht, die | |
| Konzentration liegt auf ihrem Äußeren. So schwebt sie quasi im Raum oder | |
| liegt ansprechend herum – eine Projektionsfläche. | |
| Der Film von Nina Menkes ist deshalb so sehenswert, weil er sichtbar macht, | |
| was wir seit Jahrzehnten sehen, ohne es wahrzunehmen. Und wie wir den | |
| männlichen Blick internalisiert haben. Nicht einmal Sofia Coppola ist davor | |
| sicher. Sogar sie rutscht in die tradierte Bildsprache, wenn sie in „Lost | |
| in Translation“ im Vorspann von Scarlett Johansson nur den Po im | |
| transparenten Schlüpfer zeigt und anschließend Bill Murrays Kopf im Taxi, | |
| wie er durch die Stadt gleitet. | |
| Nun haben wir mit der KI ein Tool, das die verrücktesten Ideen | |
| visualisieren kann. Wenn man den führenden Köpfen des Silicon Valley | |
| glaubt, wird KI die Menschheit verbessern und nie geahnte Möglichkeiten der | |
| Problemlösung schaffen. Nur das Rollenverständnis dieser Welt scheint | |
| stecken geblieben zu sein, in einem Sci-fi-Groschenroman oder einem | |
| Computerspiel mit markigen Männern und kurvigen Frauen. Obendrein erzeugt | |
| Midjourney, sofern man keine weiteren Angaben zur Ethnie macht, [3][nahezu | |
| ausschließlich weiße Personen], so meine Erfahrung. Ist unsere Realität | |
| bereits männlich und weiß dominiert, so ist die der KI noch weißer, noch | |
| männlicher. | |
| [4][Eine Studie von Bloomberg zum Generator Stable Diffusion] vom Juni 2023 | |
| zeigt Folgendes: Frauen haben kaum lukrative Jobs oder bekleiden | |
| Machtpositionen. Im Test wurden beim Begriff „judge“ 3 Prozent Frauen | |
| generiert, während in der echten Welt 34 Prozent der US-Richter Frauen | |
| sind. „Doctors“ in den USA sind zu 40 Prozent weiblich, in der Welt von | |
| Stable Diffusion sind es aber nur 7 Prozent. Hier waren Frauen insgesamt | |
| nicht nur in gut bezahlten Berufen unterrepräsentiert, sondern auch in | |
| schlecht bezahlten Berufen überrepräsentiert. Ergebnis: Als schwarze Frau | |
| brät man Burger oder macht sauber. | |
| ## Stereotypisierte Gegenwart | |
| Praktisch keine Rolle spielen Frauen ab Mitte 40. Während Männer bis zum | |
| Greisenalter dargestellt werden, ist die Frau so gut wie immer unter 35. | |
| „Fuckable“ nennt man das. | |
| Pflegepersonal bei Midjourney und Dreamstudio (Stability AI) ist in meinen | |
| Tests zu 100 Prozent weiblich und weiß, dazu in der Regel sexualisiert – | |
| die comicartige feuchte Vorstellung einer Krankenschwester statt | |
| medizinischer Fachkraft. Bei Dall-e gibt es immerhin männliche Pfleger, und | |
| Weiße sind sogar in der Minderheit, ergibt jedenfalls ein Versuch mit | |
| jeweils 20 Prompteingaben mit je vier Ergebnissen, also 80 Bildern. | |
| Es lässt sich nicht genau nachvollziehen, wie es dazu kommt. Am ehesten | |
| fassbar ist es bei Stable Diffusion, dem einzigen Generator, dessen | |
| Datengrundlage offengelegt wurde. Es handelt sich um die Datenbank | |
| LAION-5B, die aus fünf Milliarden Text-Bild-Paaren besteht. Sie stammen aus | |
| Quellen wie Bildagenturen, Websites, Handydaten. Und weil die Datenbank | |
| nicht nur die bereits stereotypisierte Gegenwart abbildet, sondern auch die | |
| Vergangenheit, verstärken sich gestrige Gesellschaftsbilder. Man hätte dem | |
| entgegenwirken können, aber so wie es scheint, fehlt es an Bewusstsein. | |
| Vielleicht liegt es daran, dass in der IT-Industrie nur 12 bis 20 Prozent | |
| Frauen arbeiten. Im Jahr 2019 lag der Frauenanteil bei | |
| Informatik-Promotionen in den USA bei 20 Prozent, in Deutschland bei 16 | |
| Prozent. Dieses Missverhältnis schlägt sich inhaltlich nieder. | |
| ## Kunst des cleveren Prompts | |
| Natürlich kann man durch gezielte Prompts viele Voreinstellungen umgehen. | |
| Die Kunst besteht aus einem möglichst cleveren, oft komlexen Prompt. Aber | |
| nicht alle merken, dass es hier eine Schieflage gibt und nicht alle haben | |
| den Nerv dafür, wenn es eilt und als Ergebnis ein mittelgutes Bild auch | |
| reicht. | |
| Eine Initiative aus den Niederlanden versucht der Männerdominanz mit einem | |
| eigenen Tool entgegenzuwirken. „Missjourney“ ist ein Bildgenerator, der nur | |
| Frauenbilder erzeugt, egal welche Features man eingibt. Allerdings ist die | |
| Plattform eher ein symbolisches Werkzeug, sie kann mit ihrer Ausstattung an | |
| andere Anbieter nicht heranreichen. Sie soll vor allem Bewusstsein | |
| schaffen. | |
| Wenn wir nicht wollen, dass sich Bilder, von denen wir dachten, wir hätten | |
| sie bereits überwunden, in gewaltiger Menge reproduzieren, verfestigen und | |
| potenzieren, müssen wir versuchen, die Tech-Firmen zu beeinflussen. Wir | |
| müssen sie unermüdlich darauf hinweisen, wie sexistisch und rassistisch | |
| ihre Parameter sind. Dafür müssen wir viele sein und Lösungsvorschläge | |
| parat haben. Eine gesetzliche Regelung ist in naher Zukunft nicht zu | |
| erwarten. Es bleibt wohl nur, ihnen auf die Nerven gehen. | |
| Eva Häberle ist seit 25 Jahren freischaffende Fotografin. | |
| 30 Nov 2023 | |
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| [4] https://www.bloomberg.com/graphics/2023-generative-ai-bias/?utm_source=webs… | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Häberle | |
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