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# taz.de -- Weihnachtsmärkte eröffnen: Stille Nacht, dunkle Nacht
> Kurze Adventszeit, steigende Standmieten, hohe Auflagen und zu viel
> Bürokratie.
Bild: Rodeln bei Sommertemperaturen: die „Winterwelt“ am Potsdamer Platz er…
Berlin taz | Die vor Kurzem erfolgte Besetzung des Bezirksamts Spandau
durch eine aufgebrachte Gruppe von Schausteller*innen endete nicht nur
in einem juristischen Nachspiel. Der Protest gegen verkürzte Öffnungszeiten
auf einem [1][Weihnachtsmarkt] gewährt einen Einblick in die weitreichenden
Probleme, mit denen die Branche zu kämpfen hat.
Traditionell beginnen die Weihnachtsmärkte erst in der Woche nach dem
Totensonntag, dem letzten Sonntag vor dem Ersten Advent. Wegen der
verkürzten Adventszeit öffneten jedoch einige Betreiber*innen ihre
Pforten schon früher, um mögliche Umsatzeinbußen auszugleichen. So konnten
Besucher*innen bereits Ende Oktober bei 12 Grad und Sonne in der
„Winterwelt“ am Potsdamer Platz rodeln gehen und sieben Wochen vor
Weihnachten gebrannte Mandeln im „Winterzauber“ an der Landsberger Allee
verputzen.
Das finden einige geschmacklos früh. Kritik kommt unter anderem von den
Kirchen, die beklagen, dass der November ein stiller Monat des Gedenkens
und der Einkehr sei. „Wir sind in Trauer. Erst danach kann umgeschaltet
werden“, so die Pfarrerin der Gedächtniskirche, Dr. Kingreen. Sie plädiert
dafür, dass die Märkte erst nach dem Totensonntag öffnen. Einige umgehen
diese Bitte der Kirchen, indem sie sich bis zum Totensonntag als
„Wintermärkte“ und erst danach als „Weihnachtsmärkte“ betiteln.
Ganz gleich, ob Winter- oder Weihnachtsmarkt: Besinnlichkeit und Ruhe sind
auf diesen Veranstaltungen in der Regel Mangelware. Aufgrund immens
gestiegener Gema-Gebühren können sich einige Veranstalter*innen nicht
mehr leisten, Musik auf ihren Märkten abzuspielen. Für gebührenpflichtige
Titel rechnet die Gema neuerdings nicht nur die räumliche Größe der
Beschallung rund um die Bühne oder den jeweiligen Lautsprecher an, sondern
die Größe des gesamten Veranstaltungsbereichs. Auf die Gema-Anpassungen
reagieren einige Weihnachtsmärkte mit einem abgespeckten Musikangebot. Auch
auf dem Weihnachtsmarkt am Schloss Charlottenburg wird es in diesem Jahr
keine Musik aus den Lautsprecheranlagen geben. Dafür aber Live-Musik mit
Akkordeonspieler*innen und Blechbläser*innen, die für Gema-freie
weihnachtliche Klassiker sorgen, sagt Marktleiter Sebastian Buchmann. Die
Regelung der Gema gibt es schon seit 2018, sie wird bloß jetzt erst
konsequent durchgeführt. Einige Betreiber*innen haben das Glück, davon
bislang nicht betroffen zu sein. „Aber wenn diese kommen, müssen wir die
Musik ausfallen lassen“, so Holger Zahn, Betreiber des Weihnachtsmarkts in
den Späth’schen Baumschulen. Er fordert vom Senat, sich dafür stark zu
machen, dass die „unsinnige“ Gema-Regelung nicht durchgesetzt wird.
## Es wird an allen Ecken gespart. So auch am Licht.
Diese Regelung sei jedoch nur ein weiterer Tropfen auf den anderen, so
Thilo-Harry Wollenschlaeger, Betreiber der Märkte „Family-Wonderland“ und
„Wintermarkt am Schlossplatz“. Es würde nämlich an allen Ecken gespart. So
auch am Licht. Während die Senatsverwaltung die 4,2 Kilometer lange
Weihnachtsbeleuchtung am Kurfürstendamm 2021 noch mit 250.000 Euro
bezuschusste, trägt sie 2023 nur noch 100.000 Euro bei, so die
Arbeitsgemeinschaft City e. V. (AG City). Nur mithilfe der Unterstützung
zahlreicher Sponsor*innen konnten weitere 330.000 Euro eingesammelt
werden, um die diesjährige Beleuchtung zu sichern. Darüber, ob 140
Kilometer lichtverschmutzender – wenn auch nach Angaben der AG City
„effizienter und stromsparender“ – Lichterketten in Zeiten des Klimawande…
und der Energiekrise notwendig sind, lässt sich diskutieren. Für das
Geschäft der Weihnachtsmarktbetreiber*innen sind sie jedoch
unentbehrlich, da sie unzählige Tourist*innen und Berliner*innen zum
Weihnachtsshopping anziehen. Ein Wegfall des Lichterteppichs würde für den
Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz mit erheblichen Umsatzeinbußen
einhergehen.
Es sind nicht nur kurze, leise und dunkle Weihnachtsmärkte, die den
Betreiber*innen und Schausteller*innen in diesem Jahr Probleme
bereiten. Sie kämpfen zudem mit enormen Preissteigerungen. „Die Kosten
gehen für alles explosionsartig in die Höhe“, beklagt Wollenschlaeger.
Michael Roden, Vorsitzender des Schaustellerverbandes Berlin e. V.,
berichtet, dass die größten Mehrkosten durch die drastische Erhöhung der
Strom- und Gaskosten entstünden. „Während wir im letzten Jahr zwischen 30
und 35 Cent pro Kilowattstunde gezahlt haben, zahlen wir jetzt 69 Cent pro
Kilowattstunde.“
Der Umgang mit den gestiegenen Kosten variiert je nach Betreiber*in. Einige
heben die Standmieten für Schausteller*innen an, die wiederum die
Preise für Besucher*innen erhöhen. Andere verlangen mehr Eintritt aus
Sorge, Schausteller*innen mit zu hohen Standmieten zu verschrecken.
Holger Zahn etwa berichtet, die Standgebühren nicht zu erhöhen, dafür aber
den Eintritt im letzten Jahr von 5 Euro auf 8 Euro angehoben zu haben.
## „Wir sind am oberen Level einer Preisspirale angekommen.“
Sowohl das Abwälzen der gestiegenen Kosten auf die Schausteller*innen
als auch auf die Besucher*innen führe langfristig dazu, dass
Weihnachtsmärkte aussterben, so Michael Roden. Ihm sei es wichtig, den
[2][traditionsreichen Weihnachtsmarkt] am Breitscheidplatz fortzuführen,
„aber wenn der Glühwein 10 Euro kosten muss, dann funktioniert das nicht
mehr“. Das kritisiert auch Wollenschlaeger: „Wir sind am oberen Level einer
Preisspirale angekommen. Es ist kein Volksfest mehr, wenn das Volk es sich
nicht leisten kann.“
Schließlich kritisieren Betreiber*innen erhöhte Auflagen. Ob
Sicherheits- oder Schutzauflagen, Straßennutzungsgebühren oder
Genehmigungen für Lärm- und Lichtemessionen – sie würden immer höher und
schwieriger zu erreichen, so Roden. „Wenn das so weitergeht mit den
Auflagen, dann stößt man an seine Grenzen.“
Viel problematischer als die Auflagen seien jedoch die langwierigen
Genehmigungsverfahren, die keine Planungssicherheit ermöglichen, klagt
Roden. Er bemängelt zu viel Bürokratie und die Einbindung zu vieler Ämter,
Anrainer*innen, Verkehrsbetriebe und weiterer Parteien in die
Genehmigungsprozesse. „Es gibt keine kurzen Wege mehr. Je mehr Menschen
etwas dazu zu sagen haben, desto mehr Probleme entstehen“, so Roden. Das
Land Berlin mache es den Veranstalter*innen nicht leicht.
Erfreuliche Nachrichten für frustrierte Schausteller*innen und
Betreiber*innen überbringt das Bezirksamt Neukölln auf Anfrage der taz:
Zwar werden die Auflagen immer mehr, aber „dagegen ist das
[3][coronabedingte Hygienekonzept] entfallen, das ja auch hohe
Anforderungen an die Veranstalter setzte“. Die Betreiber*innen können
sich also doch glücklich schätzen, dass sie in stillen und dunklen Zeiten
keine pandemiebedingten Hygienekonzepte auferlegt bekommen.
29 Nov 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Lilly Schröder
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+++ Der Weihnachtsmarkt-Live-Ticker +++: Lasst uns froh und Mandel sein
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Frankfurt.
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