# taz.de -- Crosstalk im Körper: Wie Organe kommunizieren | |
> Über die Kommunikation zwischen einzelnen Organen im menschlichen Körper | |
> ist noch nicht viel bekannt. Ein Labor in Aachen hört ganz genau hin. | |
Bild: Kai Markus Schneider und Wenfang Gui hören die Organe im Labor nicht, se… | |
Aachen taz | Menschen können nicht nicht kommunizieren. Augenrollen, auf | |
den Boden schauen, im Streit die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. All | |
das bezeichnete der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Paul | |
Watzlawick als Kommunikation. | |
Ähnlich sieht es bei Organen aus. Wir hören die Anweisungen, die unsere | |
Bauchspeicheldrüse der Niere zuflüstert, nicht. Wir sehen auch nicht den | |
panischen Blick des Gehirns, den es dem Magen bei Stress zuwirft. | |
Manchmal spürt der Mensch aber die Auswirkungen dieser Kommunikation. Zum | |
Beispiel, wenn uns vor großen Auftritten übel ist. Dann hat das Gehirn | |
Hormone ausgeschüttet, die den Darm in Bewegung setzen. Die Folgen: | |
Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall. | |
Während sich bis Anfang der 2000er Jahre die Forschung mehrheitlich auf | |
einzelne Organe fokussiert hat, versuchen Forscher*innen jetzt, diese | |
gefühlte Kommunikation zwischen den Organen sichtbar zu machen und zu | |
begreifen. | |
„Die Beachtung von mehreren Organen und ihre Wechselwirkung ist viel näher | |
dran an unserer Lebensrealität“, sagt Andreas Birkenfeld, ärztlicher Leiter | |
der Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie in Tübingen. | |
Ein gängiges Beispiel für Organ-Crosstalk ist das Gehirn, das über das | |
Nervensystem mit allen Organen kommuniziert. Die Überlegung, die Organe im | |
Zusammenspiel zu betrachten, gab es zwar schon länger, doch erst seit etwa | |
den 2010er Jahren sind die technischen Voraussetzungen gegeben, damit man | |
im Menschen dieses Zusammenspiel der Organe besser untersuchen kann. | |
Laut Birkenfeld ist die Forschung zu Organ-Crosstalk in Deutschland | |
besonders ausgeprägt, auch wenn die USA weiterhin eine Vorreiterrolle | |
einnehmen. China baut seine Forschung dazu derzeit aus. | |
„Besonders bei Erkrankungen, die mehrere Organe schädigen können, ist es | |
fatal, die Kommunikation zwischen ihnen zu ignorieren“, sagt | |
Juniorprofessor Kai Markus Schneider, während er im weißen Kittel durch die | |
Uniklinik in der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in | |
Aachen läuft. Seit Mai 2023 forscht der 33-Jährige gemeinsam mit neun | |
Mitarbeitenden in einer Arbeitsgruppe zu „Organ Crosstalk“ in Bezug auf die | |
Darm-Leber-Achse. | |
## Ein höchst gesprächiges Organ | |
Schneider studierte Medizin und Naturwissenschaften und promovierte zur | |
Wechselwirkung von Darm, Leber und Nervensystem. Als Stipendiat des | |
nordrheinwestfälischen-Rückkehrprogramms von Wissenschaftler*innen, die im | |
Ausland forschen, bekam er die Möglichkeit, ein eigenes Labor in Aachen zu | |
eröffnen. | |
Mit bis zu 1,25 Millionen Euro fördert das Land Nordrhein-Westfalen | |
Arbeitsgruppen des Programms. Forschungsgruppen mit dem Fokus der | |
Interaktion der Darm-Leber Achse sind deutschlandweit selten. | |
Die Leber ist ein höchst gesprächiges Organ, dessen Kommunikation die | |
Forscher*innen schrittweise besser verstehen. Als wichtigstes | |
Stoffwechselorgan produziert es Gallenflüssigkeit und wehrt Keime aus dem | |
Darm ab. | |
Für ihre Kommunikation mit dem Darm spielt dessen [1][Mikrobiota] eine | |
besondere Rolle. Das ist die Gemeinschaft aller Mikroorganismen, also unter | |
anderem von Bakterien, Pilzen und Viren. In einem Gramm Darminhalt | |
schwirren rund eine Billion Mikroorganismen umher. Fast alle Nährstoffe, | |
die aus dem Darm in das Blut gelangen, laufen durch die Pfortader in die | |
Leber – der ideale Gesprächskanal. | |
In den Laborräumen des „[2][SchneiderLab]“ untersucht die Arbeitsgruppe, | |
wie die Mikrobiota Entzündungen in der Leber hervorruft. Dafür nutzt die | |
Arbeitsgruppe Leber- und [3][Stuhlproben.] Die Leber-Gewebeproben entnehmen | |
Ärzt*innen in der Uniklinik. | |
Ein Problem gibt es bei der Erforschung von kommunizierenden Organen: | |
Schneider kann der Leber beim Sprechen mit dem Darm nicht zuhören oder | |
zusehen. Stattdessen kann er allerdings die unterschiedlichen Zustände von | |
Leber und Darm unter wechselnden äußeren Bedingungen beobachten und | |
versuchen zu verstehen, welche Einflüsse zu welchen Veränderungen führen. | |
Eine der häufigsten gesundheitlichen Leberbeschwerden resultieren aus einer | |
Fettlebererkrankung, auch Nicht-Alkoholische Fettlebererkrankung, genannt. | |
Etwa jede vierte Person in Deutschland leidet darunter. Bei | |
Vorsorgeuntersuchungen stellen Ärzt*innen dann meist erhöhte Leberwerte | |
fest. Wenn Leberzellen geschädigt werden, treten Enzyme in die Blutbahn | |
ein. Die Leber kommuniziert. | |
Die Erkrankung lässt sich auch auf eine einseitige Ernährung zurückführen. | |
Da das Krankheitsbild in den vergangenen zehn Jahren immer häufiger | |
auftritt, kann nicht nur eine Veränderung der Genetik, sondern auch der | |
Umweltfaktoren ein Grund für die entzündete Leber sein. | |
Durch eine ausgewogene Ernährung bildet sich eine vielfältige Mikrobiota, | |
die die Darmbarriere schützt. Eine ballaststoff- und vitaminarme Ernährung | |
reduziert die Zahl der nützlichen Bakterien im Darm. | |
Es kann dazu kommen, dass dadurch entzündliche Reize durch die Pfortader in | |
die Leber gelangen. Das Immunsystem der Leber kann diesen nicht dauerhaft | |
standhalten. Die Kupffer-Zellen, die ähnlich wie Türsteher kontrollieren, | |
wer die Leber betreten darf, sind überfordert und schlagen Alarm. Der Darm | |
kommuniziert, die Leber entzündet sich. | |
Schneiders Fokus auf die Mikrobiota im Zusammenspiel mit der Leber ist in | |
Deutschland noch weitgehend unerforscht. „Als wir das erste Mal die | |
Mikrobiota verändert haben, sahen wir, wie sich die Kommunikation mit der | |
Leber im Positiven verändert hat. Das hat mir gezeigt, was wir mit unserer | |
Forschung erreichen können“, sagt er. | |
Erst in den letzten fünf Jahren fokussierte sich die | |
Organ-Crosstalk-Forschung vermehrt auf Art und Inhalte der Kommunikation. | |
Zuvor ging es in vielen Bereichen, so auch der Darm-Leber-Achse, um eine | |
Bestandsaufnahme. Wer spricht überhaupt mit wem? | |
Für die Fettlebererkrankung gibt es bisher noch keine Behandlung mit | |
Medikamenten. Bei harmlosen Formen reicht oft ein Wechsel des Lebensstils | |
aus. „Das Ziel ist es, bei Patienten und Patientinnen genau herauszufinden, | |
was die Erkrankung hervorruft. Ist es die Ernährung, ungünstige Gene oder | |
andere Einflüsse, die die Darmmikrobiota verändern?“ | |
Bisher überforderten Patient*innen die ungenauen Angaben zur Therapie. | |
Eine frühe Erkennung ist wichtig. Im schlimmsten Fall vernarbt die Leber, | |
ihre Zellen sterben ab. Dies passiert bei einem Viertel der Patient*innen. | |
Bei einer passgenauen Behandlung hingegen kann sich die Leber selbst | |
erholen und regenerieren. Bis zu zwei Drittel der Zellen können neu | |
gebildet werden. | |
„Die Ansprüche an Medikamente steigen durch die Fortschritte im Bereich | |
Organ-Crosstalk“, sagt Birkenfeld. Es wird verstärkt darauf geachtet, dass | |
die kommunizierenden Organe in der Wirkung der Medikamente beachtet werden, | |
sodass es dadurch nicht zu ungewollten Wechselwirkungen kommt. Denn | |
Missverständnisse soll es in der Organkommunikation möglichst nicht geben. | |
10 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Mikrobiom-im-Darm/!5930657 | |
[2] https://schneiderlab.de/ | |
[3] /Gesund-dank-Kot/!5587293 | |
## AUTOREN | |
Anastasia Zejneli | |
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