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# taz.de -- Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Legastheniker-Vermerke zuläs…
> Drei ehemalige bayerische Schüler klagten gegen einen Legasthenie-Vermerk
> in ihrem Abiturzeugnis. Erfolg hatten sie aber nur für sich selbst.
Bild: Mit rote Robe wird nicht diskriminiertt
Karlsruhe taz | Wenn bei Legastheniker:innen die Rechtschreibung nicht
bewertet wird, muss dies grundsätzlich im Abiturzeugnis vermerkt werden.
Das entschied an diesem Mittwoch [1][das Bundesverfassungsgericht] in einem
Grundsatzurteil. Im Fall der drei klagenden Ex-Schüler muss der Vermerk
jedoch beseitigt werden.
An bayerischen Schulen leiden rund 3,4 Prozent der Schüler:innen unter
Legasthenie, also unter Lese- und Rechtschreibschwäche. An den bayerischen
Gymnasien beträgt der Anteil 1,8 Prozent.
Am Ende der Mittelstufe müssen die bayerischen Legastheniker:innen
entscheiden, ob sie in der Oberstufe und im Abitur den so genannten
Notenschutz in Anspruch nehmen. Wird der Notenschutz gewählt, bleibt die
Rechtschreibung unbenotet. Im Abitur wird dann aber vermerkt: „Aufgrund
einer fachärztlich festgestellten Legasthenie wurden Rechtschreibleistungen
nicht bewertet.“ Ähnliche Notenschutzregeln gibt es auch in sieben anderen
Bundesländern: Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,
Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.
Den Notenschutz wählen überwiegend Legastheniker:innen, die ein Studienfach
mit Numerus Clausus anstreben, weil es dann auf jede Zehntel-Note ankommen
kann. Die meisten Schüler:innen verzichten jedoch auf den Notenschutz,
weil sie Nachteile bei der Arbeitssuche befürchten.
## Kleiner Erfolg für Kläger
Die drei Kläger hatten 2010 in Bayern ihr Abitur mit guten oder sogar sehr
guten Noten bestanden. Da sie Notenschutz gewählt hatten, enthielt ihr
Abiturzeugnis den entsprechenden Vermerk. Da sie sich durch den Vermerk
stigmatisiert fühlten, klagten sie. Der Vermerk wirke wie ein Warnhinweis.
Das Bundesverfassungsgericht stellte zunächst fest, dass Legasthenie
[2][eine Behinderung] ist. Für Legastheniker gelte daher die
grundgesetzliche Garantie: „Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden.“
Den Notenschutz-Vermerk im Abitur hielten die
Verfassungsrichter:innen dennoch für zulässig und sogar für
„geboten“, denn er diene einem anderen Ziel mit Verfassungsrang: die
Schulabschlüsse müssen so ausgestaltet werden, dass allen Schulabgängern
entsprechend ihrer Leistungen und Fähigkeiten [3][die gleichen Chancen] für
den Zugang zu Ausbildung und Beruf eröffnet werden.
Diesem Ziel diene der Legasthenie-Vermerk, weil Zeugnisse damit
aussagekräftiger und vergleichbarer werden, betonen die Richter:innen. Wenn
eine eigentlich zu prüfende Teilleistung – die Rechtschreibung – nicht
bewertet wird, müsse dies im Abiturzeugnis vermerkt werden. Auch in Zeiten
von digitalen Rechtschreibprogrammen sei Legasthenie eine Beeinträchtigung,
weil im Beruf manchmal auch handschriftlich geschrieben werden muss und es
auch auf die Fähigkeit, schnell zu lesen, ankommen kann.
Verhältnismäßig seien die Legasthenie-Vermerke aber nur, so das Urteil,
solange die Schüler:innen selbst wählen können, ob sie den Notenschutz
in Anspruch nehmen. Sie könnten dann selbst entscheiden, ob ihnen die
bessere Note oder das makellose Zeugnis wichtiger sei.
Die drei Kläger hatten dennoch Erfolg, weil 2010 in Bayern nur bei
Legastheniker:innen im Zeugnis vermerkt wurde, wenn sie Teilleistungen
nicht erbracht hatten. Bei Blinden, Tauben, Körperbehinderten und
Autist:innen waren solche Vermerke jedoch nicht vorgesehen. Die drei
Kläger seien deshalb verfassungswidrig diskriminiert worden, entschieden
die Karlsruher Richter:innen, und die Vermerke müssen aus ihren
Abiturzeugnissen entfernt werden.
Bayern hat allerdings bereits 2016 sein Schulgesetz und seine Schulordnung
geändert. Seitdem sind in Bayern auch für andere Behinderte Zeugnisvermerke
vorgesehen, wenn Teilleistungen nicht bewertet werden. (Az.: 1 BvR 2577/15
u.a.)
22 Nov 2023
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## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Legasthenie
Bundesverfassungsgericht
Zeugnisse
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Klima
Gemeinnützigkeit
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