# taz.de -- Legasthenie-Vermerke im Zeugnis: Die Schimäre der Gerechtigkeit | |
> Legasthenie-Hinweise müssen im Zeugnis vermerkt werden. Das Urteil des | |
> Bundesverfassungsgerichts zeugt von einem eingeschränkten | |
> Gerechtigkeitsbegriff. | |
Bild: An dem Urteil zeigt sich wieder, wie ungerecht unser Bildungssystem ist | |
In Deutschland geht es gerecht zu, insbesondere in der Bildung. Jeder hat – | |
theoretisch – die gleichen Chancen, entsprechend seinen Leistungen und | |
Fähigkeiten bewertet zu werden. Deshalb, so das Bundesverfassungsgericht, | |
[1][muss es im Abiturzeugnis vermerkt werden], wenn bei Schüler:innen | |
wegen ihrer Legasthenie die Rechtschreibung nicht bewertet wird. | |
Die Richter:innen glauben ernsthaft, dass der Glaube an ein gerechtes | |
deutsches Bildungssystem gefährdet wäre, wenn bei Legastheniker:innen | |
der kleine Notenvorteil nicht ins Zeugnis geschrieben wird. Dabei gibt es | |
so viele Vor- und Nachteile im Bildungssystem. Man könnte ja wirklich eine | |
Menge ins Zeugnis schreiben. Aber der Vermerk über den „Vorteil“ für | |
Legastheniker, der soll Gerechtigkeit schaffen. | |
Dabei ist es an sich schon eine besonders großartige Leistung, wenn sich | |
junge Leute trotz Lese- und Rechtschreibschwäche überhaupt durch unser | |
[2][lese- und schreibfixiertes Schulwesen] bis zum Abitur durchkämpfen. | |
Doch statt dies wertzuschätzen, meinen die Verfassungsrichter:innen, dass | |
hier eine Ungerechtigkeit gegenüber den anderen Schüler:innen | |
transparent gemacht werden muss, wenn die Schreibleistung der Legastheniker | |
nicht bewertet wird. Welch großer Kleinmut. | |
Die meisten Legasthenie-Kinder lassen lieber ihre desaströse | |
Rechtschreibung benoten, um den stigmatisierenden Vermerk im Zeugnis zu | |
vermeiden. Was ist das für eine Vorstellung von Inklusion, in der man | |
lieber auf den Schutz verzichtet, weil er mit gezielter Stigmatisierung | |
verbunden wird? | |
Nun ist die Schreib- und vor allem Lesefähigkeit natürlich wichtig. Und es | |
ist grundsätzlich nachvollziehbar, dass sie sich in der Benotung | |
niederschlägt. Wer Aufgaben nicht richtig lesen kann und deshalb | |
missversteht, weil er den ganzen Tag nur „Born to kill“ spielt, wird zu | |
Recht entsprechend benotet. Aber im Zeugnis steht dann trotzdem nichts von | |
einer Leseschwäche. Diesen Warnhinweis bekommen nur | |
Legastheniker:innen. | |
An dieser Regelung ist so vieles ungerecht. Schon deshalb ist sie nicht | |
geeignet, den Glauben an ein gerechtes Bildungssystem zu stützen. | |
23 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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