# taz.de -- Arzt über seine Arbeit in Gaza: „Solche Zerstörung noch nie erl… | |
> Operationen ohne Betäubung und Blutkonserven: Fadel Naim muss täglich 200 | |
> Verletzte in einer Klinik versorgen, die vor dem Krieg 14 Betten hatte. | |
Bild: Palästinenser beten vor dem Krankenhaus Khan Younis für die Verstorbenen | |
Wegen der Kämpfe im Al-Schifa-Krankenhaus funktioniert derzeit nur noch die | |
Al-Ahli-Al-Arabi-Klinik im Norden Gazas. Dort arbeitet der Orthopäde Dr. | |
Fadel Naim mit einem kleinen Team und kaum Ressourcen weiter. Doch das | |
kleine Haus, [1][das vor einem Monat nach einer verheerenden Explosion in | |
die Schlagzeilen geriet], ist der Flut an Verletzten kaum gewachsen. Der | |
leitende Arzt Naim schildert die Lage vor Ort. | |
taz: Herr Naim, wie ist die Situation am Al-Ahli-Krankenhaus? | |
Fadel Naim: Gestern bin ich zum ersten Mal nach draußen gegangen, um meinen | |
Schwager in der Nähe des Krankenhauses zu begraben. Seit dem Beginn des | |
Angriffs habe ich die Klinik nicht verlassen. Die Nachbarschaft ist | |
dermaßen zerstört, dass ich kaum noch etwas wiedererkenne. Ich arbeite seit | |
20 Jahren im Ahli-Krankenhaus, aber ein solches Ausmaß an Zerstörung habe | |
ich noch nie erlebt. Aktuell hören und sehen wir Luftangriffe und Kämpfe | |
bis etwa einen Kilometer vom Krankenhaus entfernt. In der unmittelbaren | |
Umgebung ist es ruhig. Die Klinik ist ein Feldlazarett geworden. Vor dem | |
Krieg gab es 14 Betten, aktuell haben wir mehr als einhundert stationäre | |
Patienten überall in der Klinik: in der Kirche, in der Bibliothek, in den | |
Höfen. Wir haben einen Triage-Bereich eingerichtet und können nur noch in | |
lebensbedrohlichen Fällen operieren. | |
Ihre Klinik ist laut den Vereinten Nationen die einzige noch | |
funktionierende im Norden Gazas. Was bedeutet das für Ihre Arbeit? | |
Wir bekommen aktuell etwa 200 Verletzte jeden Tag. Die meisten sind | |
Überlebende von Luftangriffen, oft mit schweren Brüchen oder | |
Schädelverletzungen von herabfallenden Trümmern. Wir haben aber nur zwei | |
funktionierende OP-Säle und können uns nicht um alle kümmern. Gestern | |
hatten wir fünf Notfalloperationen, sieben Geburten und zwei | |
Kaiserschnitte. Hinzu kommen Menschen mit chronischen Krankheiten wie | |
Epilepsie oder Dialysepatienten und viele Kinder, die unter Dehydrierung | |
oder Asthmaattacken leiden. Wir beobachten auch zunehmend Durchfall und | |
Erbrechen wegen der schlechten hygienischen Bedingungen. | |
Wie steht es um das Personal in Ihrem Krankenhaus? | |
Wir sind aktuell noch vier Fachärzte. Dazu helfen uns viele Freiwillige und | |
Pfleger, die in die Klinik gekommen sind. Es ist ein sehr kleines Team für | |
eine überwältigende Anzahl an Fällen. Aber selbst wenn wir die Operationen | |
durchführen, verlieren wir Patienten, weil uns die Vorräte an medizinischem | |
Material ausgehen. | |
Wie ist die Versorgungslage im Krankenhaus derzeit? | |
Es fehlt vor allem an Narkose- und Schmerzmitteln. Aktuell operieren wir | |
nur noch in den kritischsten Fällen mit Betäubung, um unsere geringen | |
Vorräte zu schützen. Der Schmerz, den ein Patient bei einer Operation ohne | |
Betäubung ertragen muss, ist kaum vorstellbar. Nach den OPs entzünden sich | |
zudem viele Wunden, weil wir sie ohne steriles Verbandsmaterial und | |
Desinfektionsmittel nicht ausreichend versorgen können. Immer wieder | |
verbluten Patienten während der OPs, weil wir keine Blutkonserven mehr | |
haben. Wegen der Kämpfe um das Schifa-Krankenhaus und die zentrale Blutbank | |
können wir keinen Nachschub besorgen. Auch die Beutel, die wir bräuchten, | |
um Blut von Spendern zu nehmen, sind verbraucht. | |
Bekommt das Krankenhaus aktuell Unterstützung? | |
Wir haben die [2][Weltgesundheitsorganisation] und das Rote Kreuz um Hilfe | |
gebeten, aber bisher keine Hilfslieferungen erhalten. Und wir haben die in | |
Nord-Gaza verbliebenen Menschen nach Spenden gefragt. Sie bringen uns, was | |
sie haben, doch es reicht bei weitem nicht aus. Wir haben weder mit der | |
israelischen Armee noch mit der Hamas Kontakt und von keiner Seite | |
irgendwelche Unterstützung bekommen. | |
Können sich die Menschen in Richtung Süden in Sicherheit bringen? | |
Es gibt kaum Kontakt mit Krankenhäusern im Süden, [3][weil die Internet- | |
und Telefonverbindungen ständig ausfallen]. Wir haben manche Patienten ohne | |
Absprache in andere Häuser überwiesen, doch der Weg ist extrem gefährlich | |
und oft kommen die Krankenwagen im Norden nicht mehr durch. Einige | |
versuchen, auf eigene Faust in den Süden zu gelangen. Manche schaffen es, | |
andere kommen wieder ins Krankenhaus zurück. | |
Wie lange werden Sie selbst noch bleiben? | |
Wenn ich gehe, wer kümmert sich dann um meine Patienten? Meine Familie ist | |
aktuell im Süden von Gaza und ich habe noch nicht entschieden, an welchem | |
Punkt ich selbst gehen soll. Aber ich weiß, dass ich hier mehr als 20 | |
Patienten mit Verletzungen an der Wirbelsäule oder im Beckenbereich habe, | |
die wir nicht bewegen können. Ob ich bleibe und mein Leben gefährde oder | |
gehe? Ich hoffe, dass ich diese Entscheidung nie treffen muss. | |
15 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
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