# taz.de -- Muslimfeindlichkeit in Deutschland: Hassbriefe und Hakenkreuze | |
> Seit dem Hamas-Angriff auf Israel haben antimuslimische Vorfälle | |
> bundesweit stark zugenommen. Doch die Politik meidet das Thema. | |
Bild: Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln betrachtet eine Passantin eine Ku… | |
Berlin taz | Ein türkischer Imbiss in Nürnberg erhält eine | |
Online-Bestellung mit rassistischer Botschaft. Ein muslimisches Paar, das | |
sich in Nordrhein-Westfalen auf eine Wohnung beworben hatte, bekommt vom | |
Vermieter eine mit rassistischen Beleidigungen gespickte Absage. Ebenfalls | |
in Nordrhein-Westfalen wurde eine syrische Frau auf einer Parkbank | |
rassistisch beleidigt und geschlagen. In Berlin wurde eine andere Frau, die | |
einen palästinensischen Schal trug, in der U-Bahn von Betrunkenen gefragt, | |
ob sie Hamas-Anhängerin sei, und anschließend auf die Gleise gestoßen. | |
Das sind vier von 170 antimuslimischen Vorfällen, welche die Organisation | |
„CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“ zwischen dem 9. | |
Oktober und dem 26. November gesammelt hat – zwischen drei und vier solcher | |
Vorfälle pro Tag, und damit doppelt so viele wie sonst. Allein 24 | |
Übergriffe betreffen religiöse Einrichtungen: Mehrere Moscheen und | |
islamische Organisationen in Deutschland erhielten in den vergangenen Tagen | |
Hassbriefe, die Plastikbeutel mit verbrannten Koranseiten, Schweinefleisch | |
und Hundekot enthielten. An einige Moscheen wurden Hakenkreuze und | |
Davidsterne geschmiert, oder sie erhielten Drohanrufe. In Magdeburg wurden | |
muslimische Grabsteine beschmiert. | |
„Man hört von diesen Fällen so wenig. Das mediale Echo und die fehlende | |
Skandalisierung sind verheerend. Woran liegt das?“, fragt die | |
Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami, die an der Freien Universität | |
Berlin lehrt. Die Antwort darauf ist vielschichtig. So werden | |
antimuslimische Übergriffe weniger umfassend erfasst als etwa | |
antisemitische Vorfälle. CLAIM zum Beispiel trägt Fälle zusammen, die über | |
das Meldeportal I-Report und andere Beratungsstellen gemeldet werden oder | |
über die in Medien berichtet wird. | |
Das umfasst Beleidigungen, Diskriminierungen, Sachbeschädigungen und | |
körperliche Gewalt. Anders als die Meldestelle RIAS, die antijüdische | |
Vorfälle dokumentiert, erfasst CLAIM aber weder den großen Bereich der | |
Online-Hetze in Sozialen Medien noch antimuslimische Parolen, die auf | |
Demonstrationen skandiert werden. Daher wirkt die Zahl im Vergleich gering. | |
Doch das Dunkelfeld ist groß. | |
## Zu wenig Zahlen, zu wenig politischer Wille | |
Behörden und Meldestellen sollten solche Vorfälle systematischer erfassen | |
und es brauche mehr Studien dazu, darüber sind sich die meisten Experten | |
einig. Amir-Moazami bezweifelt aber, dass dem Problem allein mit mehr | |
Studien und Zahlen beizukommen sei. „Viele Zahlen sind ja seit Langem | |
bekannt. Ihre Reproduktion hat aber nichts am Phänomen geändert.“ Es | |
brauche auch die öffentliche Bereitschaft und den politischen Willen, sich | |
damit auseinanderzusetzen. „Beides sehe ich derzeit nicht“, sagt die | |
Wissenschaftlerin pessimistisch. | |
Es sei „schwer für Muslime zur Zeit“, sagt die Studentin Dilek Öner (Name | |
von der Redaktion geändert), die bei einem islamischen Verband arbeitet und | |
ein Kopftuch trägt. Seit Oktober habe sich die Stimmung definitiv | |
verschärft. Sie habe als Schülerin den 11. September und die Folgen erlebt. | |
Jetzt fühlt sie sich in diese Zeit zurück versetzt, weil Muslime wieder | |
pauschal mit Terror in Verbindung gebracht würden. „Das ist frustrierend | |
und ich frage mich: haben wir in den vergangenen 20 Jahren nichts gelernt?“ | |
Von der deutschen Politik ist sie enttäuscht: „Ich hätte mir gewünscht, | |
dass sich Politiker vor uns gestellt und gesagt hätten: Unsere Muslime | |
haben damit nichts zu tun. Stattdessen wurden wir von Leuten wie Cem | |
Özdemir sofort in Mithaftung genommen. Gerade er müsste es doch besser | |
wissen.“ | |
Zeynep Demir, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der | |
Universität Bielefeld, warnt vor den Folgen solcher | |
„Missachtungserfahrungen“: Diese könnten „zu Stress, Angst und Unsicherh… | |
führen“, sagt sie. „Manche versuchen deshalb, bestimmte Orte zu vermeiden | |
oder wenn es geht zu verbergen, dass sie Muslime sind.“ Junge Muslime | |
würden laut Studien häufiger über Diskriminierung berichten als ältere | |
Muslime. „Sie können das oft besser benennen und sind sich dessen | |
bewusster“. | |
## „Nur die Spitze des Eisbergs“ | |
Wir haben in Deutschland „auch ein ernstes Problem mit antimuslimischem | |
Rassismus“, sagte die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda | |
Ataman, am Dienstag bei einem Roundtable-Gespräch der Jungen Islam | |
Konferenz (JIK) in Berlin. Das sei schon vor der aktuellen Eskalation im | |
Nahen Osten deutlich gewesen. „Bis September diesen Jahres haben die | |
Behörden rund 700 antimuslimische Übergriffe registriert“, so Ataman. „Wir | |
wissen außerdem, dass die Kriminalstatistik nur die Spitze des Eisbergs | |
abbildet, weil die meisten Fälle nicht angezeigt werden.“ | |
„Jede dritte muslimische Person berichtet in Umfragen darüber, schon einmal | |
diskriminiert worden zu sein“, betont Ferda Ataman und sagt: „Das liegt | |
auch an den politischen und gesellschaftlichen Debatten, die wir führen.“ | |
Den Vorschlag der Union, Einwanderern in bestimmten Fällen den Pass zu | |
entziehen, kritisiert sie scharf: „Man kann nicht ‚Nie wieder!‘ sagen und | |
im gleichen Atemzug nach Ausbürgerungen rufen. Das sollte gerade nach den | |
Erfahrungen im Nationalsozialismus klar sein“. | |
Im Innenausschuss des Bundestags sollte es am Mittwoch ebenfalls um | |
Muslimfeindlichkeit gehen. Doch das Innenministerium wollte dort lieber | |
über Islamismus und Antisemitismus unter Muslimen sprechen. Die | |
Grünen-Politikerin Lamya Kaddor zeigte sich anschließend schockiert: „Dass | |
Muslime tagtäglich Opfer von Hass und Hetze werden, wurde schlicht nicht | |
behandelt.“ Man dürfe das aber nicht gegen andere Probleme ausspielen oder | |
den Eindruck erwecken, dass Muslime selbst daran schuld trügen. „Ich | |
wünsche mir vom Innenministerium, dass es das Thema erst nimmt und wir es | |
als Drucksache im Plenum des Bundestags behandeln“, fordert Kaddor. | |
Hinweis: Daniel Bax ist ehrenamtlich im Beirat von CLAIM tätig. | |
1 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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