# taz.de -- Umgang mit rechten Parteien: Ein Linker raus, ein Rechter rein | |
> In Bremerhaven soll ein Abgeordneter des rechten „Bündnis Deutschland“ | |
> ins Wahlprüfungsgericht gewählt werden. Ein Linker soll dafür | |
> rausfliegen. | |
Bild: Wirken angesichts der Deutschlandfahne ganz erschreckt: Bremer Stadtmusik… | |
HAMBURG taz | Ist eine Wahl noch eine Wahl, wenn man keine Wahl hat? Muss | |
man jemanden gegen den eigenen Willen wählen, wenn es nun mal so im Gesetz | |
steht? Über diese Fragen tobt seit Monaten in der Bremerhavener Politik ein | |
Streit. Je nach Sichtweise soll am heutigen Abend ein Rechtsbruch geheilt | |
werden – oder aber es kommt zu einem „politischen Skandal“, wie die Linke | |
wittert, der dann zu einem Fall für den Bremer Staatsgerichtshof wird. | |
Denn nach dem Willen der regierenden SPD-Fraktion soll das Stadtparlament | |
ausgerechnet einen Abgeordneten des [1][rechten „Bündnisses Deutschland“] | |
in das Bremerhavener Wahlprüfungsgericht wählen – und dafür den zuvor | |
gewählten Abgeordneten der Linken wieder rauswerfen. | |
Als im Frühjahr parallel zur Bremer Wahl auch das Bremerhavener | |
Kommunalparlament gewählt wurde, erhielt das damals noch als „Bürger in | |
Wut“ antretende [2][„Bündnis Deutschland“ fast 20 Prozent der Stimmen] �… | |
nur knapp hinter der CDU ist die Fraktion seither drittstärkste Kraft. Als | |
eine der ersten Amtshandlungen hatte die neu konstituierte | |
Stadtverordnetenversammlung fünf ihrer Abgeordneten in das lokale | |
Wahlprüfungsgericht zu wählen. Analog zum Landeswahlgericht hat es etwa | |
über die Gültigkeit einer Wahl zu richten. Und analog zur Bremer | |
Landesebene sind die Mitglieder des Wahlprüfungsgerichts „unter | |
Berücksichtigung der Stärke der Parteien und Wählervereinigungen“ zu | |
wählen. | |
Als drittstärkste Fraktion rechnete die Rechtsaußen-Partei „Bündnis | |
Deutschland“ demnach fest mit einem Platz. Nur ließ das Stadtparlament den | |
Rechten Jan Timke, der auch in der Bremischen Bürgerschaft sitzt und | |
Spitzenkandidat der „Bürger in Wut“ bei der Bremer Wahl gewesen war, im | |
Juli und September zweimal durchfallen. Stattdessen wählten die | |
Abgeordneten Francesco-Hellmut Secci, Mitglied der Linksfraktion. | |
## Erzwungene Neuwahl | |
Das rief allerdings den Bremer Landeswahlleiter Andreas Cors auf den Plan, | |
der in der Wahl einen Bruch des Bremer Wahlrechts sah. Er forderte | |
Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) auf einzuschreiten und die | |
entsprechenden Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung formal zu | |
beanstanden. Solange dieser Rechtsbruch anhalte, sei das Gremium nicht | |
arbeitsfähig und könne die Rechtmäßigkeit der Wahl nicht prüfen, | |
kritisierte der Wahlleiter. | |
Grantz legte Widerspruch gegen den Vorgang ein, seine SPD hat deshalb | |
beantragt, auf der heutigen Stadtverordnetenversammlung den | |
Linken-Abgeordneten Secci wieder abzuwählen – und mit einer Neuwahl einen | |
Bündnis-Deutschland-Abgeordneten ins Gericht zu entsenden, damit sich das | |
Kräfteverhältnis des Stadtparlaments dort widerspiegelt – so wie es halt im | |
Gesetz vorgegeben ist. | |
„Der konkrete Plan, ein von der Linksfraktion benanntes und durch die | |
Stadtverordnetenversammlung demokratisch gewähltes Mitglied durch ein | |
Mitglied einer rechtspopulistischen Partei zu ersetzen, erschüttert mich“, | |
sagt Petra Brand, die die Linksfraktion anführt. Alle demokratischen | |
Parteien seien aufgefordert, rechten Parteien nicht mehr als den ihnen | |
unabdingbar zustehenden Raum im parlamentarischen System zu überlassen, | |
findet Brand. | |
Doch auch jenseits der Frage, wie Abgeordnete mit stärker werdenden rechten | |
Fraktionen umgehen sollten – ausgrenzen oder einhegen? –, ist der vom | |
Landeswahlleiter beanstandete Rechtsbruch gar nicht so eindeutig. Auch die | |
Bremerhavener CDU hatte schon bemängelt, wie die Anforderungen unter einen | |
Hut zu bekommen seien, dass einerseits die Besetzung des | |
Wahlprüfungsgerichts das Wahlergebnis widerspiegeln und andererseits Wahlen | |
frei sein sollen. | |
## Der Schutz des freien Mandats | |
Zu dieser Frage hat der lange Zeit in Bremen tätige Jura-Professor Andreas | |
Fischer-Lescano im Auftrag der FDP ein Rechtsgutachten erstellt. | |
Grundsätzlich sei zwar der „Spiegelbildlichkeitsgrundsatz“ auch in diesem | |
Fall zu berücksichtigen. Doch gilt dieser Fischer-Lescano zufolge „nicht | |
vorbehaltlos“. Er müsse auch „mit gegenläufigen Verfassungsgrundsätzen w… | |
einerseits dem aus dem Demokratiegrundsatz fließenden Schutz des freien | |
Mandats und andererseits der Funktionsfähigkeit der demokratischen | |
Institutionen in Konkordanz gebracht werden“. | |
Die Wahl des Linken- statt des Bündnis-Deutschland-Abgeordneten hält er | |
demnach für rechtmäßig. Schließlich gilt ebenso der Grundsatz, dass | |
gewählte Abgeordnete nicht an Weisungen gebunden sind. Und die | |
spiegelbildliche Verteilung der Plätze hält er nur in soweit für | |
erforderlich, wie es die Funktionsfähigkeit des Gremiums ermöglicht – wie | |
es mit der Wahl des Linken gegeben ist. | |
Linksfraktionschefin Brand betont hinzu, dass das geforderte | |
Kräfteverhältnis mit der Wahl ihres Genossen statt eines | |
Bündnis-Deutschland-Abgeordneten schließlich gewahrt bliebe: Beide sitzen | |
in der Opposition zur von der SPD angeführten Mehrheit. Das bestätigt auch | |
Fischer-Lescano: „Die Verschiebung der Sitzverteilung erfolgte nicht | |
zugunsten der Koalitionsmehrheit, sondern zugunsten einer anderen | |
Oppositionsfraktion.“ | |
Wie auch immer die Wahl am Donnerstag ausgeht – in beiden Fällen dürfte der | |
Streit [3][vor Gericht landen]. Die Linken-Vorsitzende Brand kündigt im | |
Fall einer Abwahl bereits eine Klage vor dem Bremer Staatsgerichtshof an. | |
„Auch das Bündnis Deutschland hat das schon für den Fall einer erneuten | |
Niederlage angedeutet“, sagt Brand. | |
30 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wutbuerger-in-Bremen/!5933236 | |
[2] /Erfolg-fuer-Rechte-bei-Bremen-Wahl/!5931825 | |
[3] /Falschaussage-vor-Gericht/!5971346 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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