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# taz.de -- Samen der Ginkgo-Bäume: Der Stinker ums Eck
> Ginkgos gelten als Symbole der Freundschaft und der Hoffnung, sie sind
> uralt und auch sonst erstaunlich. Wenn nur dieser Samengeruch nicht wäre.
Bild: Ginkgobäume sehen schön aus, riechen aber nicht immer gut
Das Unheil kommt von oben. Ein Windstoß fährt in die Blätter, schon
prasseln die gelblich-orangenen Kugeln herab. Auf den Bürgersteig vor
unserem Haus, auf die Straße, auf die Dächer der Autos, die unter dem
Ginkgobaum geparkt sind. Es klingt wie ein kurzer Trommelwirbel. Unten
haben die fruchtartigen Samen dann ihren großen Auftritt: Aufgeplatzt und
zertreten verbreiten sie einen fiesen Gestank. Der ganze Straßenabschnitt
riecht nach Kotze.
So geht das jeden Herbst, vor allem im November. Je mehr Kugeln
herunterfallen, je mehr Leute darüber laufen, desto mehr vermengt sich die
Masse mit dem gelben Laub, der Bürgersteig unter dem Baum wird zu einer
glitschigen, stinkenden Bahn. Nase rümpfend eilen Passanten vorbei, in der
Hoffnung, keine allzu matschigen Sohlen zu bekommen, denn sonst muffelt es
auch Zuhause oder im Büro.
Dabei hat der [1][Ginkgo biloba], wie der botanische Name lautet,
eigentlich einen hervorragenden Ruf – nicht umsonst zieren die
fächerförmigen Blätter Goldschmuck, Taschen und T-Shirts. Ginkgos gelten
als Symbol der Hoffnung und der Freundschaft, ihr Extrakt soll gar heilende
Kräfte haben, sie stehen für Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit.
Tatsächlich lassen sich Ginkgos nicht so schnell unterkriegen. Die Pflanze
konnte [2][in fossilen Funden] nachgewiesen werden, sie ist Hunderte
Millionen Jahre alt und hat sogar die Dinosaurier überlebt. Eichen, Buchen,
Linden? Sind totale Anfänger im Vergleich. Dass ein Ginkgobaum sogar
[3][nach der Atomexplosion] in Hiroshima wieder austrieb, dürfte ebenfalls
zur Mythenbildung beigetragen haben.
Auch Goethe war schon ganz begeistert von dem aus China eingeführten Baum,
[4][er dichtete]: Dieses Baums Blatt, der von Osten / Meinem Garten
anvertraut, / Giebt geheimen Sinn zu kosten … Nun ja. Manchmal würde man
gerne etwas weniger kosten, und geheim ist das Ganze wirklich nicht. Aber
hübsch sind die Ginkgos in der Tat, vor allem jetzt im November, da ihr
leuchtendes Gelb oft genug die Sonne ersetzt. Wenn nur der Gestank nicht
wäre.
Die Frauen sind dabei das Problem, das lässt sich leider nicht anders
sagen. Nur die weiblichen Bäume werfen die an Mirabellen erinnernden Kugeln
ab, die Buttersäure enthalten und deshalb so übel riechen. Nur ihretwegen
heißt es: Der Ginkgo ist ein Stinko.
Das könnte bald noch mehr Leute nerven. Weil Ginkgos sowohl längere
Trockenheit als auch Minusgrade und Abgase gut aushalten, gelten sie als
[5][Stadtbäume der Zukunft], die auch die Klimakrise überstehen.
Naheliegend wäre nun, nur männliche Ginkgos zu pflanzen, aber das ist
leichter gesagt als getan. Ginkgos wachsen langsam, erst nach zwei bis drei
Jahrzehnten zeigt sich, welcher Baum männlich ist und welcher weiblich.
Einen Baum dann noch zu fällen? Das wäre selbst der gar so fruchtbaren
Ginkgo-Dame vor unserer Haustür nicht zu wünschen, in allen anderen
Jahreszeiten ist sie schließlich ein wunderbarer Baum.
Erstmal heißt es: Nase zu und durch. Noch hängen zahlreiche Stinkbomben im
kahler werdenden Geäst. Aber der Winter kommt bestimmt. Und wenn der
Samenmatsch erst einmal gefroren ist, stinkt er auch nicht mehr.
17 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.bgbm.org/de/pflanze/ginkgo
[2] http://www.ginkgomuseum.de/content/ginkgobiloba/lebendesfossil/fossilausdem…
[3] https://kwanten.home.xs4all.nl/history.htm
[4] https://www.goethe-museum.de/de/gedicht-ginkgo-biloba
[5] https://www.ardalpha.de/wissen/natur/pflanzen/wald-waelder-bayern-baum-baeu…
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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Botanik
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