# taz.de -- Alternative Fußballliga: Sieben Freunde sollt ihr sein | |
> In der Kings League wird Fußball auf dem Kleinfeld gespielt. Die Liga | |
> schlägt von Ex-Barça-Star Gerard Piqué schlägt in Spanien sensationell | |
> ein. | |
Bild: Der Erfolg kam auf dem Kleinfeld: Nil Ayats | |
Bevor [1][die Kings League] ihm eine zweite Chance gibt, hat Nil Ayats die | |
erste vergeben. Immer träumte der 25-Jährige davon, Fußballprofi zu sein. | |
In Spanien durchlief Ayats die Jugendteams von Espanyol Barcelona, spielte | |
in der höchsten U19-Liga – als Teil jener Armada von gut Ausgebildeten, von | |
denen die meisten wieder ausgesiebt werden. Manchmal, sagt Ayats, ist der | |
Fußball unbarmherzig: Sein Wechsel in die USA, um Fußball und Studium zu | |
verbinden, wird zur sportlichen Sackgasse. Er verletzt sich, schafft es | |
nicht in den MLS-Draft. | |
Als er nach Spanien zurückkehrt, scheint der Zug abgefahren. „Du warst drei | |
Jahre weg, keiner erinnert sich an dich. Du denkst: Ich bin 24 Jahre alt, | |
es ist zu spät für mich im Profifußball.“ Ayats kickt aus Spaß bei seinem | |
eigenen Verein weiter. „Und dann“, sagt er, „kommt die Kings League und | |
gibt dir eine zweite Chance.“ Wie im Märchen. | |
Als Nil Ayats am Telefon seine Geschichte erzählt, ist er gerade vom | |
Training bei Jijantes FC zurück. Der Klub ist eines der zwölf Teams der | |
Kings League, jener neuen Kleinfeldliga, die erst Ende 2022 [2][vom | |
Ex-Barça-Star Gerard Piqué] gegründet wurde. Eine 7er-Liga in Barcelona, in | |
der ein paar Ex-Profis und Influencer, aber überwiegend gut ausgebildete | |
Amateure wie Ayats spielen. Und die dank einer Mischung aus Sport, | |
Entertainment und Gaming in Spanien zur Sensation wurde. Seit Anfang 2023 | |
gibt es ein weibliches Pendant, [3][die Queens League]. | |
Laut Veranstalter Kosmos Holding sind bei der Kings League seit Januar im | |
Schnitt 410.000 Endgeräte zugeschaltet, bei der Queens League immer noch | |
250.000. Damit liegt man gar vor der großen La Liga mit einer | |
Durchschnittszahl von 301.000 – allerdings nur, wenn man den großen | |
internationalen Markt von La Liga nicht mitrechnet. Doch während bei La | |
Liga rund zwei Drittel der live Einschaltenden über 45 Jahre alt sind, | |
buhlt die Kings League um die Jugend. | |
## Spielerisch und spaßorientiert | |
„Heutzutage ist das Produkt Fußball veraltet“, glaubt Gerard Piqué. | |
Niedrigschwelliger, spaßorientierter, mehr Show soll es sein: Gestreamt | |
wird kostenfrei und hoch erfolgreich auf Twitch, die Liga funktioniert nach | |
US-Prinzipien mit handverlesenen Klubs, Draft und Final Four, und nutzt | |
jede Menge Gamification: Da verändern Würfel die Zahl der | |
Feldspieler:innen, es gibt Doppeltorregelungen, Geheimwaffenkarten, | |
zahlreiche Show-Acts und berühmte Ex-Profis und Influencer:innen als | |
Präsident:innen, die die Partien streamen und praktischerweise große | |
Fangemeinden mitbringen. Gespielt wird nur noch 2 mal 20 Minuten. Viele | |
sehen das spöttisch bis skeptisch, dabei ist die Idee nicht ungewöhnlich: | |
Auch andere Sportarten versuchen derzeit, mit kurzweiligen und kreativen | |
Formaten die Streaming-Generation zurückzugewinnen. Was verändert das? | |
Als die Kings League angekündigt wird, schüttelt Nil Ayats wie so viele den | |
Kopf. „Die Glaubwürdigkeit von Piqué in Spanien war nie hoch“, erzählt e… | |
„Er war hier immer in Konflikte involviert, er hat Dinge auf | |
Pressekonferenzen gesagt, die nicht wirklich ernst gemeint waren. Ihm hat | |
das einfach Spaß gemacht. Und als er gesagt hat, dass er diese Liga | |
gründet, meinten viele: Das funktioniert nie.“ | |
Aber das erste Final Four im ausverkauften Camp Nou ändert seine Meinung. | |
„Das war irre. Da dachte ich: Das wird was Großes, das ist cool.“ Er | |
bewirbt sich, durchläuft viele Probetrainings. Nil Ayats schafft es als | |
einer von 60 neuen Spielern in die Kings League, unter 4.000 Bewerbern. | |
Seit September spielt er dort. Heute wird er auf der Straße erkannt, gibt | |
Fotos und Autogramme. „Selbst einige Ex-Profis sagen, dass ihre | |
Sichtbarkeit hier größer ist.“ Nil Ayats ist Fußballstar geworden – auf … | |
zweiten Bildungsweg. | |
Ein Samstagabend im Oktober: Die Queens und Kings League tragen ihre | |
jüngsten Finals vor 30.000 in Málaga aus. Schon Stunden vorher drängen sich | |
Fans im Shop um Trikots für 70 Euro; 1 Million Menschen verfolgt die Finals | |
auf diversen Kanälen. Unter blauer Beleuchtung kommen in den Partien | |
schnellfeuerartig neue Elemente ins Spiel, mal spielen plötzlich nur noch | |
drei gegen drei, mal zählen die Tore doppelt. | |
## Wichtig sind die Influencer | |
Das ist wahrhaft großes Kino, vor allem die wechselnde | |
Spieler:innenzahl erweist sich als echte Bereicherung. Sichtbar ist | |
allerdings auch, dass hier Amateur:innen spielen, die mitunter nur | |
zweimal die Woche trainieren. Ohne Specials ist der Kleinfeldkick mitunter | |
zäh. Wichtiger sind vielen wohl ohnehin die meist männlichen Influencer mit | |
Co-Präsidentin, die das Publikum anheizen. | |
Da ist Móstoles-Präsident DjMaRiiO, spanischer Fifa-Streaming-Superstar | |
und sichtlich geübt in Selbstdarstellung, [4][der sich gern mit Ronaldo] | |
oder Neymar inszeniert, den Style der Profis imitiert und das Finale zu | |
seiner Show macht. Sein Team hat der Präsident gleich nach dem eigenen | |
Geburtsort Móstoles benannt und als Co-Präsidentin seine Freundin, | |
Instagram-Sternchen noe9977, installiert. Mehr Ego als beim Mäzen eines | |
Dorfvereins. | |
Da ist aber auch die erst 20-jährige Gamerin Espe, Präsidentin bei den | |
Pokalsiegerinnen Aniquiladoras und Tochter der spanischen | |
Ex-Nationalspielerin Rocío Giráldez, die etwa regelmäßig Sexismus in der | |
Gaming-Branche anprangert, über psychische Folgen aufklärt und bei Fans für | |
ihr engagiertes Auftreten hohe Popularität genießt. Wer die progressiven | |
und regressiven Potenziale der Liga verorten will, kann sie irgendwo | |
zwischen Espe und DjMaRiiO ausloten. | |
Nil Ayats gibt unumwunden zu, dass die Leute vor allem wegen der | |
Präsident:innen einschalten. „Die Präsidenten haben die Macht. Und | |
manchmal schauen mehr Leute ihre Vor- und Nachprogramme als das | |
tatsächliche Spiel.“ Fußball als Neben-Act. Wie oft trainiert wird, gibt | |
der Klub vor, die Strategien der Liga entscheidet eine kleine Gruppe. | |
„Manchmal sind wir Spieler bei dieser Liga wie das Bildschirmpublikum“, | |
sagt Ayats. „Wir kriegen keine News, bevor sie öffentlich werden.“ Aber | |
nein, insistiert er, all das störe ihn nicht. Er fühle sich als Spieler | |
wertgeschätzt, von den Fans und den Präsident:innen. | |
## Kein Ersatz für den klassischen Fußball | |
Zu viel Kritik dürfte auch bei der Kings League nicht auf Gegenliebe | |
stoßen. Zwischen Verbandsfußball und Gaming-Fußball will Nil Ayatas nicht | |
wählen müssen. „Ich mag beide Formate auf ihre Weise. Die Kings League wird | |
den klassischen Fußball nicht ersetzen, und das wollen sie auch nicht. Sie | |
wollen etwas anderes schaffen.“ Er hält das für logisch: Schließlich sei | |
der Straßenfußball fast verschwunden, Menschen verbrächten immer mehr Zeit | |
vor Youtube und Twitch. „Ich habe lieber die Kings League, als wenn Kinder | |
‚Call of Duty‘ spielen. Und wenn wir sie inspirieren, Fußball zu spielen, | |
ist das eine gute Nachrichten.“ | |
Ob das Publikum deswegen wirklich mehr kickt oder eher noch länger am | |
Bildschirm sitzt, bleibt zu klären. Aber auf spanischen Bolzplätzen wird | |
laut Piqué jetzt auch mit Regeln der Kings League gespielt. Der | |
Verbandsfußball wirkt vom Erfolg des Formats etwas überrumpelt, | |
La-Liga-Präsident Javier Tebas verhöhnte es als Zirkus. Die Kings League | |
ist auch eine Reaktion auf einen Managementfehler. Der etablierte Fußball | |
schaut quasireligiös auf Expansion und Wachstum, hat das Produkt selbst | |
aber kaum weiterentwickelt. Er hat vielleicht seine Kinder vergessen. Bei | |
Piqué gibt es zudem keine enteilten Großklubs, fast alle Budgets laufen | |
über die Liga. Am Anfang gab es sogar protosozialistisch für alle dasselbe | |
Gehalt; nun wird nach Draft-Pick abgestuft. Und es sagt viel, dass | |
Ex-Profis offenbar auch bei der Ligastruktur großen Handlungsbedarf sehen. | |
Frei nach Marketinglehrbuch expandiert der neue Wettbewerb aggressiv: 2024 | |
startet eine Liga Américas mit Influencer-Stars von Argentinien bis USA, | |
außerdem soll es eine WM geben – beides vorerst nur für Männer. Die Queens | |
League wirkt eher wie eine pflichtschuldige Ergänzung. Die Männer-Kategorie | |
„Legenden“ für Gaststars gibt es auf der Website der Queens League nicht; | |
vielleicht finden die Macher, der Frauenfußball habe keine. | |
Auf taz-Anfrage bestätigt die Kosmos Holding eine neue brasilianische Liga | |
[5][mit Ronaldinho] und Neymar als Teampräsidenten sowie Gespräche mit | |
Großbritannien, Italien, Frankreich und auch Deutschland. Dort allerdings | |
sind ihr zwei weitere Ex-Profis zuvorgekommen: Mats Hummels und Lukas | |
Podolski haben für Januar 2024 ein verdächtig ähnliches Format namens | |
Baller League angekündigt, ebenfalls spaßorientierten 7er-Fußball mit | |
Streaming-Größen. Gerard Piqué zürnte über Ideenklau. Offenbar hat die | |
Kings League einen Nerv getroffen. | |
## Druck durch die neuen Formate | |
Die neue Experimentierfreude könnte Auswirkungen auf den klassischen | |
Spielbetrieb haben, glaubt Jijantes-Spieler Ayats. „Wahrscheinlich werden | |
wir in näherer Zukunft strukturelle Änderungen und Regeländerungen bei La | |
Liga sehen. Dass auch sie auf mehr Plattformen streamen, oder dass sie | |
Spielertransfers anders regulieren.“ Auch, wenn wohl so schnell niemand | |
dort auf dem Rasen würfeln wird – die neuen Formate setzen den Fußball | |
durchaus unter Handlungsdruck. | |
Wie lange sie selbst leben, ist dabei noch nicht ausgemacht: Die Kings | |
League profitiert derzeit vor allem von der Reichweite der Promis sowie von | |
großzügiger Anschubfinanzierung. Das letzte Final Four im Oktober in Málaga | |
fand nur noch vor 30.000 statt 92.000 statt. Die durchschnittliche Zahl der | |
Live-Zuschauer:innen pro Spieltag ist auch rückläufig und lag im Frühjahr | |
2023 noch bei 511.378. | |
Nil Ayats glaubt, dass nach steilem Start nun ein stabiles Level erreicht | |
sei. Wie das bei Neugründungen so sei. Er selbst setzt aber längst nicht | |
nur auf die Kings League, von deren vierstelligen Jahresgehältern sowieso | |
niemand leben könne. | |
Der 25-Jährige ist mit seinem Vater, einem ehemaligen Profitrainer, | |
Besitzer des kleinen Klubs Naise Barcelona, wo er arbeitet. In der Kings | |
League will er einfach so lange Spaß haben wie möglich – und sich etwas | |
aufbauen. Denn eine Karriere dort kann kurz sein. Schon im nächsten Sommer | |
steht vermutlich ein neuer Draft an. „Ich könnte meinen Platz verlieren. | |
Aber das ist mir nicht wirklich wichtig. Ich will die Reise genießen.“ | |
Und Kapital daraus schlagen. Viele Spieler:innen, so Ayats, versuchten, | |
sich dank der Liga selbst ein Business aufzubauen. Auch Nil Ayats hat einen | |
Produktlaunch geplant, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft soll es so weit | |
sein. Schließlich geht es bei der zweiten Chance nicht nur um einen | |
zeitgemäßen Fußball und den großen Traum – sondern auch um ein gutes | |
Geschäft. | |
19 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://kingsleague.pro/ | |
[2] /Piques-Plaene-fuer-seinen-FC-Andorra/!5609976 | |
[3] https://queensleague.pro/ | |
[4] /Portugals-Kapitaen-in-Saudi-Arabien/!5908097 | |
[5] /Ex-Weltfussballer-Ronaldinho-im-Knast/!5670516 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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