# taz.de -- Jagd auf Kängurus: Ist es Schuhsohle oder Delikatesse? | |
> In Australien werden Kängurus geschossen. Und gegessen. Nicht alle finden | |
> das gut. Dabei ist ihr Verzehr für die Umwelt besser als der von Rindern. | |
Bild: Kängurus lieben Gemeinschaft | |
BROKEN HILL taz | Nachts im australischen Outback, nicht weit von der | |
Bergbausiedlung Broken Hill: Der Mann im Toyota-Pick-up kurbelt die Scheibe | |
runter und legt sein Gewehr an. Er richtet einen Scheinwerfer auf eine | |
Gruppe großer Rotkängurus. Die Tiere, erst hochgescheucht von der | |
plötzlichen Störung, bleiben nun neugierig stehen. Dann ein Schuss. Ein | |
Kängurumännchen fällt zu Boden. | |
Der Jäger fährt zum Tier, springt aus dem Wagen. Er wuchtet den leblosen | |
Körper hoch und hängt ihn an einem Gestell am Wagen an zwei Haken. Ein | |
Stich mit einem scharfen Messer in die Hauptschlagader, und das Tier blutet | |
aus. Dann schneidet er den Körper auf. Leber, Magen, Gedärme klatschen auf | |
den Boden. Schließlich schlägt er dem Känguru den Schwanz ab, zuletzt den | |
Kopf. Oder was davon übrig geblieben ist. Die Kugel hat das Gehirn komplett | |
zerstört. Der Tod war augenblicklich. „So muss es sein, und nicht anders“, | |
erklärt der Jäger dem Reporter. | |
Fleischproduktion ist nie ein angenehmes Geschäft. Tiere sterben; in den | |
meisten Fällen leiden sie vorher, haben Panik, spüren das nahende Ende. | |
Alle, die einmal ein paar Stunden in einem Schlachthof verbracht haben, | |
wissen das. Vor diesem Hintergrund ist die Kängurujagd – oder „Ernte“ �… | |
sie in der australischen Fleischindustrie genannt wird, vergleichsweise | |
human. | |
„Das Tier weidet in seiner natürlichen Umgebung – und eine Sekunde später | |
ist es tot“, sagt ein Sprecher der Nationalparkbehörde des Bundesstaates | |
New South Wales. Sowohl die Jagd als auch die Verarbeitung von Kängurus sei | |
„so sehr reguliert wie kein anderer Zweig der Agrarindustrie“. Derzeit | |
sterben in Australien so rund [1][1,6 Millionen Kängurus]. Gejagt werden | |
nur vier Arten, die endemisch vorkommen und oftmals sogar in Überzahl. Die | |
Abschusslimits werden jedes Jahr neu berechnet. Sie richten sich nach dem | |
Tierbestand in einem bestimmten Gebiet. | |
Nicht nur die Jagd, auch die Zubereitung von Kängurufleisch will gelernt | |
sein. Denn es kann nicht so einfach zubereitet werden wie etwa Rindfleisch; | |
der minimale Fettgehalt bedingt einigen Aufwand. Jedes Stück muss vor dem | |
Braten oder Grillen in gutes Olivenöl eingelegt werden, idealerweise über | |
Nacht, mindestens aber für zwei Stunden. | |
Zum Braten erhitzt man eine Grillpfanne ohne weiteres Öl so stark wie nur | |
möglich, darin darf man das Fleisch nur für wenige Minuten pro Seite liegen | |
lassen und dabei auf keinen Fall drücken oder sonst bewegen. In jedem Fall | |
gilt: je kürzer, desto besser, denn ein Känguru-Rumpsteak oder -filet kann | |
nur medium rare oder rare genossen werden. Anschließend sollte das Fleisch | |
dann noch mehrere Minuten im Backofen geschmort werden und schließlich mit | |
Aluminiumfolie zugedeckt für 20 Minuten bei Zimmertemperatur ruhen. | |
## Nicht immer ein sauberes Geschäft | |
Gelingt es, dann kann man sich auf ein gutes Stück Fleisch freuen, dazu | |
passt gedämpftes Gemüse und vielleicht eine Sauce béarnaise. Dank des | |
prominenten Eigengeschmacks von Känguru – es erinnert an Wild – reicht in | |
vielen Fällen aber auch Pfeffer und Salz. | |
Gelingt es hingegen nicht, hat man ein Steak auf dem Teller, das die | |
Konsistenz einer Schuhsohle hat. Nicht nur deswegen ist Kängurufleisch bei | |
den Australier:innen nicht so besonders populär. Viele Ältere sehen es | |
zudem als Fleisch für „arme Leute“, ein Relikt aus Zeiten, in denen | |
[2][Känguru] das einzige Tier war, das sich viele leisten konnten. Andere | |
wollen ihr Nationaltier nicht essen. So endet der Großteil des | |
Kängurufleisches in Australien im Hundefutter. | |
Zusätzlich hat sich gegen die kommerzielle Nutzung von Kängurus in den | |
letzten Jahren eine massive Opposition gebildet. Tierschutzorganisationen | |
vor allem in Europa laufen Sturm und haben in mehreren Fällen erreicht, | |
dass Firmen auf den Verkauf von Känguruprodukten verzichten. In | |
Großbritannien nahmen Verteiler nach Protesten Kängurufleisch aus dem | |
Angebot. Im März gaben die Sportartikelhersteller Nike und Puma bekannt, | |
keine Schuhe mehr aus Känguruleder herstellen zu wollen. Der Druck auf | |
Adidas, dasselbe zu tun, ist groß. | |
Ganz unrecht haben die Kritiker und Kritikerinnen nicht. Die Kängurujagd | |
ist nicht immer ein sauberes Geschäft. Laut dem australischen | |
Tierschutzverband RSPCA kommen regelmäßig nicht sofort tödlich wirkende | |
Schüsse in den Hals, den Brustkorb oder noch tiefer vor. Die obligatorische | |
[3][Ausbildung von Jägern] in den meisten Bundesstaaten habe aber dazu | |
geführt, dass die Zahl der Fehlschüsse heute nur noch bei rund vier Prozent | |
liege – immer noch zu viel natürlich. | |
Zudem stört Tierschützer:innen, dass auch Muttertiere mit Jungen | |
geschossen werden. Die verwaisten „Joeys“, so heißen die Babys in | |
Australien, müssen dann gemäß Vorschrift von den Jägern erschlagen werden, | |
weil sie ohne den Schutz ihrer Mütter sofort Opfer von Raubvögeln und | |
Füchsen würden. | |
## Kängurufleisch ökologisch sinnvoller | |
Untersuchungen zeigten, dass nichtprofessionelle Jäger für die meisten | |
dieser Tierquälereien verantwortlich seien, so der RSPCA. Der | |
Tierschutzverband fordert, ausnahmslos nur noch speziell lizenzierten | |
Schützen die Jagd auf Kängurus zu erlauben. Bis heute kann praktisch jeder | |
Landbesitzer selbst auf legale Weise zur Waffe greifen, wenn er zuvor ein | |
Formular ausfüllt. Die toten Tiere muss er allerdings liegen lassen. | |
Das wiederum sei ein kompletter Unsinn und eine Verschwendung kostbaren | |
Eiweißes, sagen Kritiker wie der Paläontologe Mike Archer. Kängurufleisch | |
enthält praktisch kein Cholesterin – weniger als bestes Rindfleisch – und | |
gilt deshalb als besonders gesund, zudem ist es reich an wichtigen | |
Mineralien und frei von künstlichen Chemikalien. | |
Archer fordert seit Jahren, Australien solle anstelle von anderen Tieren | |
mehr Kängurufleisch essen, denn damit helfe man auch der Umwelt. | |
„Harthufige europäische Nutztiere wie Schafe und Rinder schädigen die | |
Bodenoberfläche und beschleunigen den Prozess der Erosion.“ Kängurus | |
dagegen hätten sich den ganz spezifischen Gegebenheiten des Landes „in | |
Millionen von Jahren angepasst“, so der Wissenschaftler. Ihre weichen Füße | |
garantierten die Unversehrtheit des Bodens. | |
Zudem fressen die Beuteltiere fünfmal weniger Gras als Schafe und trinken | |
wesentlich weniger Wasser als Nutzvieh – ein entscheidender Faktor auf dem | |
zweittrockensten Kontinent der Erde. „Wenn wir nicht lernen, mit dem zu | |
leben, was uns dieses Land gibt“, sagt Paläontologe Archer, „dann werden | |
wir es zerstören und dabei untergehen.“ | |
18 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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