# taz.de -- Ehrung für autonomes Zentrum: Preisgekrönte Linke | |
> Das Osnabrücker Soziokultur-Zentrum „SubstAnZ“ ist Preisträger des | |
> Applaus-Awards 2023. Die schlechte Nachricht: Das Projekt ist gefährdet. | |
Bild: Überall Sprüche – aber Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und Rassi… | |
OSNABRÜCK taz | Wenn Bundeskulturpreise vergeben werden, stehen | |
nichtkommerzielle, selbstverwaltete Soziokultur-Zentren wie das Osnabrücker | |
Substanz nicht oft auf der Bühne. Aber manchmal eben doch. Als Claudia Roth | |
(Die Grünen), Beauftragte der Bundesregierung für Kultur, Ende Oktober in | |
Hannover die Preisträger des [1][Applaus-Awards] 2023 bekannt gibt, wird | |
das Substanz gleich zweifach geehrt: in der Hauptkategorie „Beste kleine | |
Spielstätten und Konzertreihen“ und durch den [2][Sonderpreis „Awareness�… | |
Der „Awareness“-Preis ist dabei der wichtigere, denn in den Hauptkategorien | |
von „Applaus“ werden jedes Jahr Dutzende Preise vergeben – über 90 sind … | |
diesmal. 18.000 Euro spülen die beiden Preise dem Substanz aufs Konto – | |
deutlich mehr, als die Stadt Osnabrück ihm pro Jahr an Zuschuss zahlt. | |
Geld, das es gut gebrauchen kann, denn im Herbst 2024 läuft sein | |
Mietvertrag aus, und ein neues Objekt ist nicht in Sicht. Ideal wäre eine | |
eigene Immobilie. | |
„Kann sein, dass es uns schon bald so nicht mehr gibt“, sagt Chris der taz. | |
Das klingt düster. Die kämpferische, quadratmetergroße Botschaft „Squat The | |
World“ direkt neben der Bühne, eine ironische Piraten-Adaption des | |
Dreimasters des Hansa-Bier-Etiketts, käme dann auch weg. | |
Chris, Substanz-Aktivist der ersten Stunde, ist Roth in Hannover begegnet. | |
„Wir waren überrascht und erfreut!“, sagt er über die Auszeichnung. Er | |
weiß: Nicht alle SubstanzlerInnen sehen das so positiv. Sprüche wie | |
„Deutschland du mieses Stück Spargel“ stehen hier an den Wänden. | |
[3][Das Zentrum], rund 700 Quadratmeter groß, existiert seit 2009, getragen | |
durch den gemeinnützigen Verein „Freundeskreis für ein selbstverwaltetes | |
Zentrum, Bildung und Kultur“. Aber seine Geschichte reicht bis 1972 zurück. | |
Damals besetzen Jugendliche nach einem Konzert, auf dem auch [4][„Ton | |
Steine Scherben“] spielen, ein leer stehendes Haus. Ein jahrzehntelanger | |
Kampf um ein autonomes Zentrum beginnt, der Demos, Solikonzerte und | |
Gerichtsprozesse nach sich zieht, auch weitere Besetzungen, Osnabrücks | |
Ratssitzungssaal inklusive. | |
## Ein Ort mit Geschichte | |
Dass das Substanz aus seinem Haus am Güterbahnhof ausziehen muss, ist ein | |
unersetzlicher Verlust, denn es ist ein Ort mit Geschichte, ein | |
Gesamtkunstwerk. Schwarztöne dominieren; das Erdgeschoss um Theke, Bühne, | |
Kickertisch und Sofaecke hat heimeligen Höhlencharakter. Die Fenster sind | |
beklebt, übermalt. Überall Sticker und Plakate, dicht an dicht. | |
Viele Nutzer haben hier Spuren hinterlassen. „Support your local girlgang | |
not Polizeistaat“ steht auf einem Stück Pappkarton. Auf einer Treppenstufe | |
steht „Alles für alle“. Das [5][Antifa]-Logo ist zu sehen, in Glitzergold. | |
Auf Wänden stehen Sachen wie „No border, no nation“ und „Steine für die | |
Schweine“, der Feminismus-Schlachtruf „Your body your choice, raise your | |
voice“. Manches ist augenzwinkernd, vieles tiefernst. Es gibt Grenzen | |
dafür, aber die sind weit. | |
Ein großes Regenbogen-Mural verkündet Passanten: „The 1st pride was a | |
riot“. Vor zwei Fenstern flattert ein schwarzes Banner: „Wer gegen die | |
Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen“. Im | |
Hof gibt es eine Open Wall – jeder kann hier sprayen. Die Regeln dafür | |
stehen an einem Rolltor. „Auf dem war so viel Farbe drauf, das ließ sich | |
schon gar nicht mehr öffnen“, lacht Substanz-Aktivistin Lu der taz. „Das | |
mussten wir dann alles runterkratzen.“ | |
Und dann erzählen Lu und Chris. Dass hier alles ehrenamtlich ist. Dass das | |
günstigste Getränk 50 Cent kostet. Dass sich hier 20 Gruppen treffen, von | |
queer bis migrantisch. Dass zu den Plena bis zu 40 Leute kommen. Dass hier | |
jeden Donnerstag „Essen für Alle“ ist, Motto: „Gegen die kalten | |
Verhältnisse, für das schöne Leben für alle“. Und dass hier niemand | |
besondere Rechte hat, auch der Trägerverein nicht: über Bands, die gegen | |
Kost und Logis auftreten. Über Vorträge und Workshops; über kontroverse | |
Diskussionen bis zum Konsens; über die Punk- und die Flinta-Kneipe, über | |
das Antifa-Café, das vegane Mitbringtreffen. | |
Das Zentrum versteht sich als „Freiraum“, als Ort für gesellschaftliche | |
Veränderung, für emanzipatorische Politik. „Wir sind sehr empowernd“, | |
beschreibt Lu. „Man kann sich hier viel erlauben.“ Eins allerdings nicht: | |
diskriminierendes Verhalten. „Da gibt es keine Toleranz“, sagt Chris. Das | |
steht auch gleich am Eingang: Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, | |
Rassismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit haben hier keine Chance. | |
Unübersehbar ist auch, wofür das Substanz den Awareness-Preis bekommen hat. | |
Überall hängt das Safe-Space-Konzept aus, sogar auf den Klos. Das | |
Awareness-Team trägt gelbe Buttons – unübersehbar in einem Raum, der schon | |
mit 50 Personen voll wirkt. Fotos und Videos, auch Selfies, sind nicht | |
erlaubt. Und natürlich schreibt das Substanz [6][Awareness] so: | |
„awAreness“. Das deckt sich mit dem Herzchen auf der Theke: Drüber steht | |
„We“, drunter „Anarchie!“ | |
„Man kann hier sorgloser feiern als anderswo“, sagt Lu. „Aber ein | |
diskriminierungsfreier Raum ohne übergriffiges Verhalten sind auch wir | |
nicht.“ Kommt es zum Konflikt, hat die Sicht der Betroffenen Priorität, | |
ihre „Definitionsmacht“. | |
## Arbeit an einer gerechteren Welt | |
Hinter der Theke gibt es einen Umsonstladen, von der Kleidung bis zum Buch. | |
In Gruppenräumen liegen halbfertige Transparente. Auf einem Treppenabsatz | |
stapeln sich Lautsprecherboxen. Ein Einhorn in Rosa ist zu sehen, ein | |
gewaltiger Aufblas-Orca. Im skurrilen „Grünen Salon“ hängen superkitschige | |
Ölbilder, die noch aus der Zeit des Vorbesitzers stammen. | |
Das Selbstverständnis des Substanz, an einer gerechteren Welt zu arbeiten, | |
ein Ort dafür zu sein, „Protest zu organisieren“, wie Chris und Lu sagen, | |
ruft natürlich auch Gegner auf den Plan. Der Stadtverband der örtlichen AfD | |
sieht in ihm eine Quelle für ein „terroristisches linkes Netzwerk“ und | |
forderte jüngst seine Schließung. | |
Die Solidarität, die das Zentrum danach erfuhr, war groß. Mit dabei: Nicole | |
Verlage, Geschäftsführerin der DGB-Region Osnabrück-Emsland-Grafschaft | |
Bentheim. Sie sprach von „Hass und Hetze“, von einer „ungeheuerlichen | |
Attacke der gefährlichen Populisten von rechts und deren Ideologie“. | |
Aber auch ohne die AfD könnte dem Substanz bald das Aus drohen. Trotz | |
seines kreativen, diskriminierungssensiblen Programms. Das wäre fatal. | |
„Gerade jetzt“, sagt [7][Staatsministerin Roth] über die Preisträger, | |
„brauchen wir solche Orte mehr denn je.“ | |
11 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://applaus-award.de/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=-bffB9CutMU | |
[3] https://www.substanz-os.de/ | |
[4] /Ton-Steine-Scherben/!t5044646 | |
[5] /Schwerpunkt-Antifa/!t5020380 | |
[6] /Achtsamkeit-auf-Parties/!5614902 | |
[7] /Claudia-Roth-als-Kulturstaatsministerin/!5815441 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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