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# taz.de -- Linkes Jugendzentrum in Mannheim: Fünfzig Jahre jung
> Ein Hort für Autonome, Punks und Spontis. Trotz Geldsorgen und Angriffen
> von rechts existiert das JUZ ein halbes Jahrhundert.
Bild: Hunderte demonstrierten 1972 in Mannheim, nachdem mehrere Jugendkneipen g…
Aus der Frühphase der Jugendzentrumsbewegung Anfang der 1970er Jahre
existieren heute kaum noch Einrichtungen. Vor allem keine, die von der
Kommune finanziert als [1][selbstverwaltete Jugendzentren] fortbestehen und
dabei auch noch ihren linken politischen Charakter bewahren konnten. Eine
große Ausnahme: das Jugendzentrum in Selbstverwaltung Friedrich Dürr in
[2][Mannheim] (JUZ). Obwohl es immer wieder kurz vor der Schließung stand,
feiert es nun am fiktiven „Nullten Mai“ sein 50-jähriges Bestehen.
Wie relevant die Jugendzentren in den 70ern waren, zeigen die massiven
Proteste von hunderten Jugendlichen, nachdem 1972 gleich mehrere
Jugendkneipen geschlossen wurden. Sie meldeten Demos an, besetzten den
zentral gelegenen Paradeplatz, veranstalteten Konzerte, [3][Theater- und
Filmaufführungen] in der Öffentlichkeit, produzierten Flugblätter und
machten durch unzählige andere Aktionen auf die miserable Sozial- und
Jugendpolitik der Stadt aufmerksam.
Für viele waren bezahlbare Freizeitangebote und günstiges Kneipenbier in
dieser Zeit kaum mehr zugänglich. Es mangelte an öffentlichen Räumen.
Dadurch war es für sie schwer, beengten Wohnverhältnissen zu entkommen.
Nach einem achtmonatigen Kampf gegen die Stadtverwaltung, gewaltsame
Polizist:innen und eine Presse, die nicht auf der Seite der
Jugendlichen stand, gab es Resignation in der Mannheimer Initiativgruppe.
Der Comic auf einem Flugblatt von damals hält das parodistisch fest. Unter
der Wandbemalung „Anno 2011“ sitzen zwei in die Jahre gekommene
„Jugendliche“ auf dem Bordstein und unterhalten sich: „Hast schon gehört.
Sie wollen uns ein Altersheim in Selbstverwaltung geben“ – „Ich glaubs
nicht mehr“.
Doch nicht alle nahmen die Situation mit Galgenhumor. Damalige
Zerreißproben spiegelten sich in internen Konflikten zwischen den
„Formaldemokraten“ der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und den
Spontis, die „alle Macht der Vollversammlung“ forderten, wider. Die Stadt
stellte ein Vierteljahr später doch noch ein Gebäude als Provisorium zur
Verfügung. Das JUZ wurde dadurch erhalten und die Konflikte wurden
befriedet – vorerst.
## Von Modekaufhaus an den Stadtrand verdrängt
Denn die frühen politischen Kämpfe setzten sich im Inneren des JUZ fort.
Nach etwa einem Jahr räumten die Spontis das Feld und das
Selbstverwaltungsmodell wurde straff nach dem Delegiertenprinzip
organisiert. Bei aller berechtigten Kritik an den oft autoritären Maßnahmen
der DKPler hatte dieses Modell zur Folge, dass es seine ideologischen
Architekten überdauerte und dabei die Struktur sogar über das Ende der
Jugendzentrumsbewegung hinaus rettete. Als in den 1980er Jahren die „Neuen
Sozialen Bewegungen“ aufkamen, konnten sich die Punks diesen Raum genauso
neu aneignen wie die Frauen- und Autonomenbewegung.
Dadurch wurde zwar das Selbstverwaltungskonzept sukzessive entformalisiert
und dabei die Vollversammlung zum einzigen Entscheidungsgremium. Doch auch
jene Fraktionen, die ein Autonomes Zentrum frei von kommunalen
Abhängigkeiten anstrebten, konnten sich nie so richtig durchsetzen. Denn
trotz wiederkehrender politischer Angriffe von rechts mit entsprechenden
Schließungsanträgen im Gemeinderat ermöglichte die seit jeher von der SPD
geführte Arbeiterstadt Mannheim immerhin, dass durch Staatsgelder auch eine
linke Subkultur auf Sparflamme erhalten wurde.
Trotzdem sah es einige Male in der JUZ-Geschichte düster aus. Anfang der
90er Jahre wurde auch in Mannheim die Innenstadt „saniert“. Der Verkauf des
Gebäudes an das stadtgrößte Bekleidungsunternehmen für hochpreisige Mode
führte dazu, dass das JUZ an den Stadtrand verdrängt wurde. Nur durch
erneuten Protest konnte es in einem ehemaligen Gartencenter wiedereröffnen.
Während bis dahin noch Schüler:innen nach dem Unterricht das Tagescafé
regelmäßig nutzten, um hier mehr oder weniger politischer
Freizeitgestaltung nachzugehen, führte dieser Umzug zum Wegfall des
Laufpublikums.
## Vermerk beim Verfassungsschutz
Das JUZ wurde, nachdem sich in den Dörfern und Kleinstädten der Region
vergleichbare linke Orte allmählich auflösten, als Kulturzentrum zum
Anlaufpunkt für Konzerte, Partys und linke Mobilisierungen. Die
Verfassungsschutzberichte des Landes Baden-Württemberg kommen wohl auch
deswegen seit Jahrzehnten nicht mehr ohne einen Vermerk zum JUZ aus.
Den letzten großen Angriff auf das JUZ gab es vor knapp fünf Jahren. Durch
den Übertritt eines Abgeordneten der Grünen zur CDU kam die knappe Mehrheit
linker Parteien im Mannheimer Stadtrat ins Wanken. Der Verfassungsschutz
unterstellte dem JUZ in dieser Zeit eine Kontaktschuld zum G20-Protest in
Hamburg. Die CDU nahm das zum Anlass, bei der Etatverhandlung zum Haushalt
2018 als Spar- und Umverteilungsmaßnahmen getarnte Schließungsanträge
einzubringen, und zählten dabei auf die Stimmen von NPD und AfD. Wieder gab
es Protest, der schließlich erfolgreich war. Vor allem deswegen, weil
jahrzehntelang unterschiedliche Generationen das JUZ durchlaufen hatten,
die nun auch selbst in Parteien, Verwaltung, Kultur- und
Medieninstitutionen der Stadt verankert sind.
Dass es als Jugendeinrichtung gilt, rettete „den JUZis“ immer wieder den
Kragen. Wie Max Temmer, einer der Geschäftsführer:innen des JUZ, sagt,
habe die Institutionalisierung als Jugendhilfeträger zwar Sicherheit
gebracht. Doch auch im JUZ hätten sich die kommunalen Sparzwänge
niedergeschlagen. Ein Rückstau der Gebäudesanierung, prekäre Minijobs zur
Betreuung des Jugendcafés, ständige Projektmittelakquise und eine
Stadtbürokratie, bei der das JUZ nicht so recht ins Raster passt, sind nur
einige Probleme.
Doch das enorme Mobilisierungspotenzial und die überregionale Vernetzung im
Zuge der letzten Schließungsanträge zeigen die feste Verankerung des JUZ in
der Stadt. Und der nebulöse Gründungsmythos vom „Nullten Mai“ lässt es n…
sogar zu, dass zum Geburtstag gleich ganze Festwochen stattfinden.
27 Apr 2023
## LINKS
[1] /Neue-Domizile-fuer-legendaere-Jugendclubs/!5908283
[2] /Waermeenergie-aus-Flusswasser/!5925491
[3] /US-Theatergruppe-Wooster-Group-in-Berlin/!5927463
## AUTOREN
Norman Boettcher
## TAGS
Jugendzentrum
Punks
Mannheim
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