# taz.de -- Befreiung der Hamas-Geiseln: Ein Ding der Möglichkeit? | |
> In einem Interview deutet Israels Premierminister Netanjahu ein Abkommen | |
> über die Freilassung der Geiseln an. Welche Deals wären denkbar? | |
Bild: Neue Klagemauer: Die Forderung einer schnellen Geiselbefreiung prägen au… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Nach dem Großangriff der Hamas auf Israel sind von | |
den mindestens 240 Geiseln erst vier Menschen freigekommen, einen Soldaten | |
konnte die israelische Armee zudem aus Gaza befreien. Israel und die Hamas | |
verhandeln – vermittelt über Katar in Abstimmung mit den USA – über einen | |
Gefangenenaustausch. N[1][un hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu | |
ein mögliches Abkommen angedeutet]. Es könnte einen Deal geben, sagte er am | |
Sonntag, „aber je weniger ich darüber sage, desto größer ist die | |
Wahrscheinlichkeit, dass er zustande kommt.“ Welche Szenarien sind denkbar? | |
Der militärische Arm der Hamas, die Kassam-Brigaden, hatten bereits Ende | |
Oktober einen umfassenden Gefangenenaustausch gefordert. Im Austausch gegen | |
alle Palästinenser*innen, die in israelischen Gefängnissen sitzen, | |
würden alle Geiseln freigelassen. Insgesamt sind [2][laut israelischer | |
Strafvollzugsbehörde (IPS)] 6.809 Palästinenser*innen in Israel | |
inhaftiert. Darunter befinden sich nach Angaben von NGOs, die sich für | |
Inhaftierte einsetzen, zum einen Militante, die wegen Attentaten und | |
Schießereien verurteilt wurden, bei denen israelische Zivilist*innen | |
getötet wurden. Es würden aber auch Aktivist*innen einsitzen, die gegen | |
Siedlungen demonstriert haben, sowie Teenager, weil sie Steine auf | |
Soldat*innen geworfen haben. | |
Innenpolitisch steigt für Netanjahu der Druck, sich auf einen solchen Deal | |
einzulassen, unter anderem seitens der Geisel-Angehörigen. Erst am | |
Wochenende demonstrierten erneut Tausende Israelis und forderten Netanjahu | |
auf, sich für die unverzügliche Freilassung der Geiseln einzusetzen. | |
Der ehemalige Vermittler Gershon Baskin glaubt, der umfängliche Deal sei | |
der einzige, den die Hamas in Betracht zöge. 2011 war Baskin an | |
Verhandlungen mit der Hamas zur Freilassung des Soldaten Gilad Schalid | |
beteiligt, im Austausch gegen 1.027 palästinensische Gefangene. [3][Unter | |
den Freigelassenen war damals auch Jahia Sinwar, der 2017 zum Anführer der | |
Hamas in Gaza wurde.] Weil an dem Angriff vom 7. Oktober auch militante | |
Palästinenser*innen beteiligt waren, die 2011 freigelassen worden | |
waren, lehnt ein Teil der Angehörigen der Geiseln auch jeden | |
Gefangenenaustausch ab, an dem auch Hamas-Mitglieder beteiligt wären. | |
## Zustimmung für kompletten Gefangenenaustausch | |
In Israel haben sich auch einige ehemalige hochrangige Amtsträger für den | |
kompletten Austausch ausgesprochen. Darunter sind Schaul Mofas, | |
Ex-Verteidigungsminister und Ex-Generalstabschef, Dan Halutz, | |
Ex-Generalstabschef, und Giora Eiland, Ex-Leiter des Nationalen | |
Sicherheitsrats. Freigelassene Hamas-Mitglieder könne sich Israel zu einem | |
späteren Zeitpunkt wieder zurückholen, argumentierten sie. | |
Wie viele Hamas-Mitglieder, Kämpfer und Sympathisant*innen genau in | |
israelischen Gefängnissen sitzen, ist unklar. Vor Beginn des Krieges sollen | |
von insgesamt 5.200 Inhaftierten, die meisten der Fatah-Bewegung angehört | |
haben. Etwa 20 bis 30 Prozent seien Hamas-Gefangene und mehrere Hundert | |
seien Mitglieder der Terrororganisation Islamischer Dschihad, berichtete | |
die israelische [4][Zeitung YNet]. | |
Die Hamas könnte auch nur einige der Geiseln freilassen, im Gegenzug zu | |
kurzen Kampfpausen. Israel hatte letzte Woche vierstündigen Waffenpausen | |
pro Tag zugestimmt, damit humanitäre Hilfe nach Gaza geliefert werden kann. | |
US-Präsident Joe Biden fordert dagegen eine längere Waffenruhe, um in der | |
Zeit einen Deal aushandeln zu können. Dies lehnt Netanjahu bislang ab: „Es | |
wird keinen Waffenstillstand ohne die Rückkehr unserer Geiseln geben“, | |
sagte er am Samstag. | |
Die drei großen israelischen TV-Nachrichtensender berichteten derweil ohne | |
Nennung von Quellen, dass es Fortschritte in Richtung einer Einigung | |
gegeben habe. Laut N12 News umfasse ein Deal, der diskutiert wird, die | |
schrittweise Freilassung von 50 bis 100 Frauen, Kindern und älteren | |
Menschen während einer drei- bis fünftägigen Kampfpause. Den Berichten | |
zufolge würde Israel Frauen und minderjährige Gefangene freilassen und | |
erwägen, Treibstoff nach Gaza zu lassen, sich aber das Recht vorbehalten, | |
die Kämpfe wieder aufzunehmen. | |
## 500 bis 700 palästinensische Kinder hält Israel in Haft | |
Welche Gefangenen freigelassen werden, darüber halten sich die | |
Verhandlungspartner bedeckt. Es könnte aber eine Vielzahl an Menschen | |
geben, die ohne größere Sicherheitsbedenken freigelassen werden könnten. So | |
sind mehr als tausend Palästinenser*innen nach Angaben von | |
Menschenrechtsorganisationen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren | |
inhaftiert. Laut der israelischen Organisationen BTselem sei das eine | |
Präventivmaßnahme „mit der Begründung, dass die Person plant, in Zukunft | |
gegen das Gesetz zu verstoßen“. Weder die Gefangenen noch ihre | |
Anwält*innen würden die Vorwürfe kennen. Zwar verwaltet die | |
Palästinensische Autonomiebehörde (PA) die Städte und Gemeinden im von | |
Israel seit 1967 besetzten Westjordanland und ist für die reguläre | |
Strafverfolgung zuständig – allerdings hat Israel nur begrenzte Autonomie | |
gewährt. | |
Am 1. Oktober, also vor der jüngsten Eskalation, waren laut der | |
Menschenrechtsgruppe HaMoked 1.319 „Sicherheitshäftlinge“ in | |
„Verwaltungshaft“ gewesen – laut Amnesty International die höchste Zahl | |
seit 20 Jahren. Mit dem Krieg sei die Zahl gestiegen: Vergangenen Monat | |
hätten die Behörden weitere Palästinenser*innen im besetzten | |
Westjordanland in „Verwaltungshaft“ genommen: Zum 1. November seien es | |
insgesamt 2.070 gewesen. | |
Wenn es einen Prozess gibt, findet dieser häufig vor israelischen | |
Militärgerichten statt: Insgesamt verbüßten 2.313 Gefangene ihre Strafe | |
nach Verurteilungen durch Militärgerichte, berichtet HaMoked unter Berufung | |
auf die Strafvollzugsbehörde IPS. Siedler*innen im Westjordanland | |
dagegen kommen vor zivile Gerichte. Praktisch alle Fälle, die vor den | |
Militärgerichten im Westjordanland verhandelt werden, enden mit einer | |
Verurteilung. Menschenrechtsorganisationen sowie die | |
UN-Sonderberichterstatterin für die Lage der Menschenrechte in den | |
besetzten Gebieten, Francesca Albanese, sprechen von fast 100 Prozent. | |
Auch palästinensische Kinder könnten womöglich freigelassen werden; 500 bis | |
700 werden jedes Jahr durchschnittlich von den israelischen | |
Besatzungstruppen festgenommen. Dies geht aus einem Bericht der | |
UN-Berichterstatterin Albanese vom 20. Oktober hervor. Der Hauptgrund für | |
die Verhaftungen ist laut Save the Children das Werfen von Steinen, „was | |
eine Gefängnisstrafe von zwanzig Jahren zur Folge haben kann“. | |
Hedi Viterbo, Dozent für Recht an der Queen Mary University in London, der | |
Hunderte von Militärgerichtsverfahren über palästinensische Kinder | |
analysiert hat, schrieb auf X, früher Twitter: „Keiner dieser Fälle endete | |
mit einem Freispruch. Die durchschnittliche Gefängnisstrafe betrug fast 8 | |
Monate (und viele waren natürlich länger).“ | |
13 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!5972379 | |
[2] https://hamoked.org/prisoners-charts.php | |
[3] /Geschichte-der-Hamas/!5965057 | |
[4] https://www.ynetnews.com/article/bybt4i1qa | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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