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# taz.de -- Musiker über Konzert im Dunklen: „So intensiv wie möglich“
> Wenn die Zuhörenden im Dunklen sitzen: Das Orchester im Treppenhaus gibt
> ein „Dark Room“-Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie.
Bild: Kommen heute wohl nicht ins Konzert: Anke Engelke und Joseph Beuys mit Sc…
taz: Herr Posth, [1][Ihr Orchester] interessiert sich für die Frage: „Was
kann klassische Musik heute?“ Was kann sie denn – oder was könnte sie, wenn
es nach Ihnen ginge?
Thomas Posth: Sie kann auf jeden Fall sehr viel mehr, als man so gemeinhin
erleben kann. Wir sind natürlich große Fans von klassischer Musik und
wissen, dass sie wohl für fast alle Menschen ein toller Teil in ihrem Leben
sein könnte. Sie erleben sie vielleicht einfach nur nicht – oder nicht auf
die richtige Art. Ich glaube fest daran: Wenn man die richtigen
Möglichkeiten findet, diese Musik zu spielen und einzusetzen und zu den
Menschen zu bringen, kann man auch sehr viele Menschen dafür gewinnen.
Wo genau liegt das Problem – ist es der Konzertsaal mit seinen
Benimmregeln?
Ich würde das mal von zwei Seiten angehen. Zum einen hat das klassische
Konzert natürlich ein ganz klares Profil, das viele Menschen einfach nicht
anzieht oder sogar abschreckt. Unter anderem, weil es ja seit sehr langer
Zeit immer gleich geblieben ist. Es gibt mit dem Sinfoniekonzert quasi nur
ein Klassik-Format, dazu zwei, drei Nebenstränge. Was tun, um neues
Publikum zu gewinnen? Unser Ansatz ist zum einen das Versprechen eines
Gesamterlebnisses, das ungewöhnlich ist und auf jeden Fall anders, als man
es üblicherweise in klassischen Konzerten findet. Und im Konzert
inszenieren wir alles so, dass die Musik so intensiv und berührend wie
möglich erlebt wird.
Eine andere heute sehr populäre Idee in diesem Sinne ist das Aufführen von
Filmmusik. Oder gleich eines populären Films – und ein Orchester spielt
dazu. Da wird die Musik geradezu in die Nebenrolle gedrängt. Darum geht es
bei Ihnen aber gerade nicht.
Ja, hier finden sich die Menschen wieder, hören die ihnen bekannte
Lieblingsmusik live auf der Bühne. Diese Verbindung über die Liebe zur
Musik suchen wir auch. Aber wir wollen unsere Lieblingsmusik spielen, das
ist nun mal Brahms, Mozart, tolle Neue Musik. Und das so, wie sie ist, ohne
sie zu verpoppen oder -jazzen. Egal, was wir machen: Wir spielen tolle
klassische Musik. Und während wir das tun, passiert so gut wie nie noch
etwas anderes.
Was diese Abwesenheit von Ablenkung angeht, ist das nun erstmals in Hamburg
anstehende Format geradezu der Gipfel: Im „Dark Room“ hört das Publikum in
völliger Dunkelheit zu. Geht das denn überhaupt? Müssen in einem deutschen
Konzertsaal denn nicht, sagen wir: die Rettungswege beleuchtet werden?
Wir haben da einen Trick: Die Musikerinnen und Musiker stehen schon draußen
vor dem Saal, und dort bekommt das Publikum Schlafbrillen ausgehändigt.
Dann bringen wir die Menschen rein – jede und jeder sitzt dann für sich in
völliger Dunkelheit.
Das heißt auch: Wenn mich das alles überfordert, nehme ich einfach die
Brille ab.
Genau. Aber die Allermeisten lassen sich drauf ein, vertrauen sich uns an –
auch für uns ist das ein sehr schöner Vorgang. Wir denken bei allen unseren
Formaten das Publikum von vornherein immer ganz intensiv mit – und wir
wollen den Kontakt zum Publikum. Wir wollen, dass es ein
Gemeinschaftserlebnis wird.
Was macht ausgerechnet ein Stück wie Franz Schuberts „Winterreise“
besonders geeignet dafür?
Schon vor vielen Jahren hatte ich den Wunsch, das Stück in einer eigenen
Bearbeitung zu spielen. Wir haben die gesamte Winterreise neu bearbeitet
und bringen gerade [2][eine CD] heraus. Und wir haben mit der Autorin Julia
von Lucadou eine ganz wunderbar darum herum passende Geschichte gefunden,
die wir erzählen. Am Ende geht alles Hand in Hand: die Musik, der Inhalt
der Musik, diese verzweifelte Wanderung und die rahmende Geschichte.
Der Dark Room ist nur einer Ihrer Einfälle – b ei Ihrem ersten Konzert in
der Hamburger Elbphilharmonie haben Sie das Publikum im Großen Saal zum
tanzen gebracht.
Wir haben viele extrem unterschiedliche Formate entwickelt, Konzerte mit
Apps, Notfallkonzerte für einzelne Menschen, immersive Konzerte in
Videoprojektionen. Und bei „Disco“ spielen wir ganz analog Musik auf der
Schnittstelle zwischen Klassik und Club. Und dazu tanzen tausende Menschen
enthusiastisch. Auch das kann klassische Musik heute.
14 Nov 2023
## LINKS
[1] https://treppenhausorchester.de/
[2] https://treppenhausorchester.de/winterreise-album-release/
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Konzert
Hamburg
Klassik
Dunkelheit
Elbphilharmonie
Orchester
Hamburg
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