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# taz.de -- Der Markt, Musik und ein Schmetterling: Die Schwarze Null am Bändel
> Der Markt ist ein possierlicher Gesell, der in Krankenhäusern, ÖPNV,
> Bildung und Wohnen schon allerhand Schabernack anrichtet. Und er
> pumuckelt weiter.
Bild: Musste sich viel Erfolg erarbeiten, um sich mit ihrere Meinung vorwagen z…
Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Früher wusste man mitunter nicht recht, wem man
glauben soll.
Und was wird besser in dieser?
Heute weiß ich es durchgehend nicht.
Für Asylsuchende [1][soll es künftig erst nach 36 statt wie bisher nach 18
Monaten] Leistungen in Höhe des Bürgergelds geben. Gleichzeitig prüft die
Bundesregierung, ob Deutschland Asylverfahren in Drittstaaten auslagern
kann. Auf einer Skala zwischen 18 und 36 – wie hoch bewerten Sie den
jeweiligen Abschreckungseffekt?
Höflich gesagt atmen die Entscheidungen den Geist des Gestischen. Und
keinen frischen. Asylbegehren sollen binnen 6 Monaten beschieden sein, man
bestraft aber schonmal die, die viel länger warten müssen. Sie bekommen
höchstens 410 Euro im Monat, und wer davon noch etwas in die Heimat
überweist, sollte von Christian Linder in einer kleinen Zeremonie mit
Streichterzett die Schwarze Null am Bändel überreicht bekommen. Stattdessen
suggeriert die geplante bargeldlose Karte Prasserei in der
Flüchtlingsbaracke. Es ist organisierter Neid. Flüchtlingsorganisationen
nennen Menschenrechte, Chancengleichheit oder auch blankes Überleben als
wahre „Pull-Faktoren“. Wir projizieren ein Selbstbild, nach dem an uns nur
unser Geld interessant ist.
Eine Erhebung zeigte letzte Woche, dass die [2][Zahl der wohnungslosen
Menschen 2022 von 383.000 auf 607.000] gestiegen ist. Wer hat hier versagt?
Der Markt. Ein possierlicher Gesell, der schon in Pflege, Krankenhäusern,
ÖPNV und Bildung allerhand Schabernack angerichtet hat. Längst hat er auch
ein stattliches Gebirge aus überteuerten Luxusbuden herbeigepumuckelt, und
wenn man in diese Not ordentlich Migration reinkippt, gehen die Leute auf
die Migranten los – statt auf den Markt.
Am [3][9. November gedachte Deutschland der Opfer der Novemberpogrome],
heute leben Jüd:innen wieder in Angst. Wie konnte es so weit kommen?
Das Normalste an Deutschland ist, dass wir nicht normal sind. Und keine
größere Sehnsucht haben, als es zu sein. Inzwischen leben hier Millionen
„Deutsche ohne Nazivergangenheit“ – ein Geschenk, das wir lange nicht
annehmen wollten. Sie müssen unsere Lehren aus unseren Verbrechen an
Jüdinnen und Juden mittragen, ohne die als Scham fortgepflanzte Schuld. Das
ist ganz schön kompliziert und verlangt allen Beteiligten etwas ab.
Leichter ist es da, uns für genesen, geläutert und normal zu erklären und
alle anderen für bescheuert. Das endet so, dass wir unsere Last auf andere
schieben und den Schizo, der uns im Spiegel anschaut, normal finden. Na
endlich.
In Ohio wird das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert, in
Virginia gewinnen die Demokraten eine Mehrheit im Landesparlament. Doch
keine zweite Runde für Trump?
Die Hoffnung wählt zuletzt. Vielleicht sind das Indizien, dass es wirklich
schon zwei sehr weiße, sehr alte Männer braucht, damit ein im Grunde noch
nicht zu Ende gefailter state doch sauber vor die Wand läuft.
Till Lindemanns Solo-Tournee ist fast ausverkauft, [4][Taylor-Swift-Fans
zelteten bis Freitag fünf Monate vor einem Stadion in Buenos Aires.] Beides
gleich grenzenlose Fanliebe?
Swift hat sich über mehrere schüchterne Raupenphasen zu einem
regenbogenbunten Schmetterling entpuppt. Nach Ihrer Erzählung musste sie
viel Erfolg erarbeiten, um sich mit einer Meinung vorwagen zu können. Bei
Lindemann war die Suggestion irgendeiner verquasten Meinung immer Methode,
ein bisschen Alarm und Tabubruch zu machen, um der Karriere aufzuhelfen.
Das ergibt die überraschende Gemeinsamkeit: Erfolgreiche Kapitalisten
sollten nicht zu authentisch sein.
Das türkische Parlament boykottiert Nestlé und Coca-Cola, da die Konzerne
angeblich Israel unterstützen. Was ist da los in Ankara?
Erdoğan sucht auch in dieser Katastrophe seinen Vorteil und hier eine
Führungsrolle für viele Muslime in der Region. Diese Woche kommt er nach
Berlin – dank seines Zöllnerjobs, seiner vielen zugetanen Landsleute hier
und seiner irrlichternden Äußerungen zu Israel wieder mal der peinliche
Schwager, den man nicht ausladen kann. Ob es eine Pressekonferenz geben
wird – mit der Option für Scholz, dem Gast nach jedem zweiten Satz
widersprechen zu müssen –, lässt das Protokoll offen. Wenn die Welt in
Ordnung wäre, gingen die beiden am Samstag mit friedlich feiernden Fans zum
Länderspiel Deutschland – Türkei. Werden sie nicht, doch das Bild kann man
mal als Ziel im Auge behalten.
In Leipzig begann der Verleumdungsprozess gegen Gil Ofarim. Verfolgen Sie
das Geschehen?
Wie einen Verkehrsunfall, wo man nicht hingucken will.
Und was machen die Borussen?
Phlegmatischen Mist.
Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Produzent und hat nebenher ein
Verhältnis mit Rot-Weiss Essen.
13 Nov 2023
## LINKS
[1] /Bund-Laender-Kompromiss-zu-Asylpolitik/!5971716
[2] /Spekulation-und-Wohnungsnot/!5968589
[3] /Instrumentalisierung-des-9-November/!5891886
[4] /Taylor-Swift-in-Argentinien/!5969351
## AUTOREN
Friedrich Küppersbusch
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