Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brandkatastrophe im Evros: Nach dem Feuer
> Im August brannten im Nordosten Griechenlands die Wälder. Es war der
> größte Brand, der je in Europa dokumentiert wurde. Wird sich die Region
> erholen?
Evros taz | Asche, Kohle und Staub. Sonst nichts. Du siehst kein Grün hier.
Wann wird das wieder ein Wald sein?“ Georgios Karafyllidis, 45,
pechschwarzes Haar, Vollbart, Piloten-Sonnenbrille, steht auf der
verbrannten Erde. Auf einem Fleck, der ihm bisher sein Auskommen sicherte.
Vor dem Feuer. Vor dem 19. August, als in der Region Evros im äußersten
Nordosten Griechenlands [1][der größte Waldbrand ausbrach, der je in Europa
dokumentiert wurde]. Eine ökologische Katastrophe – und für Menschen wie
Karafyllidis auch ökonomisch ein Super-Gau.
Karafyllidis ist Imker, sein Bio-Honig ist vielfach preisgekrönt. Seine
Bienenstöcke hatte er an diese abgelegene Stelle gebracht, auf ein freies
Gelände, umgeben von einem weitläufigen, dichten Waldgebiet. Ein
Naturparadies. Voller Pinien, Eichen, Erdbeerbäume. Voller Blüten, voller
Nektar, voller Pollen. Es war die allerbeste Stelle für seine Bienenvölker.
Die Farbe, die jetzt, nach dem Feuer, an diesem plötzlich seltsam stillen
Ort dominiert: Schwarz. Das Großfeuer, das seine Existenz auf einen Schlag
zerstörte, brach am 19. August im Ort Melia im Süden der Region Evros an
der Festlandsgrenze zur Türkei aus. Die riesige Feuerwalze rollte,
angefacht von starken Winden, auf die weiter westlich gelegenen Dörfer im
Südevros zu.
Das Melia-Feuer erfasste schließlich die Wälder um das 57-Seelen-Dorf
Kirki, wo Karafyllidis seine Bienenstöcke aufgestellt hatte. 59 seiner
künstlichen Nisthöhlen konnte er gerade noch rechtzeitig fortschaffen, 220
seiner Bienenstöcke fielen der Feuersbrunst jedoch zum Opfer. Der Imker
verlor rund acht Millionen Bienen.
Strenger Rauchgeruch liegt in der Luft. Stumm nimmt Karafyllidis einen
Wasserkanister von seinem alten Mercedes-Laster. Er gießt den Inhalt in
eine mit Holzscheiten gefüllte Wanne. Schon fliegen ein paar Bienen heran.
Seinen Bienen, die das Feuer überlebten, müsse er fortan Honigwasser geben,
sagt er. Notgedrungen. Ihren Bedarf an Nährstoffen deckten sie aus Nektar
und Pollen von Blütenpflanzen. Mit Asche, Kohle und Staub können sie nichts
anfangen.
Die Fütterung kostet Geld. Er brauche dafür Honig aus eigenen Beständen, so
Karafyllidis. Honig, den er nicht verkaufen könne. Dadurch verliere er
Einnahmen von 7.000 Euro. Jeder seiner verlorenen Bienenstöcke mit Bienen
und einer Bienenkönigin sei ferner rund 230 Euro wert. Der angerichtete
Schaden betrage damit weitere 50.000 Euro. Obendrein könne er keinen Honig
ernten. Das erzeuge Monat für Monat weitere Einnahmeverluste. Ab Frühjahr
werde er seine Bienenstöcke in weit entfernte Wälder bringen müssen.
Dorthin, wo das desaströse Feuer nicht wütete. Dafür brauche er
zusätzlichen Treibstoff.
„Der Staat muss mir helfen“, sagt der umtriebige Bienenzüchter. „Viele
Imker werden aufgeben“, glaubt er. Er will das nicht. Zu sehr liebe er
seinen Beruf. In den verbrannten Gebieten müssten Bienen bleiben. Fast
schon flehend sagt er: „Die Biene gibt zuerst Leben, dann Honig.“
Die Region Evros mit ihren – Stand 2021 – 133.802 Einwohnern ist nach dem
gleichnamigen Fluss benannt, der auf türkisch Meric heißt. Er bildet in
Nord-Süd-Richtung in weiten Abschnitten die gut 200 Kilometer lange
Festlandsgrenze zur Türkei. Zwei Tage nach Ausbruch des Melia-Feuers brach
im Dadia-Nationalpark im Zentralevros am 21. August ein weiteres Großfeuer
aus. Beide Großfeuer vereinten sich zu einem Megafeuer. In knapp drei
Wochen fielen im Evros über 93.500 Hektar Land den Feuern zum Opfer. Das
entspricht einer Fläche von 935 Quadratkilometern, größer als die von
Berlin.
Herbeigeeilte Feuerwehrleute aus Zypern, Bulgarien und anderswo mussten
ihren griechischen Kollegen Hilfe leisten, den Evros-Brand unter Kontrolle
zu bringen. Der Zypriot Pambos Tillyros hat 33 Dienstjahre auf dem Buckel.
Er steht wenige Tage nach dem Mega-Brand in Uniform an einer
Straßenkreuzung am Rand des Dadia-Nationalparks. „Das schwer zugängliche
Gelände, die vielen Pinien, die starken Winde, die gewaltige
Brandausdehnung. Die Löscharbeiten waren sehr schwierig“, sagt er.
Der ökologische und ökonomische Schaden im Evros ist gewaltig. Die
Schicksale erschüttern. Die Olivenbäuerin Niki Kelidou, 60 Jahre alt, aus
dem Ort Makri hat durch das Evros-Feuer etwa 1.300 Olivenbäume verloren.
Sie führt durch ihren Olivenhain. Um etwa 80 Prozent werde ihr Umsatz im
laufenden Jahr im Vergleich zum Vorjahr einbrechen, klagt sie. „Ich bin
total enttäuscht, wütend. Auf uns alle. Wie konnte das passieren? Wir waren
nicht darauf vorbereitet. Ich bin völlig verunsichert“.
„Wir liegen nicht am Meer, wir hatten den Wald. Der Wald war unsere Kraft,
unser Sauerstoff“, sagt Panagiotis Kalakikos. Der 63-Jährige, früher
Polizeichef, sein schlohweißes Haar sorgfältig glatt nach hinten gebürstet,
frisch rasiert, ist Bürgermeister der Gemeinde Soufli im Zentralevros, am
Rande des einzigartigen Dadia-Nationalparks. Tagelang tobte im Nationalpark
das Feuer. Der Waldbrand hinterließ eine Schneise der Verwüstung.
Obgleich es für Kalakikos hektische Tage sind, spricht er mit betont
ruhiger Stimme. Gerade ist er von einem Ortstermin in das Rathaus in Soufli
zurückgekehrt. Ob Holzindustrie, Landwirtschaft oder Gastronomie: Der
Schaden für die lokale Wirtschaft sei, so Kalakikos, „enorm“ in einer
ohnehin strukturschwachen, darbenden Grenzregion.
Seit Jahrzehnten wandern die Menschen aus dem Evros aus, viele von ihnen
nach Deutschland. Kalakikos weist auf den demografischen Niedergang hin:
Lebten vor 60 Jahren noch 28.000 Menschen in Soufli, seien es inzwischen
nur gut 11.000. Und das war vor dem Feuer.
## Zittern vor den kommenden Wassermassen
„Was im Dadia-Nationalpark passiert ist, ist schrecklich. Das Feuer im Wald
mag gelöscht sein. Für uns brennt das Feuer weiter“, sagt der
Bürgermeister. Dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis habe er daher
kurzerhand einen Brief geschrieben. Prompt überreicht Kalakikos eine Kopie
seines vom 4. September datierten Schreibens, versehen mit der
Protokollnummer 8627. Der Briefeinstieg ist im dramatischen Ton gehalten:
„Sehr geehrter Herr Premier, ich sende Ihnen dieses Schreiben mitten in
einem ‚Krieg‘ in Friedenszeiten“.
Die Landschaft erinnere, so steht es im Brief, „ohne jede Spur von
Übertreibung an einen „Schauplatz biblischer Zerstörung“. Der
Dadia-Nationalpark, „unsere Lunge, das Zuhause Dutzender seltener
Greifvögel und anderer Lebewesen, diese Naturschönheit, ist endgültig
verloren mit all den Folgen für unser Ökosystem und unsere Wirtschaft“. Zur
„Sanierung der Region“ seien 22 Maßnahmen zu ergreifen, führt Kalakikos
auf. Unter Punkt 15 steht: „Planung des Schutzes vor Überschwemmungen“.
Kalakikos ist ein Gehetzter. Gehetzt von der einen Naturkatastrophe zur
nächsten. Er weiß: dem Feuer folgt die Flut. „Das Klima hat sich geändert�…
sagt Kalakikos zur taz. Seit sechs Monaten habe es im Evros faktisch nicht
geregnet, nur ab und an sei leichter Nieselregen gefallen. Dazu eine
Hitzewelle im Sommer. Im Herbst und Winter regnet es hingegen im Evros
häufig, mitunter fällt Starkregen. Schnee, früher hier in Hellas’ Norden
ganz normal, gibt es dabei kaum noch. [2][Die Naturkatastrophen kommen in
immer schnellerer Folge].
Nach dem jüngsten Großfeuer, das zuvor intakte Wälder zerstörte, die bisher
sehr viel Regenwasser speichern und so die Umgebung vor Überschwemmungen
schützen konnten, drohten nun Megafluten, die Ortschaften wie Soufli direkt
bedrohten, warnt Kalakikos. Die Bauten zum Hochwasserschutz würden erst in
etwa eineinhalb Jahren fertig sein, also im Frühjahr 2025, so der
Bürgermeister. Bis dahin müssen Kalakikos und Co. zwei Winter mit
Regenfällen überstehen. Kalakikos sagt: „Wir haben nicht nur Angst, wir
zittern vor den kommenden Wassermassen“.
Geplatzt sind schon jetzt – nach dem Feuer und vor der Flut – viele Träume
und Visionen. Georgios Chatzigeorgiou, schwarzes T-Shirt, schwarze Hose,
trendige Stiefel, hatte so ein Zukunftsprojekt. Der 48-Jährige ist
Ortsvorsteher im 486-Seelen-Ort Avantas im Südevros. Am Hauptplatz, im
hübschen Lokal „Petrino“ mit seinen massiven Holztischen, erzählt er, wie
er auf die Idee kam, Avantas als Wanderparadies zu etablieren. „Im Ort lebt
ein passionierter Berg- und Naturliebhaber. Er hat mir gesagt: ‚Georgios,
weißt du, dass es in unserer Region einen Wasserfall gibt?‘ Ich habe ihm
erwidert: ‚Kannst Du mir das zeigen?‘ So fing alles an“.
Flugs holte Chatzigeorgiou eine Firma aus Athen mit ins Boot. Sein Plan:
Wanderwege ausbauen, Schilder aufstellen. Die Wanderer hätten eine Webseite
aufrufen sowie eine App auf ihr Smartphone herunterladen können, die ihnen
die Natur und Sehenswürdigkeiten erklären. In diesem Oktober sollte alles
fertig sein.
Doch dann kam das Feuer aus Melia. Das Inferno habe 80 Prozent der
Waldfläche von Avantas vernichtet, wie Chatzigeorgiou schätzt. „Wo alles
grün war, ist nur noch Asche“. Sein Zukunftsprojekt muss er zurückstellen.
Die Schilder für die Wanderwege lagern zehn Autostunden entfernt in einem
Abstellraum der Partnerfirma in Athen.
Chatzigeorgiou lädt dazu ein, in den verkohlten Wald zu fahren. Während der
Fahrt ist das ganze Ausmaß der Katastrophe zu sehen. Er steigt aus seinem
Toyota aus. Zwei Jahre werde es wohl dauern, bis es Sinn mache, die
Infotafeln hier aufzustellen, sinniert er. „Die Wanderwege sind nach dem
Feuer gefährlich. Die Erde bietet keinen Widerstand, keine Stütze.“
Falle Regen, seien Erdrutsche zu befürchten. „Für alle Dörfer herrscht
höchste Gefahr. Diesmal nicht wegen des Feuers, sondern wegen der Fluten“,
ist Chatzigeorgiou alarmiert. Die Folgen des Feuers träfen alle. Er bleibe
in Avantas, um zu kämpfen. Auch er, der Ortsvorsteher von Avantas, ist ein
Gehetzter.
Wie es um die Wälder im Evros bestellt ist, weiß keiner so gut wie Petros
Anthopoulos. Er ist Vorgesetzter der Direktion Wälder im Evros, eine
Dienststelle, die dem Athener Umweltministerium unterstellt ist. Es ist ein
Sonntag im September. Trotzdem sitzt Anthopoulos in seinem Büro in einem
unscheinbaren Gebäude in Alexandroupolis, Evros’ knapp 60.000 Einwohner
zählender Hauptstadt, malerisch am Ägäischen Meer gelegen.
„Der Evros hat, ohne die Insel Samothraki, eine Gesamtfläche von gut
400.000 Hektar. Davon entfallen etwa 200.000 Hektar auf Wald und
Waldflächen mit Sträuchern“, erklärt Anthopoulos. Das jüngste Großfeuer
habe eine Brandausdehnung auf einer Fläche von knapp 100.000 Hektar
erreicht, davon seien etwa 70.000 Hektar auf verbrannte Wälder und
Waldflächen entfallen, so der Waldexperte. Fast die Hälfte der Waldflächen
sind also verbrannt.
Betroffen sind ausgerechnet Gebiete im Zentral- und Südevros. Sie gehören
zum Natura-Netzwerk der EU, wo gefährdete wildlebende heimische Pflanzen-
und Tierarten und ihre natürlichen Lebensräume zu schützen sind.
Im Dadia-Nationalpark mit einer Fläche von 38.000 Hektar seien etwa 70
Prozent der Fläche verbrannt, so Anthopoulos. Das heiße aber nicht, dass
alle Bäume in den verbrannten Gebieten abgestorben seien. „Ein Drittel der
Bäume in der verbrannten Fläche lebt“, schätzt er. Dass der
Dadia-Nationalpark, wie kolportiert worden sei, 150 Jahre brauchen werde,
um sich vollständig zu regenerieren, sei Unfug. „In zehn Jahren wird der
Nationalpark wieder grün sein, in 40 Jahren ist dort wieder ein dichter
Wald. Wenn wir die Natur das machen lassen“.
## Fehler bei der Brandprävention
Es sei ein Kardinalfehler gewesen, in den 70er Jahren im Südevros gezielt
schnell wachsende Pinien anzupflanzen. „Das hatte ökonomische Gründe.
Pinien bieten den Rohstoff für die Holz- und Papierindustrie.“ So unbedacht
dürfe man nicht wieder sein. „Bricht ein Waldbrand aus, wirkt das Harz der
Pinien wie ein Brandbeschleuniger. Die Zapfen explodieren wie Handgranaten
und tragen so zur Ausbreitung der Flammen bei“.
Apropos Brandprävention: Früher habe es viel mehr Nutztiere gegeben, sie
weideten in den Wäldern, so Anthopoulos. Das Vieh sorgte, indem es Gras
fraß, auf ganz natürliche Weise dafür, gefährlichen Brennstoff vom Boden zu
entfernen. Heute müssen Förster das tun, was früher die Tiere taten.
Nur: Die drei Forstämter im Evros seien chronisch unterfinanziert, litten
zudem unter akutem Personalmangel, legt Anthopoulos den Finger in die
Wunde. Das Motto der Regierenden für die Forstämter sei: „Kein Geld, kein
Personal.“ So werde aus dem Wald ein Dschungel. Breche ein Feuer aus, finde
es am Boden reichlich Brennstoff. Die Klimakrise tue ihr Übriges. Die
unweigerliche Folge: Die Feuer würden immer gigantischer, sie breiteten
sich schneller als je zuvor aus. Ein Teufelskreis.
Vor 30 Jahren habe es auch Feuer gegeben, so Anthopoulos. Sie erreichten
aber nicht so eine Ausdehnung. Denn auf dem Land lebten noch viel mehr
Menschen: „Die Dorfbewohner haben das Feuer schnell gelöscht“. Seit 1998
ist die Feuerwehr statt des Forstamts für die Brandbekämpfung zuständig.
Die Feuerwehr geht nicht in den Wald hinein, um den Brand am Boden aus
nächster Nähe schon früh zu löschen, so wie es zuvor die Förster taten.
Heute kommen Löschflugzeuge und -hubschrauber zum Einsatz. „Hat sich der
Waldbrand ausgebreitet, wird das Löschen aus der Luft aber schwieriger,
aufwendiger, teurer“, moniert Anthopoulos. Die Experten sind sich einig:
Viel teurer als die Brandprävention ist die Brandbekämpfung sowieso.
Oberste Priorität der griechischen Feuerwehr sei es heute, Ortschaften zu
retten, nicht Wälder. Bewohner, die bei der Brandbekämpfung helfen könnten,
werden per Notruf auf das Smartphone zum Verlassen ihrer Orte aufgerufen.
Sie fehlen so beim Löschen der Brände. Die Regierung Mitsotakis verfolgt
diese Strategie, weil im Juli 2018, als der linke Premier Alexis Tsipras in
Athen das Zepter in der Hand hielt, eine Feuerwalze über 100 Menschen im
attischen Küstenort Mati zum Verhängnis wurde. Mitsotakis, damals in der
Opposition, versprach den Griechen: „Das passiert nie wieder“. Er gewann
die Wahlen.
Das macht Anthopoulos ebenfalls zu einem Gehetzten. Diesen Sonntag muss er
dafür opfern, um in seinem Büro Vorschläge für den Schutz vor dem drohenden
Hochwasser im Evros zu entwickeln. „Das ist die nächste große Wette!“, sa…
er. Es sei ein Wettlauf mit der Zeit. „Dieses Jahr schaffen wir das nicht.
Solche Großprojekte brauchen Zeit und Geld.“ „Wieviel kostet das?“
Anthopoulos, ohne Umschweife: „80 Millionen Euro“.
Spricht Dimitrios Bakaloudis über den Dadia-Nationalpark, funkeln seine
Augen. Der 54-Jährige stammt aus der Gemeinde Soufli am Rande des
Nationalparks. Er lehrt an der Uni Thessaloniki die Fächer
Wildtiermanagement und Erhaltung gefährdeter Wildtierarten.
Das Landschaftsmosaik aus Kiefern- und Eichenwäldern im Dadia-Nationalpark,
unterbrochen von Lichtungen, Weiden und Feldern, sei der ideale Lebensraum
etwa für Raubvögel, schwärmt er. Drei der vier Geierarten, die in Europa
vorkommen, lebten dort. Was den Nationalpark so einzigartig mache, sei
seine besondere geografische Lage, wie er betont. Europäische und
asiatische Flora und Fauna träfen hier zusammen. Über 360 Pflanzenarten
gebe es hier, darunter 25 Orchideenarten, 104 Schmetterlingsarten, rund ein
Dutzend Amphibienarten, ferner Reptilien, 60 bis 65 Säugetierarten und mehr
als 200 Vogelarten.
Wie es mit den Wildtieren im Dadia-Nationalpark nach dem Großfeuer
weitergehe, könne er nicht sagen. „Wir betreten hier Neuland. Wir hatten
noch nie so ein Phänomen“, so Bakaloudis. Schwarzmalerei wolle er nicht
betreiben. Im Gegenteil: Dass der majestätische Mönchsgeier, der Gänsegeier
sowie der Schmutzgeier – allesamt Markenzeichen des Dadia-Nationalparks –
bleiben werden, sei durchaus wahrscheinlich, vieler verbrannter Bäume zum
Trotz. Rund 50 Geierpaare habe es zuletzt im Dadia-Nationalpark gegeben.
Bakaloudis fügt hinzu: „Um die Wahrscheinlichkeit ihres Verbleibs zu
erhöhen, stellen wir ihnen für das nächste Brutjahr künstliche Nester zur
Verfügung“.
## Die größte Gefahr für die Tiere: Windräder
Ob Greifvögel oder Fledermäuse: Die größte Gefahr für sie sind ohnehin die
Windräder. Leftheris Kapsalis, 40 Jahre, wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Gesellschaft für Biodiversität im Dadia-Nationalpark, öffnet eine Datei in
seinem Computer. 34 tote Greifvögel, darunter 16 Geier, seien bis heute
nach einem Zusammenprall mit Windrädern gefunden worden, hat er
dokumentiert. “Darunter sind eher zufällige Funde. Die Dunkelziffer ist mit
Sicherheit hoch, weil nicht alle toten Vögel gefunden werden“.
Feuer hin, die kommende Flut her: Im Evros sprießen die Windräder wie Pilze
aus dem Boden. Der Evros sei von Athen zur „obersten Priorität“ für die
Errichtung von Windrädern erklärt worden, obgleich deren Standorte auf den
Flugrouten der Vögel lägen, kritisiert Kapsalis. 276 Windräder privater
Firmen mit einer Gesamtleistung von 506 Megawatt seien schon in den Bergen
im Evros und den benachbarten Rhodopen in Betrieb, die meisten aus Sicht
von Vogelschützern an einem falschen Standort.
Dafür stehe Hellas in der EU am Pranger, hebt Kapsalis hervor. Doch ändern
tut sich nichts. Die Regierung in Athen stellt sich taub – die privaten
Energieerzeuger freut’s. Für weitere 221 Windräder mit einer Gesamtleistung
von 863 Megawatt sei die Lizenz bereits erteilt, sagt Kapsalis, mehr als
1.000 Anträge seien in der Pipeline.
Brennt ein Wald oder eine Waldfläche ab, dürfen private Betreiber laut
griechischem Gesetz anschließend pikanterweise auch auf der verbrannten
Erde Windräder errichten. Gerade in diesen öffentlichen Liegenschaften –
Wälder und Waldflächen gehören hierzulande dem Staat – lohnt sich für sie
das Geschäft. Denn die an den hellenischen Fiskus zu entrichtende Pacht für
eine Fläche, die zur Errichtung von acht bis zehn Windrädern ausreicht,
beläuft sich nach taz-Informationen auf 20.000 Euro für eine Pachtzeit von
20 Jahren. Ein wahres Schnäppchen.
Doch der Widerstand wächst. Heftige Proteste löste eine Entscheidung der
Behörden aus, nur zwei Wochen nach dem Feuerinferno den Bau zweier
Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 6,6 Megawatt in einem
verbrannten EU-Naturschutzgebiet im Evros zu genehmigen. Der Aufschrei war
groß. Die Regierung Mitsotakis sah sich genötigt, zurückzurudern. Dass die
Pläne endgültig abgeblasen sind, glaubt im Evros indes keiner. Das
Mega-Feuer, es hat in jeder Hinsicht viel verbrannte Erde hinterlassen.
2 Nov 2023
## LINKS
[1] /Waldbraende-in-Griechenland/!5958241
[2] /Extremwetter-in-Griechenland/!5955664
## AUTOREN
Ferry Batzoglou
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Griechenland
Waldbrände
Katastrophenschutz
Überschwemmung
GNS
Wald
Waldbrände
Griechenland
Wissenschaftskommunikation
Griechenland
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zur Waldbrandgefahr: Der Norden ist besonders betroffen
Waldbrände sind heute häufiger und intensiver als vor 20 Jahren. Die
Tourismusregionen in Südeuropa bereiten sich auf den Waldbrandsommer vor.
Wie sich Waldbrände verhindern lassen: Vorbereitung auf das Feuer
Wegen des Klimawandels steigt die Waldbrandgefahr. Experten raten, im
Winter vorzubeugen. Aber wie? Ein Besuch im Hochrisikogebiet Brandenburg.
EU-Parlament verurteilt Griechenland: Schallende Ohrfeige für Athen
Das Europaparlament verwarnt Griechenland und seine Regierung wegen
antidemokratischer Tendenzen. Das könnte finanzielle Konsequenzen haben.
Forscherin über Klima-Kommunikation: „Veränderung ist ansteckend“
Katharine Hayhoe ist Klimaforscherin, evangelikale Christin und
Social-Media-Star. Im Interview verrät sie Tricks für Gespräche über die
Klimakrise.
Waldbrände in Griechenland: Brandstiftung von rechts
In der Region Evros an der Grenze zur Türkei machen Einheimische Migranten
für das Feuer verantwortlich – und greifen teilweise zur Selbstjustiz.
Brände in Griechenland: Feuer, Hitze und Hetze
Rechte Hetzkampagne in Griechenland: Migranten seien schuld an den
verheerenden Waldbränden. 18 Geflüchtete waren am Dienstag verbrannt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.