# taz.de -- Die Wahrheit: Palästinensertuch und Davidstern | |
> Wo sind eigentlich die beiden politischsten Schmuck- und Kleidungsstücke | |
> aus der Jugend geblieben? Und was hat Mutter damit zu tun? | |
Bild: Das Palituch war einst modisch bei jungen Leuten | |
In meiner Jugend besaß ich ein Palästinensertuch, weil ich mich links und | |
es schick fand. Außerdem wärmte es gut im Winter. Viel mehr politisches | |
Bewusstsein war in den siebziger Jahren unter bürgerlichen Vorortkindern | |
leider nicht zu erwarten. Immerhin bin ich nicht in die Junge Union | |
eingetreten wie einige Mitschüler. | |
Mit sechzehn kaufte ich mir einen silbernen Davidstern-Anhänger; warum, | |
weiß ich nicht mehr genau. Es war auf dem Evangelischen Kirchentag in | |
West-Berlin, der unter dem Motto „Einer trage des anderen Last“ stattfand. | |
Vielleicht wollte ich an meinem Körper symbolische Gerechtigkeit zwischen | |
den Konfliktparteien herstellen. | |
Den Anhänger trug ich seltener als das Tuch. Immer spürte ich Unbehagen bei | |
Diskussionen mit meinen Altersgenossen über Nazi-Verbrechen: Denn fast alle | |
waren sich absolut sicher, dass sie selbst im KZ gelandet wären, wegen | |
todesmutiger Widerstandsaktionen. Folglich hatten die Nazis gar nichts mit | |
ihnen zu tun. | |
So heroisch schätzte ich mich nicht ein. Der Begriff „kulturelle Aneignung“ | |
war zwar noch nicht erfunden, aber dennoch – da ich den Davidstern nur im | |
Zusammenhang mit dem Holocaust sehen konnte, hatte ich das Gefühl, mir als | |
Täter-Enkelin eine Opfer-Identität um den Hals zu hängen, um mein kleines, | |
langweiliges BRD-Ego ein bisschen herauszuputzen. Nicht so gut. | |
Das Tuch war irgendwann verschlissen und landete im Müll. Ausgerechnet | |
meine Mutter schenkte mir Jahre später ein neues, weil ich das alte doch | |
mal so geliebt hatte. Inzwischen war ich deutlich zu alt für diesen Scheiß, | |
aber zugleich auch gerührt, dass sie mir den „ollen Feudel“, wie sie das | |
Tuch früher auf gut Hamburgisch beleidigt hatte, ersetzte. Ich legte es in | |
den Schrank. Die Kette mit dem Davidstern blieb im Schmuckkasten bis zum | |
Angriff auf die Synagoge in Halle. Dann trug ich sie – symbolische | |
Solidarität, die mir am Herzen lag und die gewiss niemanden interessiert | |
hat. | |
Nach dem 7. Oktober dachte ich, dass auch jetzt ich und meine zwei Cent für | |
die Welt nicht relevant sein können, schon weil es selbstverständlich ist, | |
wie man, also auch ich, die Attentate der Hamas beurteilt. Das muss man | |
doch nicht extra sagen! | |
Seit vier Wochen lerne ich aber, dass mal wieder eine meiner Annahmen über | |
die Welt und insbesondere über die deutsche Linke falsch ist. Selbst | |
zurechnungsfähige Menschen in meiner Umgebung fantasieren neuerdings von | |
einem „Rachefeldzug“ Israels, während gleichzeitig Raketen aus dem | |
Gazastreifen nach Israel fliegen. Die Sehnsucht danach, den Juden die | |
Schuld zu geben, ist in Deutschland ungebrochen. | |
Also, zum Mitschreiben, egal ob es jemanden interessiert: Auch, wenn ich | |
keine klugen Worte für meine Trauer und mein Entsetzen über die unfassbar | |
grausamen Verbrechen der Hamas an Jüdinnen und Juden finden kann, möchte | |
ich auf keinen Fall verwechselt werden mit all diesen „Ja, aber“-Sagern. | |
Tut mir leid, Mama, aber der Feudel kommt jetzt endgültig weg. | |
8 Nov 2023 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
## TAGS | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Israelis | |
Palästinenser | |
Kleidung | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Alice Weidel | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abschlussgala der Berlinale: Dezent und deutlich | |
Die Berlinale versteht sich seit jeher als politisch. Die Abschlussgala | |
fand die richtigen Töne – in Sachen Politik und Kunst. | |
Die Wahrheit: Käsehure in Betaversion | |
Der Winter zieht sich krankheitsbedingt dahin. Da kann man ruhig auf dem | |
Sofa die Rolle der Künstlichen Intelligenz übernehmen und Fragen | |
beantworten. | |
Die Wahrheit: Ja! Ja! Neuja! | |
Zwischen Weihnachten und Neujahr darf keine Wäsche gewaschen werden, besagt | |
ein Aberglaube. Und was geschieht, wenn die Regel nicht beachtet wird? | |
Die Wahrheit: Solche Oschis | |
Am Nachbartisch lässt sich ein älterer Anatomie-Experte über die Brüste | |
einer Dame aus. Die Zumutungen im öffentlichen Raum werden nicht weniger. | |
Die Wahrheit: Wer zieht der Olsch die Socken aus | |
Wer will Alice Weidel bloß ihr Schnitzel wegnehmen? Ihrem Gebrüll nach muss | |
es jemand ganz Schlimmes sein, der ihr fades Fleischlein mopsen möchte. | |
Die Wahrheit: Ich hasse nur ganz wenig | |
Wenn das Mindset stimmt, verfällt auch der gutartigste Mensch dem Guilty | |
Pleasure. | |
Die Wahrheit: Ein Sonntagabend im Haus Fischer | |
Ob First- oder Second Screen, ob Blutregen im handlungsfreien „Tatort“ oder | |
Durcheinandergebrülle auf X-Twitter: Da hilft auch kein Sofa mehr. |