| # taz.de -- Die Wahrheit: Solche Oschis | |
| > Am Nachbartisch lässt sich ein älterer Anatomie-Experte über die Brüste | |
| > einer Dame aus. Die Zumutungen im öffentlichen Raum werden nicht weniger. | |
| Bild: Das Palituch war einst modisch bei jungen Leuten | |
| Mein Dorf liegt unter einer Schneedecke und ist noch stiller als sonst. | |
| Nicht mal der Reitlehrer um die Ecke brüllt herum, der uns sonst mit seinen | |
| weithin hörbaren Kommentaren das ganze Wochenende versüßt: „Ja, jahaaa, | |
| lass ihn kommen, lass ihn kommen – siehst duuuu? Jetzt kommt er!!!“ Sind | |
| alle Reitschüler taub oder alle Reitlehrer Choleriker? Und was unterrichtet | |
| der da eigentlich? | |
| Weil hier Ruhe ist, muss ich in die Kreisstadt. Die fröhliche Seniorenrunde | |
| am Nebentisch im Café wird dominiert von einem sehr lauten Herrn, der sich | |
| darüber auslässt, was für große Brüste Frau Müller doch hat. Und dann tr�… | |
| sie nie einen BH! Solche Oschis, und kein BH! | |
| Jemand fragt zaghaft, woher Lautmann das denn wissen will. „Das sieht man | |
| doch!“, trompetet der Anatomiesachverständige, der allen Menschen beim | |
| Kennenlernen gewiss zunächst in die Augen schaut. „Das sehe ich doch, das | |
| sehe ich doch! Aber das Allerschlimmste: Die kommt dann immer zusammen mit | |
| ihrer Freundin, die sind lesbisch! Dabei ist sie doch bestimmt zum | |
| Kinderkriegen! Anatomisch! Genetisch prädestiniert zum Kinderkriegen!“ | |
| Lautmann hat offenbar noch nicht herausgefunden, dass er genetisch eher zum | |
| Klappehalten bestimmt ist. Natürlich könnte man ihm da rein anatomisch | |
| etwas auf die Sprünge helfen, aber von Gewalt in Kleinstadtcafés ist im | |
| Allgemeinen abzuraten. Habe ich mal gehört. | |
| Da flüchte ich Richtung Großstadt. Doch auch im Zug gibt es verstörende | |
| Gesprächsbeiträge: „Wir fahren zu einer Silberhochzeit. Das Schöne ist ja: | |
| Die Frau hatte einen schweren Autounfall, die weiß gar nicht mehr, dass sie | |
| verheiratet ist.“ | |
| Also lieber Weghören und Personen-und-Beruferaten, eines der letzten | |
| analogen Vergnügen in der Bahn – da bin ich nämlich richtig gut. Doch ach, | |
| der freundliche Rentner neben mir, der sein Handy nicht kapiert und früher | |
| in der Verwaltung gearbeitet hat, ist in Wahrheit Mitglied eines berühmten | |
| Sinfonieorchesters. | |
| Die schicke Migrantin, die später seinen Platz einnimmt und mir ihre | |
| Familiengeschichte erzählt, kann ich kaum verstehen. Das hatte ich zwar | |
| befürchtet, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es an ihrem | |
| perfekten Schwäbisch liegen wird. | |
| Mein neues Gegenüber, die Grundschullehrerin, die mit ihrem abgeschabten | |
| Riesenkoffer gewiss gerade auf dem Weg zum Hauptstadtflughafen ist, um ihre | |
| Verwandtschaft in Anatolien zu besuchen, und der ich gern meine völlig | |
| vorurteilsfreie Gutmenschen-Aufmerksamkeit schenken will, entpuppt sich als | |
| türkischstämmige Biologin, die zu einem Fachkongress der Pharmaindustrie | |
| nach Kopenhagen reist. | |
| Den ollen Koffer hat sie sich von ihrem Mann Tim geliehen, der auf die | |
| Kinder aufpasst und leider nichts wegwerfen kann. Sie gönnt mir dann ein | |
| interessantes Fachreferat zur Impfstoffentwicklung. Und die Kolumnistin, | |
| die auf meinem Platz sitzt, ist übrigens ein genetisch prädestinierter | |
| Trottel. | |
| 13 Dec 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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